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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Mahlzeiten zubereitet. Eine Portion Schmalz, eine zerschnittene Zwiebel mit den zerdrückten Kartoffeln durchgebraten, womöglich etwas Wurstgemengsel dazwischen, ergab das Lieblingsgericht, den „Stamps“. „Und wer den besten Stamps gemacht, der hat die meisten Gäste.“ Ein Schlückchen Doppelkümmel, auch verbotene Waare – die gestatteten Eßwaaren, welche mit den heimathlichen Kisten ankamen, hießen beiläufig gleichfalls „Kümmel“ – mußte nach der genossenen fettreichen Speise das Gleichgewicht wiederherstellen. Das Feuerungsmaterial bestand aus Spiritus oder aus Holz, welches mittelst Austausches gegen aufgesammeltes Brod – ein für beide Theile vom Standpunkte der Moral bedenkliches Geschäft – vom Einheizer erworben wurde. Letzterer, unter dem Namen „der Staar“ eine der populärsten Figuren, hatte zu Neujahr das Privilegium, mit einem poetischen Gruße Trinkgelder zu sammeln. Ein solcher pflegte etwa so zu beginnen:

„Es kommet auch in diesem Jahr
Der alte, gute, treue Staar,
Der Staar mit seinen sieben Stären –
Gar schwer wird’s alle zu ernähren“ etc.

An den erwähnten Stampsabenden fand auch gleichzeitig Docirstunde statt. Die Jünglinge mußten hierbei den Knaben eine Art Nachhülfsstunde ertheilen. Je lauter docirt wurde, desto mehr glaubte man dem Inspectionslehrer gegenüber seine Schuldigkeit zu thun. In den eigentlichen Studirstunden an anderen Abenden mußte Alles mäuschenstill hergehen. Geräuschlos gruppirten wir uns je Vier um ein Talglicht; der Letzte davon mußte das Licht putzen. Wehe aber, wenn er es vergaß, oder dasselbe in seiner Ungeschicklichkeit gar auslöschte! Er war der Strafcasse mit einem Dreier verfallen. Diese Strafcassen enthielten eine lange Reihe von Paragraphen, gegen die zu verstoßen sich jeden Augenblick Gelegenheit fand. War die Casse gefüllt, dann erfolgte ein allgemeiner „Satz“. Wir saßen bei Bratwurst und neuen Kartoffeln oder Chocolade und Kuchen.

Um neun Uhr mußten die Kleinen zu Bett. Und nun begannen die Stunden der schlimmsten „Uebertretungen“. Die verbotenen Pfeifen wurden angezündet und wanderten in das aufgeschlitzte Futter des langen Schlafrockes, sodaß nur noch das Mundstück daraus hervorlugte, bereit, auch sogleich zu verschwinden, wenn ohne vorheriges Anklopfen die Stubenthür sich öffnete. Nur die Herren Inspectoren nahmen sich dieses Recht; die Commilitonen hielten streng unter sich daran fest, vor Eintritt in ein Zimmer vernehmbar anzuklopfen, wenn sie sich nicht der Gefahr aussetzen wollten, die vergessenen drei Schläge auf den Rücken zu erhalten. Jetzt wurden auch die verborgen gehaltenen Spielkarten hervor geholt, und bald fand sich ein drei- oder vierblätteriges Kleeblatt von Scatspielern zusammen. Einige auch saßen beim Schachbrett, ein Spiel, welches nicht nur erlaubt war, sondern auch zu jener Zeit sorgfältig unter uns gepflegt wurde.

Einer der größten Schachmatadore war Sch., ein Negerjüngling. Durch seinen Protector, einen schlesischen Fürsten, wurde er der Schule erst überwiesen, als er schon zum schlanken, kräftigen Jüngling herangewachsen war. Seine geistige Ausbildung war jedoch nicht weit über die ersten Elementarien hinaus gelangt. Er mußte trotz seiner siebenzehn Jahre in der Quinta beginnen. Eine verfehlte Idee, die bald auch mit der Wiederentlassung des schwarzen Sohnes vom Mondgebirge endete. Sch. machte, obgleich er unter den Kindern in der Schule saß, eine Ausnahme. Er genoß alle Privilegien der Jünglinge. Rauchen war sein Element. Durch Nase, Mund und Ohren zugleich blies er den Tabaksqualm, dabei rollten ihm die feurigen Augen im Kopfe, wenn er wieder einmal seinen Gegner im Schachspiele „matt“ gesetzt hatte. Und er besiegte sie Alle, ein wahrer Ajeeb damaliger Zeit. Aber auch in anderen Dingen blieb er Sieger: im Schwimmen, Turnen und Ringen that es ihm Keiner gleich.

Im Feldgarten, auf dem immergrünen, weit ausgedehnten, mit alten Kastanienbäumen umrahmten Rasenplatze, mit seiner geräumigen Turnanstalt und Vorrichtungen zu allerlei Spielen im Freien, da waren wir so recht eigentlich zu Hause. „Hic Rhodus, hic salta,“ hieß es, wenn es galt, nach geschehener Forderung im Zweikampfe die geschmeidigen Glieder zu erproben, um nach allen Regeln der Ringkunst den Gegner in das Gras beißen zu lassen. Hier auch wurden die Neuaufgenommenen (Novizen) mit Gras gefüttert und durch Fuchsprellen zum „Hausschüler“ geweiht, wofür im Winter die Schneewäsche eintrat. Hier wurde endlich den glücklichen Abiturienten jedesmal am Semesterschluß das letzte Lebewohl gesagt.

Das waren sonnige, wonnige Tage, wenn wir nach einem endlos erscheinenden Semester mit Riesenschritten dem langersehnten Schluß zueilten. „Vivant feriae!“ stand mit großen Lettern an allen Thüren und Plätzen zu lesen. Schon Wochen vorher sammelte man aus denjenigen Stuben, deren Senior Abiturus war, alle alten Schreibehefte zusammen, um „Fidibi“ nach Hunderten und Tausenden anzufertigen, die dem angehenden Studio nebst Seidel und Studentenpfeife auf seinen ferneren Kneip- und Rauchweg mitgegeben wurden. Das auszubringende „Vivat“ erforderte eine ganz besondere Vorbereitung. Ein riesiges Transparentbild wurde zu diesem Zwecke hergestellt, welches in der Mitte ein aus den Spitznamen des Gefeierten bezügliches Ereigniß darstellte. Spitznamen hatten wir Alle, auch die Herren Magister.

Nachdem die „Vivats“ nach und nach aus den einzelnen festlich decorirten und illuminirten Stuben ausgebracht worden waren, bewegte sich ein langer Zug von Stocklaternenträgern zum Feldgarten, unter Absingung des alten Studentenliedes „Gaudeamus igitur“. Im Feldgarten angekommen bildete man um die glücklichen „Muli“ oder Maulesel, wie wir nunmehr die „Schwergeprüften“ nannten, weil sie eine Zwischengattung zwischen Schüler und Student, wie der Maulesel zwischen Esel und Pferd darstellten, – einen Kreis. Ein Freudenfeuer wurde angezündet, und all die faulen Knechte und Eselsbrücken, welche über den dornenvollen Weg des Examens hinweggeholfen, den Flammen übergeben. Beim Scheiden aus diesem „Jammerthale“, wie die stehende Formel besagte, brachte sodann der zurückbleibende erste Primaner den „Mulis“ ein donnerndes dreifaches Vivat. Mit einem: „Wohl auf noch getrunken“ kehrten wir alsdann zurück, um unter den Fenstern des „Papa“, nachdem diesem ein Ständchen gebracht worden war, die Fackeln auszulöschen. Und das: „Wohl auf noch getrunken“ wurde bei dem nun folgenden „Abiturientenknipp“ im übervollen Maße ausgeführt.

„Vivant feriae!“ Hiermit will auch ich meine Plaudereien schließen, damit dem alten „Hausklepper“ nicht etwa der Vorwurf gemacht wird, er habe zuviel „aus der Schule geplaudert“. Seid mir gegrüßt, Ihr braven Jugendgenossen, die Ihr nach Hunderten, ja nach Tausenden zählt! Und ob Ihr auch auf dem ganzen Erdenrund, „hoch oben am grünen Tisch“ oder arbeitend „tief unter der Erd“, verstreut sein möget, diese Blätter, welche ihren Weg in die entferntesten Winkel der Culturländer nehmen, werden Euch erreichen. Und fragt Ihr, wer mit diesen Zeilen die Jugenderinnerungen in Euch wachgerufen, dann gedenkt mit freundlicher Erinnerung des einstmaligen Trägers der „Pagina 212“!

Bernhard Wilde.


Blätter und Blüthen.


Octavio Piccolomini. In der Gallerie geschichtlich bedeutender Namen, welchen durch die Dichtungen Schiller’s Unsterblichkeit verliehen wurde, nimmt der Name Octavio Piccolomini nicht den letzten Platz ein. Wer erinnert sich des gewaltigen Wallenstein, ohne auch zugleich an jenen Mann zu denken, der wie ein böses Fatum an seiner Seite wandelte und zu seinem Sturze wesentlich beitrug, an ihn, dem der große Feldherr nächst den Sternen am meisten vertraute und der ihn nächst den Sternen am meisten betrog? Wer vermag das Schiller’sche Drama aus der Hand zu legen, ohne eine nachhaltige Bitterkeit gegen jenen Mann zu empfinden? Und wer wird ihn nicht noch lange nachher im Gedächtniß behalten, wie er mit nach oben gerichtetem Blicke dasteht und den kaiserlichen Brief in der Hand hält, der ihm als Lohn des Verrathes an Wallenstein seine Erhebung in den Fürstenstand anzeigt?

Schiller hat diese Erhebung unmittelbar nach dem Tode Wallensteins eintreten lassen; in Wirklichkeit erfolgte sie viel später. Wir sind in der Lage, das Schreiben, in welchem der Kaiser dem Reichskammergerichte zu Speyer die Standeserhöhung des Grafen notificirte, seinem Wortlaute nach mittheilen zu können. Dasselbe wird gewiß für keinen Leser der „Gartenlaube“ ohne Interesse sein. Wie in der Zeit, so weicht auch in Bezug auf die Ursache dieser Standeserhöhung die Dichtung Schiller’s von der Geschichte ab, denn jedenfalls hatte der Graf die ihm zu Theil gewordene Ehre nicht ausschließlich seiner Betheiligung am Sturze

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_269.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2022)