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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Sage ihm, daß ich nicht wohl bin; er wird mich heut nicht vermissen. Ich kann nicht bleiben.“

Damit ging sie. Die Baronin blieb sehr befremdet zurück; sie war diese seltsame Verschlossenheit bei ihrer Tochter so wenig gewohnt, wie die Blässe auf deren blühendem Gesicht. Gleich darauf kam auch noch der Diener des Freiherrn mit der Meldung, Excellenz ließen sich entschuldigen und würden heut nicht zum Frühstück erscheinen. Frau von Harder schüttelte den Kopf, aber eine besondere Combinationsgabe war ihre Sache nicht, und überdies wußte sie nichts von der Unterredung, die im Zimmer ihres Schwagers stattgefunden hatte; es fiel ihr daher auch nicht ein, irgend einen Zusammenhang zu suchen. Sie ließ die Sache vorläufig auf sich beruhen und nahm etwas verstimmt ihren Platz am Frühstückstische allein ein. –

In der Kanzlei wartete man vergebens aus das Erscheinen des Chefs. Er pflegte sonst stets in den Morgenstunden zu kommen, heut aber blieb er in seinem Arbeitszimmer und ließ das Nothwendigste durch den Hofrath Moser erledigen. Der Hofrath, der einige dringliche Sachen vorzulegen hatte, kam mit wichtiger Miene zurück und verkündete, daß „Excellenz äußerst ungnädig seien“. In der That hatte der Freiherr mit großer Ungeduld und augenscheinlicher Zerstreutheit die Berichte angehört, mit einer bei ihm ganz ungewohnten Hast die nöthigen Weisungen gegeben und den Hofrath so schnell wie möglich entlassen. Dieser, der sich stets den Anschein gab, mehr zu wissen als Andere, sprach von wichtigen Regierungsdepeschen, die wahrscheinlich eingetroffen seien, die Beamten steckten die Köpfe zusammen und ergingen sich in allerlei Vermuthungen.

Bald darauf wurde Assessor Winterfeld zum Gouverneur gerufen. Das war nichts Auffallendes, denn er hatte am heutigen Vormittage Vortrag zu halten, und daß der Ruf früher als zur bestimmten Stunde erfolgte, erklärte sich durch anderweitige dringende Beschäftigung des Freiherrn. Der junge Mann betrat daher ganz ahnungslos und nur seinen Vortrag im Kopfe das Arbeitszimmer, ordnete seine Papiere und wartete auf das Zeichen zum Beginnen.

„Lassen Sie das!“ sagte Raven. „Der Vortrag fällt heute aus. Ich habe von anderen Dingen mit Ihnen zu reden.“

Georg blickte erstaunt auf; er gewahrte erst jetzt die völlig veränderte Haltung seines Chefs. Die vornehme Ruhe, mit welcher dieser sonst seine Beamten empfing, war heute einer eisigen Kälte gewichen. Er stand an den Schreibtisch gelehnt und maß den vor ihm Stehenden von oben bis unten, als sähe er ihn zum ersten Male. Es war ein finsteres Forschen, das jeden einzelnen Zug zu prüfen und bis in’s Innerste zu dringen schien, aber es sprach eine unverhüllte Feindseligkeit daraus, wie überhaupt aus seiner ganzen Haltung.

Georg sah das mit einem einzigen Blicke, und es erklärte die Bedeutung der Worte, die ihm im ersten Augenblicke räthselhaft geblieben waren. Er begriff sofort, daß die „Ungnade Seiner Excellenz“ ihm allein galt, und errieth auch den Grund davon. Die längst erwartete Katastrophe war hereingebrochen, und der junge Mann machte sich bereit, ihr mit ruhiger Entschlossenheit die Stirn zu bieten.

„Ich habe heute Morgen eine Unterredung mit meinem Mündel, der Baroneß Harder, gehabt, in der Ihr Name genannt wurde,“ begann der Freiherr. „Es bedarf keiner Erklärung Ihrerseits; ich weiß bereits, was geschehen ist, und möchte Sie zur Rede stellen über die Art, wie Sie die junge Dame verleiteten, die Aufrichtigkeit und Rücksicht, die sie den Ihrigen schuldet, in so unverzeihlicher Weise zu verletzen.“

Georg senkte das Auge, sein peinliches Ehrgefühl empfand den Vorwurf als nur zu sehr begründet.

„Ich habe vielleicht Unrecht gethan, bis heute zu schweigen,“ erwiderte er. „Meine einzige Entschuldigung dafür liegt in meiner Stellung, die es mir noch nicht gestattete, mit einer offenen Werbung hervorzutreten.“

„Wirklich! Ich sollte meinen, was Ihnen die Werbung nicht gestattete, mußte Ihnen auch die Erklärung verbieten.“

„Wenn sie beabsichtigt gewesen wäre, gewiß, Excellenz! Aber das war nicht der Fall. Ein unbewachter Augenblick entriß mir das Geständniß. Erst als es gehört und angenommen war, trat die Ueberlegung in den Vordergrund, und da mußte ich mir sagen, daß ich noch nichts geltend machen konnte, was mich zu der entscheidenden Bitte an die Frau Baronin berechtigte.“

„Es ist gut, daß Sie sich das selbst sagen,“ bemerkte der Freiherr mit vernichtendem Hohne. „Ich wäre sonst in die Nothwendigkeit versetzt worden, es Ihnen klar zu machen. Wenn Fräulein von Harder Ihnen Versprechungen gegeben hat, so ist das selbstverständlich ohne jede Bedeutung, da es ohne mein und der Mutter Vorwissen geschah, und es wäre einfach lächerlich, wenn Sie irgend eine Hoffnung daran knüpfen wollten. Romanideen gehören in das Gebiet des Romans. Ich bedaure es, daß meine Nichte solchen Ueberspanntheiten zugänglich gewesen ist, aber Sie werden mir hoffentlich nicht zumuthen, in Wirklichkeit mit denselben zu rechnen.“

Das Gesicht des jungen Mannes begann sich zu röthen bei dem verächtlichen Tone, und die aufsteigende Erregung verrieth sich in seiner Stimme, als er erwiderte:

„Ich weiß nicht, ob eine ernste, reine Neigung, die sich nie auch nur eines unwürdigen Gedankens bewußt war und ihren Gegenstand stets heilig und hoch gehalten hat, nur Spott und Hohn verdient. Ich habe bisher ein Geheimniß daraus gemacht und auch Fräulein von Harder veranlaßt, dies zu thun, weil ich wußte, daß es der Zeit und der Arbeit meinerseits bedurfte, um die Hindernisse wegzuräumen, die mir entgegenstehen, weil ich voraussah, daß man Alles aufbieten werde, um uns zu trennen. Das ist meine einzige Schuld; sie mag Tadel und Vorwurf verdienen – wer die Liebe kennt, wird sie nicht allzu hart verdammen. Ich war aber nicht darauf gefaßt, unsere beiderseitige Neigung als eine bloße Romanidee verurtheilt zu sehen.“

„Und wofür wollen Sie denn sonst, daß ich sie nehmen soll?“ fragte Raven in ironischem Tone. „Ich dächte, Sie hätten allen Grund, mir dankbar zu sein, wenn ich die Sache in dieser Weise auffasse, denn das allein läßt eine mildere Beurtheilung zu. Wüßte ich, daß Sie und Gabriele im vollen Ernste an eine Verbindung denken, so –“ er vollendete nicht; sein Blick ergänzte die Worte in unheilvollem Sinne.

„Würden Excellenz es vorgezogen haben, wenn wir uns geliebt hätten, ohne an eine Verbindung für das Leben zu denken?“ fragte Georg ruhig.

„Herr Assessor Winterfeld, Sie vergessen sich,“ brauste der Freiherr auf. „Nicht auf meine Nichte, auf Sie allein fällt die Schuld dieses heimlichen Einverständnisses. Das junge Mädchen war noch nicht im Stande, dessen Tragweite zu ermessen und die trennenden Schranken zu erwägen. Sie aber konnten es, und von Ihnen fordere ich Rechenschaft. Sie sind einer meiner jüngsten Beamten, ohne Namen und Rang, ohne Vermögen und Aussichten; mit welchem Rechte wagen Sie es, nach der Hand der Baroneß Harder zu trachten, die an glänzende Verhältnisse gewöhnt und zu Umgebungen und Lebenskreisen berechtigt ist, die weitab von den Ihrigen liegen?“

„Mit demselben Rechte, das Freiherr von Raven geltend machte, als er unter ganz ähnlichen Verhältnissen um die Tochter des Ministers warb, die später seine Gemahlin wurde,“ erwiderte Georg mit Festigkeit, „mit dem Rechte der Zukunft.“

Raven biß sich auf die Lippen. „Sie scheinen eine Laufbahn, wie die meinige, auch für die Ihrige als selbstverständlich vorauszusetzen. Es ist doch gewagt von Ihnen, sich so ohne Weiteres mit mir in eine Reihe zu stellen. Uebrigens trifft der Vergleich von damals nicht zu. Ich gehörte längst zu dem intimen Kreise des Ministers, ehe ich sein Sohn wurde; ich wußte, daß er meine Werbung begünstigte, und hatte mir sein Jawort gesichert, ehe ich das seiner Tochter forderte. Das ist der einzige ehrenvolle Weg bei solchen Dingen. Merken Sie sich das, Herr Assessor!“

„Excellenz haben jedenfalls concreter und überlegter gehandelt, als ich es gethan habe, aber – ich liebte Gabriele.“

Das Auge des Freiherrn sprühte in wilder Gereiztheit auf den Verwegenen nieder, der es wagte, ihn daran zu erinnern, daß seine eigene Vermählung nur das Werk der Berechnung gewesen war.

„Ich ersuche Sie, in meiner Gegenwart nur von der Baroneß Harder zu sprechen,“ sagte er in dem schroffsten Tone, der ihm zu Gebote stand. „Was übrigens die Selbstlosigkeit Ihrer Liebe betrifft – sollte es Ihnen so ganz unbekannt geblieben sein, daß meine Nichte allgemein als meine Erbin angesehen wird?“

„Nein! Aber ich setze voraus, daß etwaige Bestimmungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_273.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)