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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


aller Art – dann kann dieser Gewinn nicht leicht zu hoch angeschlagen werden.

Die Traditionen des deutschen Handels, der deutschen Gewerbe, der deutschen Kunst, sie weisen auf den befruchtenden Goldstrom hin, der vom Orient kommend vor Jahrhunderten unser Vaterland durchfloß. Um ihn wieder herbeizulenken, lohnt es sich wohl, daß deutsche Hände an das große Marmorgrab pochen, wo sie eingesargt liegt, die erste Königin der Adria, und rufen: Aquileja, wache auf!

O. v. Breitschwert.




Die „blauen Männer“ von London.
Eine Skizze aus dem Polizeiwesen.
Von Leopold Katscher.

„Please, tell me the shortest way to …“ Wie Mancher unserer Leser, wenn er sich in dem Häuser- und Straßengewirr der britischen Hauptstadt in Verlegenheit befand, hat als gelehriger Schüler des rothen Bädeker diese Bitte, ihm „den kürzesten Weg da und dorthin“ zu zeigen, an einen „Policeman“ gerichtet. Und hat sich einer der Fragenden jemals über Unzuvorkommenheit oder Unwissenheit der Sicherheitswachmänner zu beklagen gehabt? Wohl schwerlich. Garibaldi pflegte sich ganz entzückt über die sympathischen Männer im häßlichen Filzhelm zu äußern und vor ihnen sogar den Hut abzuziehen. In der That ist die Organisation des Londoner Polizeiwesens, um die sich namentlich Sir Robert Peel große Verdienste erworben, eine mustergültige.

Der Sicherheitsdienst wird von Constablern und Detectiven (d. h. Geheim-Polizisten) versehen. Wir haben es hier nur mit den Ersteren zu thun, welche sich wieder in zwei Gruppen theilen: die eine besteht aus neuntausendfünfhundert Mann und bildet die „Metropolitan Police“ („Hauptstädtische Polizei“), die andere ist die später zu erwähnende „City Police“.

Die Metropolitan Police hat ihren Hauptsitz in Great Scotland Yard, ganz in der Nähe des Continentalbahnhofes Charing Croß. Ihr Rayon erstreckt sich auf zwölf bis fünfzehn englische Meilen in der Runde, wenn man den genannten riesigen Hof als Mittelpunkt annimmt, und umfaßt ganz London, mit Ausnahme der City, und mehrere benachbarte Grafschaften. – Neben dem Londoner Polizeipräsidenten, welcher den Amtstitel „Chief Commissioner of the Metropolitan Police“ führt und mit sehr ausgedehnter Machtvollkommenheit bekleidet ist, wird die Polizei jedoch vom Minister des Innern und von – der öffentlichen Meinung controllirt. Der ganze Polizeibezirk von Scotland Yard zerfällt in einundzwanzig „divisions“ jede Division in Subdivisionen, diese in „sections“ und die Sectionen in Tag- und Nacht-Runden („beats“).

Wie wird man Policeman? Das ist einfach und doch schwierig. Der Candidat darf nicht älter sein als fünfunddreißig Jahre, muß lesen und schreiben können und eine Höhe von wenigstens fünf Fuß sieben Zoll haben. Ist er verheirathet, so darf er zur Zeit der Bewerbung nicht mehr als zwei Sprößlinge sein eigen nennen. Selbstredend sind Anständigkeit, Unbescholtenheit, Thatkraft erforderlich; sehr geschätzt werden Unverdrossenheit, Freundlichkeit und ruhiges Temperament. Wer ein Anstellungsgesuch eingereicht hat, wird durch den verantwortlichen Polizeiarzt geprüft. Ist die genügende Stärke und Intelligenz erwiesen, so wird nur noch ein von einem achtbaren Arbeitgeber, Kaufmann oder Geistlichen gezeichnetes Zeugniß verlangt, in welchem bestätigt sein muß, der Betreffende habe den Candidaten seit fünf Jahren als Menschen von guter Aufführung gekannt. Der Gewählte erhält sofort auf Kosten des Polizeibudgets eine Uniform, die er auf der Straße stets tragen muß: Pantalons und Tuchjacke (blau); diese ist eng zugeknöpft und zeigt am Kragen einen Buchstaben und eine Ziffer, deren Bedeutung sich auf die Division, welcher der Policeman angehört, und auf die Zahl, die er daselbst einnimmt, bezieht. Der schwere Lederhut von ehemals ist jetzt durch einen unschön geformten, aber leichten und vor Hieb und Stich gut schützenden Filzhelm ersetzt. Dieser wird durch eine Lederschnur festgehalten, statt aber, wie anderswo, dieses Band unter dem Kinn anzubringen, muß der Londoner Policeman es – wie der englische Soldat – zwischen Lippe und Kinn tragen, was unglaublich abscheulich ist. Die Bewaffnung des Constablers besteht aus einem kurzen Truncheon (Knittel), welcher in einem Lederfutteral ruht und nur im äußersten Nothfalle an’s Tageslicht gebracht werden darf. Regnet es, so bedeckt sich der Schutzmann mit einem den Oberleib schützenden kleinen Regenmantel, den er bei trockenem Wetter zusammenrollt und mittels eines Gürtels um den Körper bindet. – Der „Rekrut von Scotland Yard“ wird vor Allem in die Vorbereitungsschule geschickt, wo man ihm allerlei für sein wichtiges und delicates Amt Wissenswerthes beibringt; man legt dabei ein besonderes Gewicht auf die Erlernung der Kunst, vor den Polizeigerichtshöfen in klaren und einfachen Ausdrücken Aussagen abzugeben. Zu diesem Behufe müssen die jungen Polizisten einer Reihe von Gerichtsverhandlungen beiwohnen. Ein Theil der Erziehung ist den körperlichen Uebungen gewidmet; jeder neue Constabler manövrirt einige Wochen hindurch, unter Leitung eines höheren Polizei-Beamten, des Assistant Commissioner, oder eines Inspectors, in den unter dem Namen „Wellington Barracks“ bekannten Casernen. Ist all dies vorüber, so hat sich der nunmehr fertige Policeman auf Ehrenwort zu verpflichten, seine ganze Zeit den Amtspflichten zu widmen, keine Nebenbeschäftigung zu betreiben und selbst seiner Frau das Halten eines Ladens zu verbieten.

Die Wirksamkeit des Constablers ist eine mannigfaltige. Seine Hauptpflicht ist, die Ordnung in den Straßen aufrecht zu halten, aber so unauffällig wie möglich. Ueberhaupt darf er nur dann seines Amtes walten, wenn Jemandes Sicherheit gefährdet ist oder ein öffentliches Aergerniß zu drohen scheint. Ebenso verhält es sich mit den Versammlungen; auf diesen fungiren Polizeiagenten nicht als „Vertreter der Staatsanwaltschaft“, um jedes gesprochene Wort auf die Wagschale des Paragraphs zu legen, wie in anderen Ländern, nein, der Policeman erscheint nur, wenn es zu Handgreiflichkeiten kommt. Die großen Verkehrsadern der „Hauptstadt der Welt“ leiden bekanntlich nicht an Blutarmuth, und es ist Aufgabe des Polizisten, die Circulation dieses Blutes zu regeln und den oft fieberhaft raschen Puls des Straßenlebens zu besänftigen. Nur seinen phlegmatischen Handbewegungen ist das Wunder zu danken, daß in London verhältnißmäßig sehr wenige Fußgänger überfahren werden. Weiter ist es seine Sache, sich der auf der Straße von Unfällen Betroffenen anzunehmen. In vielen Fällen ist seine Autorität eine moralische: man wählt ihn fast immer zum Schiedsrichter in Streitigkeiten, die sich auf dem Straßenpflaster erheben, und daß er die Entscheidung wirklich trifft und daß man sie fast niemals verwirft, zeugt von dem tatsächlichen Vorhandensein natürlicher Intelligenz bei den Londoner Polizisten.

Wo das Wagengedränge so groß ist, daß Damen und Kinder es zu gewagt halten, weiterzugehen, da führt unser braver Helfer in der Noth die Furchtsamen selbst zwischen Pferdefüßen und Kutschenrädern hindurch in Sicherheit. Sein Verdienst wird dadurch erhöht, daß er so viel Gutes leistet, ohne auffällig zu werden. Statt aller Welt zu „zeigen“, daß er ein „Gewaltiger“ sei, bedient er sich der ihm übertragenen Macht nur mit stoischer Geduld, discretem Eifer und äußerster Mäßigung. Am meisten zu schaffen machen ihm die Betrunkenen, die im freiesten Lande zahlreicher und roher sind als anderswo.

Es wäre für den englischen Polizisten auch sehr verhängnißvoll, wollte er aus seiner Bescheidenheit heraustreten, denn während z. B. in Deutschland und anderswo die Vorgesetzten an dem Princip der „Unverletzlichkeit des Ansehens der Beamten“ festhalten, ist man in Scotland Yard geradezu der umgekehrten Ansicht. „Oeffentlicher Tadel,“ heißt es dort, „mit allen Consequenzen.“ Glaubt der Erstbeste zu einer Beschwerde gegen einen Constabler Grund zu haben, so steht ihm das Recht zu, den Wachmann vor den nächsten Polizeihof zu citiren. Oeffentlich wird angeschuldigt, öffentlich verurtheilt oder freigesprochen. Die Polizisten haben also alle Ursache, sich keine Uebergriffe zu erlauben und bei Arretirungen darauf zu sehen, daß sie mit dem in England so hochgehaltenen Grundsatze der persönlichen Freiheit nicht in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_285.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)