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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Collision gerathen; der geringste Mißbrauch in der Ausübung der Functionen wird hart bestraft.

Wie bereits erwähnt, darf der Policeman nur Hand anlegen, wenn Jemand gewaltthätig und rauflustig ist, ob betrunken oder nicht, ist Nebensache. Ist aber der Constabler von Jemandes Schuld überzeugt, so hat er ihn auf’s nächste Commissariat zu führen und dem Inspector einen Bericht zu Protokoll zu dictiren. Der Gefangene übernachtet in einer Zelle und wird am nächsten Tage von dem Polizeirichter verhört. Diesem gegenüber muß der arretirende Schutzmann den Hergang wiederholen. Dabei liegt es in seinem Interesse, seine Worte genau zu bemessen, denn die geringste Unwahrheit bringt ihn in Gefahr, wegen falscher Zeugenaussage angeklagt zu werden, was für ihn im ersten Grade einen Verweis, dann die Degradation und endlich wohl auch die Entlassung (verbunden mit dem Verlust aller weiteren Ansprüche) zur Folge haben kann.

Daß die Thätigkeit des Policeman eine eiserne Gesundheit erfordert, ist sehr begreiflich. Selbst die stärkste Constitution kann den fortgesetzten Einflüssen der Diensteslasten und den später eintretenden des Alters nicht widerstehen, und auch unser Policeman muß sich schließlich zur Ruhe setzen, wenn er vorher nicht schon in eine bessere Welt eingegangen ist. Es hat sich daher die Nothwendigkeit herausgestellt, eine Altersversorgungscasse einzurichten, deren Haupteinnahme aus den regelmäßigen, eindreiviertel bis zwei Procent der Gehalte betragenden Beiträgen sämmtlicher Angehörigen der Metropolitan Police besteht; eine anständige Summe figurirt im Polizei-Budget für Wittwenpensionen und Waisenversorgungen. Freiwillige Beiträge des Publicums – zu deren Aufnahme auf den Police-Stations „Waisenbüchsen“ angebracht sind – thun das Uebrige, nun die im Dienste Ergrauten und ihre Wittwen und Waisen leidlich zu unterstützen.

Der verheirathete Policeman darf seine Wohnung nach Belieben wählen. Oft bekommt er unentgeltlich Quartier, besonders von Eigenthümern leerstehender Häuser, wenn es darauf ankommt, diese bewachen zu lassen. Im Uebrigen richtet der mit Frau und Kindern gesegnete Constabler seine Lebensweise ganz nach Gutdünken ein, wie andere Menschen. Seine Collegen vom Junggesellenstand dagegen sind gehalten, auf der „Station“, zu der sie gehören, zu wohnen, was für sie ganz vortheilhaft ist, denn sie haben dafür wöchentlich nur eine Mark zu entrichten. Nicht minder billig verschaffen sie sich die Kost; die Tafel ist gemeinsam. Ein Proviantmeister kauft die Lebensmittel ein und versieht die Küche. Allwöchentlich stellt er die Rechnungen zusammen und repartirt deren Betrag auf die einzelnen in gleichen Theilen.

Für die geistigen Bedürfnisse der Sicherheitswächter ist ganz anständig gesorgt. Jede Division besitzt eine Bibliothek von eintausendfünfhundert bis zweitausend Bänden. Von Zeit zu Zeit werden die Bücher von Division zu Division geschickt, sodaß jede derselben die Bibliotheken der übrigen eine gewisse Zeit hindurch zur Verfügung hat. Auch besteht ein Fonds zum fortwährenden Ankaufen neuer Publicationen; der Beitrag jedes Policeman hierfür beträgt jährlich eine Mark. Ferner wird auf jedem Bureau eine Zeitung gehalten, und überdies bezahlen die „Blauen“ einen Lehrer, der ihre Kinder unterrichtet; die Wissensdurstigen unter den Eltern pflegen wohl selbst auch an den Vorträgen theilzunehmen.

An die etwaige Möglichkeit politischer Unruhen ist bei der Organisirung des heutigen „constabulary system“ nicht gedacht worden. Daher rührt es, daß die Regierung sich, als während der Fenier-Bewegung die vorhandenen Polizeikräfte nicht genügten, genötigt sah, die Nation um Bildung eines freiwilligen Constabler-Corps zu bitten. Diesem Aufrufe leisteten etwa 115,000 Personen Folge; sie wurden als „Special Constables“ beeidet und sind in Rechten und Pflichten des Dienstes den andern Constablern gleichgestellt, tragen jedoch keine Uniform, beziehen keinen Gehalt, gehen ihren Geschäften nach und treten überhaupt nur dann in ihrer Eigenschaft als Schutzleute auf, wenn ihnen etwas besonders auffällt. Militärische Sicherheitsposten, Patrouillen und dergleichen kennt das britische Sicherheitswesen nicht, und kein Soldat hat das Recht, eine Arretirung vorzunehmen. Doch kann es vorkommen – und während des Krimkrieges ist es der Fall gewesen – daß, wenn die Londoner Garnison in einem Feldzuge abwesend ist, Polizisten Soldatenstelle vertreten.

Noch ein Wort über die Einnahmequellen, durch welche die Kosten dieses riesigen Sicherheitsapparates gedeckt werden. Der Hauptposten unter ihnen ist die Polizeisteuer. Der Engländer zahlt nämlich für die Polizei ebenso separat, wie für das Wasser oder das Gas. Diese Steuer wird nach dem Grundsatze der Einkommensteuer bemessen: je mehr zu Bewachendes, desto mehr Steuer. Daher kommt es, daß der Staat selbst der größte Zahler ist. In dieser Hinsicht gilt er als Privatpartei. Wer sein Eigenthum speciell bewacht wissen will, hat überdies das Recht, gegen separate Bezahlung sich in Scotland Yard eine beliebige Anzahl Policemen für eine beliebige Zeit zu miethen. Von diesem Rechte machen die Museen, Staatscassen, Münzämter, die großen Banken etc. ausgedehnten Gebrauch. Um einige Beispiele anzuführen, sei bemerkt, daß das British Museum nicht viel weniger als 20,000, die Hauptpost etwa 8000, die Große Bildergalerie über 10,000, das Greenwicher Hospital zwischen 24,000 und 28,000 Mark jährlich bezahlen für das Vergnügen, ganz extra beschützt zu werden. Einige Eisenbahngesellschaften haben sogar ihre eigene Polizei für sich, deren Angehörige zwar in Scotland Yard geprüft werden, sonst aber mit der Metropolitan Police nichts zu schaffen haben. Auch beschränkt sich die Wirksamkeit dieser Bahnpolizisten auf die Gemarkungen der sie bezahlenden Gesellschaft; es ist das eben nur eine Abart der „Bahndiener“.

Wenn wir die von der Nordseite der „Bank“ – so nennt man in London die Bank von England – nach dem Hauptpostamt führende Straße, Gresham Street, betreten, so ist die erste Quergasse links „Old Jewry“ („Altes Ghetto“). Hier steht das Centralbureau jener Institution, die, im Gegensatze zur Metropolitan Police „City Police“ genannt wird. Es dürfte wohl keine andere Stadt mit zweierlei Polizeiverwaltungen zu finden sein. Die City Police bildet einen Zweig der City-Administration und untersteht daher vor Allem dem Lord-Mayor. Die eigentliche Leitung hat ebenfalls ein „Commissioner“ in Händen. Die Zahl der Constabler beträgt etwas über achthundert. Die City ist daher weit besser bewacht als das übrige London. Es kommen auf einen Policeman nur zehn Acres Boden und nur neunzig Menschen, denn die Area der City ist nicht viel ausgedehnter als die des Hyde-Parkes, und die dermalige Bevölkerungsziffer von 70,000 nimmt von Jahr zu Jahr ab, weil die Wohnungen mehr und mehr in Contors verwandelt werden. Und dennoch sind achthundert Schutzleute für dieses „Herz des Herzens von London“ nicht zu viel; der Verkehr in ihren Straßen ja überwältigend, in manchen derselben sind Dutzende von Constablern nöthig, um die Glieder und die Taschen des hin- und herfluthenden Publicums zu beschirmen. In der City sind mehr gute und böse Leidenschaften, ist mehr Leben, Energie und Aufregung concentrirt, als in irgend einem Gemeinwesen der Welt. Nirgends ist soviel Geld auf so kleinem Raume beisammen, und nirgends wird die Jagd nach Geld und die Anbetung des Mammon mit mehr Eifer betrieben.

Die City hatte schon vor vielen Menschenaltern eine Art Polizeisystem, welches, anfänglich freilich sehr unvollkommen, sich allmählich ziemlich vorteilhaft entwickelte. Als Peel die Metropolitan Police reorganisirte, wurde die City Police zwar ebenfalls nach demselben Muster umgestaltet, aber alle damals und später auftretenden Verschmelzungsvorschläge wurden von den Herren zu Guildhall, die auf ihre alten Vorrechte eifersüchtig sind, beharrlich zurückgewiesen. Die Constabler des Lord-Mayors werden etwas besser bezahlt als ihre Collegen von Scotland-Yard, im Uebrigen aber sind sie ebenso gestellt wie diese; selbst die Tracht ist so ziemlich dieselbe, nur daß die Citymänner auch noch schwarzgelbe und rosaweiße Schärpen am rechten Arme tragen, ein Abzeichen, das Allen, die es als Darstellung einer großen Macht kennen, gewaltigen Respect einstößt.

Aus dem Budget der City-Polizei für 1876 war z. B. zu entnehmen, daß die Erhaltung der Institution auf 1,763,670 Mark veranschlagt ward. Die nächstjährigen Einnahmen wurden mit 1,858,376 Mark berechnet. Einen Theil derselben bilden die von den Verurtheilten durch die zwei Polizeigerichte der City (Guildhall- und Mansion-House) eingehobenen Strafgelder; es müssen somit Diejenigen, welche von der Polizei zu leiden haben, zu ihrer Erhaltung wesentlich beitragen.

Bei der englischen Polizei giebt es keine „geheimen Fonds“; Alles geschieht ganz offen. Alljährlich veröffentlicht der Chief Commissioner einen Bericht, worin er über jeden eingekommenen und verausgabten Pfennig genaue Rechenschaft ablegt. Die Bewachung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_286.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)