Seite:Die Gartenlaube (1878) 294.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Fürchtest Du Dich vor mir?“ fragte er.

Sie machte eine verneinende Bewegung.

„Nun, weshalb denn dieses scheue, stumme Abwenden? Bin ich so hart gegen Dich gewesen, daß Du nicht einmal wagtest, mir wieder vor Augen zu treten?“

„Mir ist wirklich nicht wohl gewesen,“ versetzte Gabriele leise.

Der Blick des Freiherrn streifte das jugendliche Antlitz, das in der That nicht so rosig und frisch wie sonst erschien. Es lag etwas darüber wie ein Schatten, wie ein Hauch von Schmerz oder Unruhe, der diesen heiteren, lächelnden Zügen sonst ganz fremd war.

Raven nahm die Hand des jungen Mädchens; er fühlte, wie diese Hand bebte und es versuchte, sich der seinigen zu entziehen. Er hielt sie trotzdem fest, aber ohne jeden Druck, und seine Stimme klang kalt und ruhig, als er sagte:

„Ich weiß, was Dich bei unserer letzten Unterredung so erschreckt hat, und alles Verhüllen wäre hier nutzlos, aber Du brauchst nichts mehr zu fürchten – es ist bereits vorüber. Ich verlange von Dir die Bekämpfung einer Jugendthorheit und muß Dir doch vor allen Dingen das Beispiel geben, wie man solche Aufwallungen niederkämpft. Ich konnte auf Augenblicke meine Jahre und die Deinigen vergessen. Du hast mich zur rechten Zeit daran erinnert, daß die Jugend einzig zu der Jugend gehört, und ich bin Dir dankbar für diese Erinnerung. Vergiß, was ein unbewachter Augenblick Dir enthüllte! Es soll Dich nicht wieder schrecken. Ich habe schon Ernsteres und Tieferes niedergezwungen, und ich bin es gewohnt, meine Empfindungen meinem Willen unterzuordnen. Der Traum ist zu Ende, denn – er soll zu Ende sein.“

Gabriele hatte schon, als er zu sprechen begann, das Auge zu ihm emporgehoben; es lag noch immer eine bange Frage darin, indeß erwiderte sie nichts, und ihre Hand glitt widerstandslos nieder, als er sie aus der seinigen ließ.

(Fortsetzung folgt.)




Die Gesellschaft für Erdkunde in Berlin.
Zu deren Jubiläum am 30. April und 1. Mai.


Wenn in unserer schnell lebenden Zeit das fünfzigjährige Jubiläum einer einzelnen hervorragenden Person schon zu den großen Seltenheiten gehört und mit gebührender Feierlichkeit begangen zu werden pflegt, um wie viel mehr wird man ein solches Fest begehen dürfen, wenn es von einer der größten und bedeutendsten wissenschaftlichen Gesellschaften gefeiert wird, zu deren Entwickelung die einflußreichsten wissenschaftlichen Größen nicht nur des Centralpunktes, sondern des gesammten großen Vaterlandes, ja im weiteren Sinne die Spitzen der internationalen Kräfte durch Generationen beigetragen haben! Deshalb darf denn auch die „Berliner Gesellschaft für Erdkunde,“ deren fünfzigjähriges Bestehen am 30. April und 1. Mai dieses Jahres gefeiert wird, nicht nur als die zweitälteste ihrer Art auf dem Erdenrund, sondern auch wegen der großen Erfolge, die sie während fünf Jahrzehnten errungen hat, sicher sein, daß der in ihrem Kreise gefeierte Triumph der Wissenschaft, welcher einen Sieg des Menschen über die Natur bezeichnet, seinen Wiederhall überall finden wird. Im Herzen der rings über die fünf Welttheile zerstreuten Deutschen, ja bei allen gebildeten Nationen, welche jemals der Erforschung der Oberfläche unseres Planeten sich gewidmet haben, wird das Interesse wach sein für das schöne Fest.

Wo wäre das Land, welches deutsche Geographen nicht bereist haben, wo flösse ein Meer, welches ein deutscher Kiel nicht durchfurcht hat, wo wären Einöden und Wüsten, Felsengebirge und Stromgebiete, zu deren Erforschung deutsche Forschungsreisende nicht ihren redlichen Beitrag im friedlichen Wettkampf der Nationen geliefert haben? So gestaltet sich die Jubelfeier der ältesten deutschen Gesellschaft für Erdkunde mit Recht zu einem deutschen Feste!

Wohl jede größere deutsche Stadt hat in ihren Mauern ein oder das andere Ehren- oder correspondirende Mitglied der Berliner geographischen Gesellschaft. Noch größer ist die Zahl derjenigen ordentlichen Mitglieder, welche als auswärts lebende Deutsche weithin in alle Lande zerstreut sind, und die in treuer Anhänglichkeit an die Gesellschaft sich die gedruckten Verhandlungen und die Zeitschrift des Vereins sogar bis nach Yedo, Yokohama, Tientsin und Peking, Batavia und Calcutta, Lahore und Teheran, nach Kairo, Palma in Westafrika, Rio de Janeiro und Valparaiso, nach Washington, New-York und anderen Orten nachsenden lassen. Und zu alledem kommt dann eine Zahl von gegen siebenthalbhundert ordentlichen, allein in Berlin ansässigen Mitgliedern, welche den bevorzugtesten Berufsclassen angehören. Man begreift auf den ersten Blick kaum, wie die ungeheure Zahl von Männern, allein in einer Stadt, und wäre es auch der Centralpunkt des deutschen Reiches, sich lediglich zu dem Zwecke zusammenfinden kann, um die großen Ziele und Aufgaben der Geographie, jener seit den Tagen eines Humboldt zur vollen Wissenschaft erhobenen Disciplin, fördern und erfüllen zu helfen. Aber wenn man die Mitgliederliste genauer studirt und jeden Einzelnen nach seiner gesellschaftlichen Stellung betrachtet, dann sieht man erst, wie tiefe Wurzeln die Geographie in allen denjenigen Kreisen geschlagen hat, denen es auf ernstes Studium und Belehrung ankommt und welche wirklich das Bestreben haben, stets auf der jeweilig erreichten Höhe zu stehen. In dieser Beziehung gleicht der Geographie keine andere Wissenschaft, selbst nicht einmal die neuerdings zu so ungeahnter Höhe der Entwickelung gelangte Anthropologie und Ethnologie.

Es giebt deshalb auch keine wissenschaftliche Gesellschaft, weder in Berlin, noch in ganz Deutschland, in welcher sich die Vertreter fast aller hervorragenden Kreise zu einem so glücklichen Ganzen vereinigt haben, wie in dieser. Die eine Hälfte der Gesellschaft wird vollständig vom Gelehrten- und höheren Beamtenstande eingenommen, welche beide sich ungefähr an Zahl das Gleichgewicht halten. Gehören zu den Gelehrten nicht nur viele Mitglieder der Akademie der Wissenschaften, zahlreiche Universitätsprofessoren, Vertreter von Specialfächern, wie Astronomen, Botaniker, Geographen, Kartographen, Reisende und Privatgelehrte, Vorstände von Museen und Sammlungen, sondern auch zahlreiche eigentliche Lehrer von Gymnasien und Realschulen, so umfaßt der zweitgenannte Stand das hohe Beamtenthum durch alle Kategorien von der Excellenz abwärts, die vortragenden und Geheimräthe, Räthe jeder Art, namentlich viele Juristen, ferner Gesandte, Diplomaten, Politiker, Directoren, Consuln u. A. m. Diesen beiden Hauptsäulen der Gesellschaft, deren jede etwa hundertsiebenzig bis hundertachtzig Mitglieder umfaßt, schließen sich drei unter sich fast ganz gleich große Kategorien von je siebenzig bis achtzig Vertretern an, die Militärs nebst Mitgliedern der Marine, die Aerzte und die Kaufleute. Dann kommen die Verlagshändler, die Künstler und die besitzende Classe mit je etwa zwanzig Mitgliedern, und zuletzt – drei Schriftsteller – leider nur drei! Es giebt mehr als ein Beispiel, daß Mitglieder des Vereins demselben viele Jahre hindurch, während der Entwickelung ihrer ganzen gesellschaftlichen Stellung, treu geblieben sind.

So stand vor fünfzig Jahren der Hauptmann Baeyer an der Wiege der Gesellschaft und jetzt ist dieser einzig noch lebende Mitstifter der Präsident des königlich preußischen geodätischen Instituts und des Centralbureaus der europäischen Gradmessung, Generallieutenant z. D.; so wurden an einem und demselben Tage des Jahres 1830 Dr. Dove und Lieutenant von Roon zu Mitgliedern erwählt; heute ist der Erstere Ehrenpräsident, oder, wie der Titel eigentlich lautet, „Ehrendirector“ der Gesellschaft, Regierungsrath, Universitätsprofessor, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Vicekanzler des Ordens pour le mérite, Letzterer dagegen Ehrenmitglied der Gesellschaft und General-Feldmarschall. Derartige Beispiele ließen sich noch mehrere anführen.

Die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin ist aber nicht, wie Pallas Athene aus dem Haupte des Jupiter, fertig in die Welt getreten; es meldet uns vielmehr ein Trinkspruch von Dove bei Gelegenheit der fünfundzwanzigjährigen Feier im Jahre 1853

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_294.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)