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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

deren Entfernung wenig geschah, deren Zersetzungstoffe vielmehr meistens ungestört die Luft verpesteten und bei mangelndem Straßenpflaster auch durch Regen nicht weggespült, sondern höchstens zur Verderbniß der Brunnen in die Erde hinein ausgelaugt wurden, mußte der Grund und Boden unserer Städte mehr und mehr ein Herd für ungezählte Krankheiten werden, welche bald als langsames Siechthum, Wohlsein und Kräfte untergrabend, ihre Opfer frühem Alter und vorzeitigem Tode überlieferten, bald aber in furchtbaren, Massen mordenden Volksseuchen große Länderstrecken mit Schrecken und Entsetzen erfüllten. Nicht Juden haben die Brunnen vergiftet, wenn schwarzer Tod, bösartige Nervenfieber, Pest und Cholera die Städte entvölkerten, sondern unsere Vorfahren selbst haben solche verheerende Krankheiten durch langsame Vergiftung des Erdbodens, auf dem sie wohnten, verschuldet, und die Sünden der Väter sind heimgesucht worden an den Kindern und Kindeskindern.

Wohl haben schon vor Alters einzelne Aerzte und scharfsichtige Naturbeobachter ihren Mahnruf erschallen lassen, daß Schmutz und Unreinlichkeit jeder Art geeignet sind, Krankheiten hervorzurufen und zu begünstigen, und deshalb aus der Nähe unserer Wohnungen entfernt werden müßten; auch haben an vielen Orten Gesetze und Anordnungen nicht gefehlt, die durch Pflasterung der Straßen und Höfe, durch Abfuhr oder Fortspülen des Unraths, durch Ableiten oder Austrocknen stehender Gewässer und Sümpfe, durch Abtragung von Wällen und Mauern, durch Regelung der Neubauten, durch Anlegen und Bepflanzen von Plätzen und auf mancherlei andere Weise Wohlfahrt und Gesundheit der Bevölkerungen zu fördern bezwecktet. Aber erst in neuerer Zeit sehen wir, neben der nothgedrungenen Anhäufung großer Menschenmassen auf engem Raum und in kolossalen Häuserbauten, andererseits zugleich neue Ansiedelungen immer weiter hinaustreiben in die Felder, auf unbefleckten Boden, möglichst entfernt von den überfüllten Mittelpunkten des Geschäfts- und Erwerbslebens. Dabei führt ein instinctartig wirkendes Gefühl die Bewohner größerer Städte in früher nie geschauten Massen nach vollbrachtem Tagewerke, wie an Sonn- und Feiertagen hinaus „aus ihrer Mauern bedrückender Enge“. Es drängt sie, mit reiner Luft neue Kraft und frischen Muth einzufangen für den Kampf um’s Dasein, der freilich auch in früher niemals geahnter Anspannung alle Kräfte des Körpers wie des Geistes anstrengt und ausnutzt. Es ist dasselbe unbewußte, aber heilsame Gefühl, das alljährlich immer größere Schaaren der Städtebewohner in die Sommerfrischen zieht, in Wälder und Berge, wie an die Ufer der Meere. Man will sich stärken an der Natur, wie der Titane Antäus durch Berührung mit der Mutter Erde.

Betrachten wir einmal genauer, wie die Verderbniß des Bodens durch Vermittelung von Grundwasser und Grundluft schädlich auf das menschliche Leben wirkt!

Der Grund und Boden, auf welchem unsere Wohnstätten errichtet sind, besteht aus locker zusammengehäuften Mineralien verschiedener Consistenz, hauptsächlich aus kieselhaltigem Sand, Thonerde, Kalk u. dergl. m. Selbst wo auf festen Fels gebaut wird, sind Lücken, Spalten, Unebenheiten der Oberfläche mit solchen losen Massen angefüllt. Dieselben enthalten in ihren Zwischenräumen beträchtliche Mengen von Luft, die z. B. in ziemlich festem Kiesboden reichlich ein Drittheil seiner Masse ausmachen. Wenn Wasser in den Boden eindringt, so verdrängt es die Luft zum Theil oder auch gänzlich, sinkt aber allmählich immer tiefer, bis es auf eine undurchlässige Schicht Erde, etwa blauen Thon, oder Gestein, z. B. Granit, trifft, auf deren Fläche es abwärts weiter fließt, wenn es nicht durch undurchdringliche Seitenwände oder muldenförmige Gestaltung des Bodens aufgehalten wird. Regen- und anderes atmosphärisches Wasser, welches an der Oberfläche eindringt, kommt also an anderen tiefer liegenden Stellen in Quellen oder Brunnen wieder zu Tage.

Auf diesem Wege nimmt das Wasser von Allem, was ihm begegnet, mit, so viel es davon durch die Gewalt seiner Bewegung mitzuschwemmen oder aufzulösen und fortzutragen vermag, darunter dann namentlich organische Stoffe aus dem Hauskehricht und Küchenabfall, aus dem Wirthschaftswasser, aus menschlichen und thierischen Excrementen, die irgendwo auf der Oberfläche oder in für Wasser zugänglichen Vertiefungen lagern. Das lockere Erdreich hat aber die Eigenschaft, die in dem Wasser schwebenden oder aufgelösten Stoffe aufzufangen und mit Hülfe des Sauerstoffs der in seinen Poren befindlichen Luft langsam zu verbrennen. Die hierbei schließlich gebildeten luftförmigen Stoffe, wie Kohlensäure, Ammoniak oder Salpetergas, werden theilweise von dem tiefer in den Grund einsickernden Wasser mitgenommen, theilweise von den im Boden sich ausbreitenden Pflanzenwurzeln aufgesogen und zum Wachsthum der Pflanzen verwendet, der Rest aber gelangt vermittelst der die lockere Erde durchwehenden Luftströmungen wieder an die Oberfläche und somit auch in die Umgebung, wie in das Innere unserer Wohnungen.

Der Erdboden vermag auf diese Art sehr beträchtliche, allerdings nach seiner Beschaffenheit verschiedene Mengen von organischen Stoffen in ihre Bestandtheile und für uns unschädliche Verbindungen zu verwandeln, welche, in Quellen und Brunnen gelangt, dem Wasser z. B. sogar durch Kohlensäure und den vermittelst derselben aufgelösten kohlensauren Kalk eine gewisse Härte, erfrischender Geschmack und seine durstlöschende Eigenschaft verleihen. Werden aber dem Erdboden mehr organische Stoffe zugeführt, als er zu zersetzen vermag, so können durch die faulenden und verwesenden Stoffe ebensowohl die Wasseradern, wie auch die Grundluft verunreinigt und für die sie trinkenden oder einathmenden Menschen giftig gemacht werden. Wo zum Zweck der Fundamentirung größerer Banken, zur Anlegung oder Ausbesserung von Sielen, Wasser- und Gasleitungsröhren etc. in älteren Städten die Straßen ausgegraben werden, da findet man die Erdschichten oft bis zu bedeutender Tiefe schwarz moderig, mit organischen Ueberresten gesättigt und übele Gerüche aushauchend.

Wasser, welches auf solchen mit verwesenden Stoffen übersättigten Erdschichten zu größeren Wasseradern oder in Brunnen absickert, wird trübe, übelriechend und übelschmeckend; nur wenn noch andere, unvergiftete Erde es filtrirt, welche die ihm anhaftenden Verunreinigungen zurückhält oder in unschädliche Stoffe umwandelt, wird es schließlich rein und klar zusammenrinnen. Es ist leicht begreiflich, daß in älteren oder nicht besonders günstig gelegenen Großstädten mit durchweg übersättigtem Boden die Brunnen nur selten gutes Wasser liefern können, aber auch in kleineren Städten und Dörfern können aus Unrathanhäufungen, Dungstätten, Begräbnißplätzen, oder auf sumpfigem, moorigen Untergrunde, durch Uebersättigung des Bodens Brunnen vergiftet werden. Der Genuß solchen Trinkwassers ist nicht blos widerlich, sondern auch schädlich: Sumpfwasser z. B. erzeugt, wie allgemein bekannt, Durchfälle, Ruhren und ähnliche Krankheiten, aber auch Cholera und Typhus wüthen oft mit furchtbarer Heftigkeit in dem Bezirke schlechten Wassers.

Die Gefährlichkeit desselben wird durch Abkochen vermindert, weil durch die Siedehitze manche organische Stoffe zerstört, z. B. lebende Organismen getödtet, andere mit dem Dampf ausgestoßen, noch andere zu Boden gefällt werden. Aus diesem Grunde suchen ja die Bewohner von Sumpfgegenden, welche kein gutes Wasser haben, den Durst nicht mit kaltem Wasser, sondern mit heißbereiteten Aufgüssen aromatischer Kräuter oder mit Mischungen von heißem Wasser und Branntwein zu löschen, wobei vielleicht auch die Zusätze dazu dienen, um Bestandtheile des schlechten Wassers unschädlich zu machen.

Weniger bekannt oder anerkannt als die Schädlichkeit verunreinigten Trinkwassers sind die schädlichen Eigenschaften verunreinigter Grundluft, weil diese sich unseren Sinnen weniger bemerklich macht und erst durch längere Einwirkung ihren Einfluß ausübt, der dann meistens anderen Umständen, z. B. einer Erkältung oder einem Diätfehler zugeschrieben wird, und weil sie in Ursprung und Verbreitung weit schwieriger zu verfolgen ist, als das durch organische Reste verunreinigte Wasser. Indessen wird doch die giftige Wirkung der aus dem Boden sich erhebenden verdorbenen Grundluft durch hinreichend sichere Thatsachen dargethan.

Dahin gehört zunächst die mehrfach gemachte Beobachtung, daß aus undichten Gasleitungsröhren in den Erdboden ausgetretenes Leuchtgas seinen Weg in entfernte Wohnräume gefunden und sich dort durch den Geruch bemerklich gemacht, so wie auch schwere, ganz unverkennbare Leuchtgas-Vergiftungen hervorgerufen hat. Die gewöhnliche Grundluft kann nicht so auffallende Erscheinungen hervorbringen, weil sie in geringeren Mengen vordringt, auch nicht so frappant riecht, wiewohl sie von dem nicht daran Gewohnten häufig als eine Art moderigen oder stechenden Geruches wahrgenommen wird.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_302.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)