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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Eine fernere vollkommen zuverlässige Beobachtung, welche hierher gehört, ist die, daß in München und an anderen Orten mit dem Sinken des Grundwassers die Zahl der Typhuskranken zunimmt, und die andere Beobachtung, daß Cholera-Epidemien dem raschen Sinken des Grundwassers folgten. So weit nämlich die organischen Stoffe ganz von Wasser bedeckt sind, stocken die Umwandlungen, welche den Zutritt und die Mitwirkung des Sauerstoffes der atmosphärischen Luft verlangen. Sinkt aber das Wasser und läßt von oben Luft nachdringen, so geschehen, besonders wenn nun auch die Sonne ihre erwärmende Kraft auf den Erdboden geltend macht, die Zersetzungen in beschleunigtem und verstärktem Maße; die mit Zersetzungserzeugnissen durchtränkte, vielleicht auch von kleinsten Organismen bevölkerte Grundluft kann in größeren Mengen an die Oberfläche gelangen und an geeigneten Orten, sowie unter sonst günstigen Verhältnissen, ihre krankmachenden oder wenigstens die Entstehung von Krankheiten begünstigenden Wirkungen auf die sie einathmenden Menschen entfalten. – In beiden erwähnten Fällen ist freilich die in Folge des Grundwassersinkens entstehende Verderbniß der Grundluft und deren Ausdünstung nicht die alleinige Ursache der genannten Krankheiten, es liegt aber in diesen Umständen eine wesentliche Bedingung derselben, weil ohne ihr Vorhandensein beide Krankheiten wohl in einzelnen Fällen vorkommen können, sich aber nicht epidemisch, das heißt über einen beträchtlichen Theil der an dem Orte wohnenden Bevölkerung, ausbreiten.

Endlich ist es sehr wahrscheinlich, daß längere Zeit fortgesetzte Einathmung der verdorbenen Grundluft die Ursache der kränklichen Beschaffenheit ganzer Bevölkerungen von Orten oder Gegenden ist. Wir sehen in Oertlichkeiten, in denen man das reichliche Vorhandensein und mehr oder weniger beständige Einwirken einer durch Erzeugnisse, organischer Zersetzung verdorbenen Luft annehmen muß, die Einwohner bleich und schwach werden; sie erliegen zahlreichen Krankheiten, welche von anderen, unter günstigeren Verhältnissen lebenden Menschen glücklich überstanden werden, und leiden besonders häufig an gewissen Krankheiten, wie Bleichsucht, englischer Krankheit oder Zwiewuchs, Drüsenkrankheiten, bösartige Rheumatismen, Schwindsüchte u. a. m., die ebenfalls an Orten mit reiner Luft viel weniger häufig und nicht so verderblich aufzutreten pflegen.

An die Oberfläche wird die Grundluft durch verschiedene Kräfte getrieben. Schon in Folge ihrer Verwandlung in luftförmige Stoffe oder Gase nehmen die Erzeugnisse der im Erdboden vorgehenden Zersetzungen größeren Raum ein, als sie vorher in festem oder tropfbar flüssigem Zustande innehatte, und streben, vermöge einer allen Luftarten zukommenden Eigenschaft, dahin, sich nach allen Seiten in der Luft auszubreiten. Sodann ist aber auch der lockere Erdboden, so lange er trocken ist, für den Wind durchgängig und kann von demselben durchweht und ausgelüftet werden, was besonders geschieht, wenn er durch Hindernisse der geraden Fortbewegung an der Oberfläche, z. B. durch Mauern von Gebäuden, aufgestaut und so in seiner Druckkraft verstärkt wird. Ein sehr einfacher Versuch kann dies augenscheinlich machen. Füllt man ein festes Rohr, etwa eins von starkem Glase, mit Erde oder Kies, den man recht fest stampft, und bläst nun kräftig in die eine Oeffnung hinein, während die andere gegen eine Kerzenflamme gerichtet ist, so sieht man nach weniger Zeit, welche gebraucht wurde, um den Widerstand der engen Lufträume zu überwinden, die Flamme sich von dem Rohre abwenden, der durch das Rohr getriebene Luftstrom drängt sie fort. Dies gelingt nicht, sobald der Inhalt unseres Rohres mit Wasser durchtränkt ist, weil die Luft dann nicht mehr freie Zwischenräume findet, durch welche sie sich gleichsam hindurchwinden kann.

Auch wenn die in einem Gebäude befindliche Luft durch Erwärmung ausgedehnt wird, dringt die kältere und deshalb schwerere Außenluft nicht nur durch Fenster- und Thürspalten, sondern auch durch die Mauern und den Erdboden nach, nimmt die Grundluft mit oder treibt sie vor sich her in den erwärmten Raum. Wir fühlen diese Luftbewegung nur deshalb nicht, weil sie zu langsam ist; unsere Haut fühlt bewegte Luft erst, wenn sie mindestens einen Meter in der Secunde zurücklegt.

Im Freien vertheilt sich die aufsteigende Grundluft rasch in der Atmosphäre und wird meistens durch ihre große Verdünnung unschädlich. Anders in Wohnungen, wo sie um so dichter zusammenbleibt, je mehr durch festen Verschluß der Thüren und Fenster, sowie durch ungeeignete Beschaffenheit, Feuchtigkeit, dichtes Zusammengedrängtsein mehrerer Mauern u. dergl. m. der Zutritt der äußere Luft erschwert wird.



Mein Freund Türk.
Skizze von Julius von Altenau.

Jawohl, Türk schrieb er sich, T-ü-r-k obwohl er mit Pascha Midhat’s undankbarem Vaterlande Nichts zu thun hatte. Denn er war ein Engländer, wenn nicht von Geburt, so doch dem Stammbaum nach, ein richtiger „John Bull“. Er selbst war freilich niemals dahin zu bringen, sich über diesen Punkt auszusprechen, allein ich erfuhr es durch dritte Personen. In Middlesex sollten seine Altvordern ansässig gewesen sein. Er trug auch ganz den englischen Typus.

Aufrichtig gesagt: hübsch konnte man ihn nicht nennen. Von Gestalt war er zwar ausnehmend stattlich, gedrungen und muskulös gebaut. Seine Brust, breit und hochgewölbt, deutete auf kerngesunde innere Organe. Was aber seine äußere Erscheinung sehr beeinträchtigte, das war zunächst die strohgelbe Farbe seines Haares, welches außerdem stellenweise ein Bischen struppig war. Struppig und strohgelb läßt niemals besonders schön.

Noch mehr als sein Haar war die wirklich ungewöhnliche Form seiner Nase für meinen Freund bezeichnend. Es war gerade, als ob Jemand dieselbe mittelst eines Säbels in zwei separate Hälften gespalten hätte, von denen die eine mit der andern platterdings nichts mehr zu thun haben wollte. Unterhalb dieses merkwürdigen Riechapparates verunstaltete ihn eine entschiedene Hasenscharte, aus der gelegentlich zwei kräftige Zähne hervorblitzten.

Von Charakter war Freund Türk im Ganzen edel und gut. Ich entsinne mich nicht, daß während unserer dreijährigen Bekanntschaft und eines hierdurch bedingten tagtäglichen Beisammenseins jemals das leiseste Zerwürfniß zwischen uns obgewaltet hätte. Wir verstanden und achteten uns gegenseitig. Man mußte ihm in der That gut sein. Schon seine kleinen, unter buschigen Brauen blinzelnden grauen Augen hatten etwas Wohlwollendes und behäbig Gutmüthiges, gepaart mit dem Ausdruck von Selbstbewußtsein und Würde. Zuvorkommende, aufopfernde Gefälligkeit war einer der Haupt- und Grundzüge seines Wesens. Wenn ich auf der Heimkehr aus einem mit Türk gemeinschaftlich besuchten Local plötzlich bemerkte, daß ich in der Zerstreutheit ein Schnupftuch, eine Reitgerte, ein Cigarren-Etui dort zurückgelassen hatte, so genügte eine Andeutung – und wenige Minuten später überreichte mir mein Freund das Vermißte, vielleicht keuchend vom eiligen Laufe, jedenfalls aber in verbindlicher Form. Allerdings konnte er auch Momente haben, wo er schrecklich war und sich selbst nicht kannte. Aber dann war er entweder von Unberufenen in seinen unveräußerlichen Interessen gekränkt worden, oder … er hatte Champagner getrunken.

Jawohl, Champagner war seine Schwäche. Hier war die Stelle, wo er sterblich war. Alle Marken dieses schäumenden Fabrikats waren ihm recht, aber wenn er sie haben konnte, gab er einer Flasche Carte noire den Vorzug. Wie oft hab’ ich ihm wegen dieser Leidenschaft die bittersten Vorwürfe gemacht! Vergebens. Ich glaube, um einer Flasche Carte noire willen wäre er einer unedlen Handlung, wäre er eines Verbrechens fähig gewesen.

Wir waren dazumal Beide noch jung; wir wohnten zusammen; wir aßen und tranken zusammen; wir schliefen zusammen. Wir waren mit einem Wort unzertrennlich. Früh Morgens, wenn ich noch im Bett lag, weckte er mich. Sobald wir gemeinschaftlich unser frugales Frühstück eingenommen und das Vormittags-Colleg in Folge Katzenjammers glücklich verschwänzt hatten, begleitete er mich zum Frühschoppen. Seine Schnauze …

„…Seine Schnauze?…“

„Gewiß, meine Gnädigste; seine Schnauze also …“

„Aber mein Gott, Doctor, von wem sprechen Sie eigentlich?“

„Von wem ich spreche, Madame? Ich begreife Sie nicht. Natürlich spreche ich von Türk, meiner englischen Dogge. Aeußerlich angesehen war er nur ein Hund, und zwar ein Hund, der in meinen Diensten stand; in Wirklichkeit war er mein Freund. Sie lachen mich aus, aber ich werde Ihnen eine Scene aus der Zeit meines Zusammenseins mit ihm vorzeichnen, und Sie werden aufhören, jenen Ausdruck lächerlich zu finden. Schließen Sie die Augen, gnädige Frau! Nehmen Sie wie Traumbilder auf, was ich Ihnen erzähle! Das Feuer prasselt, und die Funken knistern im Kamin, und draußen pfeift der Aprilsturm. Was können Sie Besseres thun in diesem Augenblick als träumen?“

* * *

Zu einer richtigen Heerstraße gehören Etappen, wie die Oasen zur Wüste, und solcher Oasen gab es in meiner Studienzeit auch auf der großen Studentenheerstraße, welche von Heidelberg über Gießen und Marburg gen Göttingen oder auch umgekehrt führte. Nicht der geringsten eine war der ‚Löwe‘ zu Kassel. Ja, und der Papa Lehnert im ‚Löwen‘ kannte sie alle, seine deutschen Corpsburschen, die Grünen und die Schwarzen, die Blauen wie die Rothen. Aber er kannte sie nicht blos: er liebte sie auch. Er beherbergte die Müden; er speiste die Hungerigen; er tränkte die Durstigen. Die letzte Kategorie war die zahlreichste. Als Aequivalent genügte ihm eine kurze, aber vollständige Adresse. Nie im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_304.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)