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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Um hohen Preis.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und Uebersetzungsrecht vorbehalten!


„Und nun fasse wieder Vertrauen zu mir, Kind!“ fuhr Raven fort. „Wenn ich jetzt streng gegen Dich und Deine Liebe bin, so sieh darin nur die Pflicht des Vormundes, der für ein junges, ihm anvertrautes Wesen einzustehen hat. Willst Du mir das versprechen?“

„Ja, Onkel Arno.“ Der Name kam doch seltsam zögernd und gezwungen von den Lippen des jungen Mädchens. Die Unbefangenheit, mit der sie einst dem „Onkel Arno“ entgegengetreten, war unwiederbringlich dahin.

„Ich habe mit dem Assessor Winterfeld gesprochen,“ nahm Raven wieder das Wort, „und ihm gleichfalls mitgetheilt, daß ich meine Einwilligung zu Deiner Verbindung mit ihm auf das Entschiedenste versage. Es bleibt bei meinem Nein, denn ich weiß, daß eine solche Verbindung nach kurzer Täuschung für Dich nur eine Quelle der Sorgen und Thränen werden würde, und um Deiner selbst willen muß ich sie verhindern. Du bist in aristokratischen Anschauungen und Gewohnheiten erzogen, an Reichthum und Ueberfluß gewöhnt und wirst Dich nie in einer anderen Sphäre zurechtfinden. Was Dir Winterfeld bieten kann, ist im besten Falle die einfachste Häuslichkeit mit den bescheidensten Mitteln. Mit jener Heirath trittst Du in ein Leben von Dunkelheit und Entbehrungen und mußt Alles zurücklassen, was Dir lieb und nothwendig ist. Es mag Charaktere geben, die solchen fortwährenden Aufopferungen und Entsagungen gewachsen sind – Du bist es nicht; Du müßtest denn Deine ganze Natur ändern, und ich habe es dem Assessor fühlen lassen, welchen Egoismus er bekundet, wenn er Dir dergleichen Opfer zumuthet.“

„Er muthet sie mir nur für wenige Jahre zu,“ fiel Gabriele ein. „Georg Winterfeld steht ja erst im Anfange seiner Laufbahn, und wir vertrauen auf die Zukunft. Er wird sich emporarbeiten, wie Du selber es gethan hast.“

Raven zuckte die Achseln. „Vielleicht – vielleicht auch nicht! Jedenfalls ist er keine von den Naturen, die sich ihre Zukunft im Sturme erringen und erobern; er gewinnt sie höchstens mit ruhiger, steter Arbeit. Aber dazu gehören lange Jahre, und dazu gehört vor Allem, daß er frei und auf sich selbst gestellt bleibt, wie jetzt. Die Sorge für eine Familie, die tausend Bande und Rücksichten, mit denen sie ihn fesselt, wird ihm keinen Raum mehr zur Entfaltung seines Ehrgeizes lassen und ihn in die Bahn der Alltäglichkeit lenken, wo man nur noch arbeitet, um zu leben. Dann ist er verloren für jedes höhere Ziel, und Du bist es mit ihm. Du weißt freilich noch nicht, was es heißt, mit der ganzen Existenz auf eine Summe angewiesen zu sein, wie sie jetzt Dein Toilettengeld bildet. Ich möchte Dich davor bewahren, es zu erleben, wie das Ideal von der Hütte und dem Herzen in Wirklichkeit aussieht.“

In Gabrielens Auge schimmerte eine Thräne, als der Vormund ihr mit fester, grausamer Hand das Zukunftsbild zeichnete, aber sie vertheidigte sich muthig.

„Du glaubst an keine Ideale mehr,“ entgegnete sie. „Du hast es mir ja selbst gesagt, daß Du die Welt und das Leben verachtest. Wir glauben noch daran, und darum wird es für uns auch noch Liebe und Glück geben. Georg hat nie daran gedacht, mir jetzt schon seine Hand zu bieten; er weiß, daß dies nicht möglich ist, aber in vier Jahren bin ich mündig, und er hat eine höhere Stellung erreicht, dann gehöre ich ihm, und dann hat Niemand mehr das Recht uns zu trennen, Niemand auf der Welt.“

Sie warf die Worte mit einer ganz ungewohnten Hast und Leidenschaftlichkeit hin, aber es war darin nicht der frühere Trotz und Eigensinn. Es war vielmehr ein halb unbewußtes, angstvolles Sträuben gegen jene Empfindung, der Gabriele schon im Anfange ihres Hierseins Worte geliehen, als sie der Mutter gestand, es sei ihr, als gehe von dem Freiherrn irgend eine geheime Macht aus, die sie quäle und gegen die sie sich wehren müsse um jeden Preis. Auch heute flüchtete sie sich in ihre Liebe zu Georg, und das allein war es, was die Heftigkeit ihrer Antwort verschuldete.

Um Raven’s Lippen spielte ein bitteres Lächeln. „Du scheinst ja sehr genau zu wissen, bis zu welcher Grenze meine Macht reicht,“ erwiderte er. „Man wird Dir das wohl oft genug klar gemacht haben; wofür ist man denn Jurist! Nun gut, so lassen wir die Sache ruhen bis zum Tage Deiner Mündigkeit. Wiederholst Du mir dann die heutigen Worte, so kann und werde ich Dich nicht mehr hindern, wenn unsere Wege sich auch fortan trennen. Bis dahin aber soll kein übereiltes Versprechen und keine eingebildete Fessel Dich binden, und deshalb wird Winterfeld Dir von jetzt an fern bleiben. Inzwischen bist Du frei, für die Bewerbung eines Jeden, dessen Lebensstellung und Persönlichkeit ihn dazu berechtigt. Ich werde einer ebenbürtigen Vermählung meine Einwilligung nicht versagen – das war es, was ich Dir mittheilen wollte.“

Er hatte ernst und kalt gesprochen; nicht das geringste Beben der Stimme, nicht das leiseste Zucken der Lippen verrieth, daß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_307.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)