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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

die letzte Verheißung ihm schwer werde. Der Traum sollte ja zu Ende sein, und Arno Raven schien ganz der Mann, dieses Wort wahr zu machen. Er zwang sich selbst mit der gleichen despotischen Gewalt, die er gegen Andere ausübte.

Er öffnete die Thür des Nebenzimmers, in dem sich die Baronin befand, die zu ihrem großen Leidwesen auch nicht ein Wort der Unterredung hatte auffangen können, da die schweren Portièren jeden Schall dämpften.

„Wir sind zu Ende, Mathilde,“ sagte der Freiherr. „Ich übergebe Ihre Tochter jetzt Ihrer Obhut, aber noch einmal – keine Vorwürfe! Ich will es nicht. Leb’ wohl, Gabriele!“




„Jetzt fange ich aber wirklich an, die Geduld zu verlieren,“ sagte Max Brunnow, als er in die Wohnung seines Freundes trat. „Ich glaube, alle Welt hat sich in die Ansicht des Hofrathes Moser verrannt, daß ich nothgedrungen staatsgefährlich sein müsse, weil ich den Namen Brunnow trage. Ueberall sieht man mich mit verdächtigen oder hochachtungsvollen Blicken an, je nach der Parteistellung. Es ist diesen Menschen schlechterdings nicht beizubringen, daß ich ein friedfertiger Arzt bin, der nicht daran denkt, Revolutionen anzuzetteln und Regierungen zu stürzen, sondern im Gegentheil die vortrefflichsten Anlagen zu einem ganz musterhaften Staatsbürger hat. Aber das glaubt mir Niemand, und nun bin ich mit meiner verhängnißvollen Familientradition auch noch in dieses aufgeregte R. gerathen, das fortwährend die krampfhaftesten Versuche macht, seinen Gouverneur abzuschütteln und sich dabei äußerst revolutionssüchtig zeigt. Aber Seine Excellenz sitzen fest im Sattel und setzen dem widerspänstigen Roß bei jedem Sprunge, den es macht, die Sporen tiefer in die Seiten. Der ist Euch Allen gewachsen.“

Assessor Winterfeld, der in der Sopha-Ecke lehnte, hatte ganz gegen seine Gewohnheit den Freund nicht begrüßt. Er achtete kaum auf dessen Worte und sagte jetzt in mattem gedrücktem Tone:

„Gut, daß Du kommst, Max! Ich wollte Dich soeben aufsuchen, um Dir eine Neuigkeit mitzutheilen.“

Max wurde aufmerksam. „Was giebt es denn? Ist Dir etwas Unangenehmes widerfahren?“

„Ja. Ich verlasse R. – wahrscheinlich auf immer.“

„Um Himmelswillen, was ist denn vorgefallen? Du willst fort?“

„Ich will nicht – ich muß. Heute Morgen habe ich die Nachricht von meiner Versetzung nach der Residenz und an das Ministerium erhalten.“

„An das Ministerium?“ wiederholte Max. „Ist das eine Beförderung oder –“

„Nein, es ist ein Gewaltschritt des Gouverneurs,“ brach Georg mit Bitterkeit aus. „Ich soll fort aus Gabriele’s Nähe; es soll uns in Zukunft jede Begegnung unmöglich gemacht werden. Raven hat es mir ja angekündigt, daß er seine Macht schonungslos gebrauchen werde. Er macht die Drohung nur zu bald wahr.“

„Du glaubst, daß diese Schritte gegen Dich von Deinem Chef ausgehen?“ fragte der junge Arzt, der jetzt auch ernst geworden war.

„Es ist sein Werk allein. Er ist einflußreich genug in der Residenz, um mich in eine der dortige Vakanzen einzuschieben, noch dazu, wenn es unter dem Vorwande der Verwendung für einen strebsamen jungen Beamten geschieht, dem man vorwärts helfen möchte. Ich weiß, daß von meiner Versetzung nie die Rede gewesen ist, sie trifft mich jetzt wie ein Blitzstrahl. Freilich, ich hätte den Freiherrn kennen sollen. Er droht nie, aber er weiß zu treffen. Seit unserer letzten Unterredung habe ich kein Zeichen seines Unwillens empfangen. Er vermied den Verkehr mit mir, und wenn er mir hin und wieder einige Worte sagen mußte, so geschah es kühl und geschäftsmäßig, aber ohne die geringste Hindeutung auf das Vorgefallene. Ebenso kühl und geschäftsmäßig kündigte er mir heute Morgen in der Kanzlei meine neue Bestimmung an. Er fügte sogar einige anerkennende Worte über einen Bericht hinzu, den ich für das Ministerium ausgearbeitet habe, und der ihm wahrscheinlich den Vorwand lieferte, die Sache einzuleiten. Das Ganze ließ sich wie eine besondere Bevorzugung an, und die Collegen gratulirten mir denn auch zu den brillanten Aussichten, die sich mir in der Residenz eröffnen.“

„Da haben sie ganz Recht,“ bemerkte Max, der jetzt, wo die erste Ueberraschung vorbei war, die Sache wie gewöhnlich von der praktischen Seite nahm. „Dein Chef mag persönliche Gründe gehabt haben; allzu schlimm ist er gerade nicht mit Dir verfahren, als er Dir die Residenz und das Ministerium öffnete. Das ist der Boden, aus dem er seine eigene glänzende Carrière gemacht hat. Was hindert Dich, es ihm nachzuthun?“

„Was hilft es mir,“ rief Georg mit Heftigkeit, indem er aufsprang, „wenn ich mich dort emporringe und emporarbeite, während mir hier Alles genommen wird, was mir das Leben und die Zukunft theuer macht? Ich weiß, daß ich Gabriele verliere, wenn sie all den feindseligen Einflüssen, die unsere Liebe bedrohen, hier jahrelang preisgegeben bleibt. Eine Natur wie die ihrige kann da nicht Stand halten, und ich ertrage es nicht, sie zu verlieren.“

Der junge Arzt hatte in aller Ruhe die leer gewordene Sopha-Ecke eingenommen und schien die Erregung seines sonst so besonnenen Freundes sehr wenig zu begreifen.

„Du bist ja ganz außer Dir,“ sagte er. „Was meint denn Fräulein von Harder zu der Trennung? Ist sie überhaupt schon davon unterrichtet?“

„Das weiß ich nicht. Mir ist ja jeder Verkehr mit ihr abgeschnitten, aber ich muß sie vor meiner Abreise noch einmal sehen und sprechen, ich muß, koste es was es wolle! Wenn mir kein anderer Ausweg bleibt, so gehe ich geradewegs zu der Baronin Harder und erzwinge mir den Abschied von meiner Braut.“

Max zuckte die Achseln. „Nimm es mir nicht übel, Georg, das ist eine unsinnige Idee. Die Baronin steht zweifellos unter dem Einfluß ihres Schwagers, und der läßt sich sicher nichts abtrotzen. Laß uns die Sache einmal vernünftig überlegen! Vor allen Dingen – wann mußt Du fort?“

„Schon in den nächsten Tagen, man hat selbstverständlich für einen Posten gesorgt, der sofortige und dringende Vertretung erfordert.“

„So ist keine Zeit zu verlieren. Du warst ja wohl erst kürzlich bei dem Hofrath Moser?“

„Ich habe ihm selbst einige Acten zurückgebracht, die ich mit nach Hause genommen hatte.“

Max sann nach. „Gut, so hast Du einen Vorwand, das zum zweite Male zu thun. Nimm meinetwegen das dickste Actenheft mit, das Du in Deiner Kanzlei auftreiben kannst, aber richte Dich so ein, daß Du den Hofrath verfehlst! Das ist die Hauptsache.“

Georg, der unruhig im Zimmer auf und nieder ging, blieb überrascht stehen. „Aber was soll denn das alles heißen?“

„Geduld – ich habe einen ganz vorzüglichen Plan. Fräulein Agnes Moser ist mit Baroneß Harder bekannt, allerdings nur oberflächlich. Der Hofrath hat seine Tochter den Damen vorgestellt, und die jungen Mädchen haben sich einige Male gesehen und gesprochen.“

„Woher weißt Du denn das alles?“ fiel Georg ein. „Ich denke, Du hast Fräulein Moser nur ein einziges Mal gesehen, bei jener irrthümlichen Visite?“

„Bitte um Entschuldigung; ich sehe und spreche sie fast täglich bei meiner Patientin, die ich auf Deinen Wunsch behandele; sie arbeitet an dem Seelenheil der Kranken und ich an deren leiblichem Wohle. Die Theilung der Arbeit geht ausgezeichnet von Statten.“

„Aber Du hast mir ja niemals eine Silbe davon erzählt.“

„Wozu das? Du bist verliebt, und verliebte Leute haben selten Interesse für vernünftige Dinge.“

Winterfeld überhörte die Bosheit, die in diesen Worten lag; der Gedanke an ein Wiedersehen mit Gabriele beschäftigte ihn vollständig.

„Und Du glaubst, das junge Mädchen, das, wie es heißt, in streng klösterlichen Umgebungen und Grundsätzen erzogen ist, werde sich zur Vermittlerin hergeben?“ fragte er.

„Mühe genug wird es kosten,“ antwortete der junge Arzt bedenklich. „Indeß, ich will es versuchen. Im schlimmsten Falle lasse ich mich einmal ordentlich bekehren; dann denkt sie an nichts weiter, als meine Seele dem Himmel zu retten, und willigt in Alles. Du mußt nämlich wissen, daß ich jetzt nach allen Regeln bekehrt werde.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_308.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2016)