Seite:Die Gartenlaube (1878) 314.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Mit seinen Collegen an der St. Marcuskirche lebte Dr. Kalthoff im allerbesten Einvernehmen, und in dem Zeugniß, welches der Kirchenrath ihm bei seiner Bewerbung um die Pfarrstelle in Nickern ausstellte, heißt es: „Wir können der Gemeinde zu ihrer Wahl nur Glück wünschen und unsere Liebe und Hochachtung wird ihn (Dr. Kalthoff) auch in die Ferne begleiten.“

Wenn dieser Mann im Streite mit der Orthodoxie materiell unterliegt, so ist die Thatsache heute schon gewiß: moralisch muß er siegen. Wie die päpstliche Hierarchie, so wollte auch der evangelische Oberkirchenrath für alle Zeiten feststellen, was in der Landeskirche als wahres Christenthum, als wahre Religion zu gelten habe. Durch diese dogmatische Grenzsperre wäre jedes Forschen nach Erkenntniß für Geistliche und Laien ein- für allemal ausgeschlossen worden.

Die menschliche Erkenntniß aber geht weiter, ohne jede Rücksicht auf die Dogmen der Kirche, und dem Zurückbleiben einer an überlebten Traditionen festhaltenden Geistlichkeit haben wir nur einen argen Zwiespalt zu danken, der sich bei unserer Jugenderziehung geltend macht. Was die Schule, gestützt auf die Erfahrung, als wahr und gewiß lehrt, wird im Religionsunterricht und in der Kirche, gestützt auf die Offenbarungen, als falsch verworfen. Es ist eine durch die Geschichte gewonnene Thatsache: je höher Erkenntniß und Cultur eines Volkes steigen, desto reiner und geläuterter wird auch seine Religion. Die Confessionen oder der Glaube an geoffenbarte Lehren hat Scheidewände zwischen den Menschen aufgeführt, die wahre Religion, das heißt die human-sittliche Liebe reißt sie wieder ein.

Freilich ist von dem natürlichen Erkenntnißstreben der Irrthum nicht ausgeschlossen; aber da müssen wir eben mit Gotth. Ephraim Lessing sagen: „Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit, in seiner Linken den einzigen, immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu mir: wähle! ich fiele ihm mit Demuth in seine Linke und sagte: Vater, gieb, die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!“

R. Elcho.




Erinnerungen an Teplitz.
Von Walter Schwarz.

Es giebt kein langweiligeres Genre in der Literatur als die üblichen Badeberichte aus Karlsbad oder Homburg, keine fatalere Lectüre als vornehme Plaudereien aus Wiesbaden oder Baden-Baden. Was ich hier dem Leser biete, sollen nur schlichte anspruchslose Erinnerungen nicht an Teplitz, das Bad, sein, wohl aber an Teplitz, das historisch wie malerisch so interessante Städtchen an der Tepel. Eine liebliche Natur, blaue Berge, dunkle Waldungen rahmen es freundlich ein. Auf dem halb poetisch, halb historisch gefärbten Hintergrunde der prächtigen Schlösser, Kirchen und Klöster in seiner Umgebung tauchen Namen und Erinnerungen auf, die unseren Antheil wecken. Und nicht immer waren es nur Kranke, die sich hierher wendeten. Auch Teplitz hat seine große Zeit gehabt als Sammelplatz der auserlesensten Gesellschaft, damals, als Rahel und Varnhagen, der geistreiche Prinz von Ligne, Prinz Bentheim, der ritterliche Cavalier, die schöne Schauspielerin Auguste Brede und viele andere, in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts oft genannte Persönlichkeiten hier ihre Sommerfrische suchten. In ihren Korrespondenzen lesen wir, wie bunt und anregend sich damals in Teplitz Alles zusammenfand: Preußens, Oesterreichs und Rußlands Größen; in wie heiterer Gemeinschaft man oben in dem großen Hôtel am Schloßplatze speiste, das noch heute den Namen des Prinzen von Ligne trägt. Nach ihm nennt sich auch das Lusthäuschen mit bunten Glasfenstern, welches sich auf spitzem Steinkegel zwischen Teplitz und Schönau erhebt und eine reizende Aussicht gewährt: dicht unten zu Füßen die dampfenden Straßen der Stadt, die sich in drei Schlangenlinien eng zwischen den steilen Felswänden hinziehen, hie und da von einer dunklen Tannenkuppe überragt, weiter hin die zarte, in blauem Duft schwimmende Ferne.

Rahel war sehr oft in Teplitz. Sie liebte den Ort, traf daselbst ihre österreichischen Freunde und Varnhagen, der 1811 als Officier beim Oberst Bentheim in Prag und Komotau stand; sie suchte auch nach den Kriegsjahren in den Teplitzer Heilquellen Stärkung ihrer tieferschütterten Gesundheit. Noch ehe sie geistreich und anregend mit all den Beziehungen, die sie überall fand, und die ihr überall folgten, den Schauplatz dort belebte, traf ihren Freund, den Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, in Teplitz eines der tragischen Abenteuer seiner stürmischen Laufbahn. Auf einem Balle im Cursaal veruneinigte er sich wegen einer der schönen Tänzerinnen mit dem Chevalier de Saxe. Es kam zur Forderung. Das Rendezvous wurde für den nächsten Morgen unter zwei Linden im Walde, die noch heute stehen, dicht hinter Osseg verabredet. Man wählte diese Richtung, weil dort die leicht zu erreichende sächsische Grenze dem Ueberlebenden die günstige Gelegenheit zur Flucht bot. Der Prinz tödtete seinen Gegner, richtete aber, ehe er von dannen eilte, an den Sterbenden die Bitte: „Chevalier, können Sie mir verzeihen?“ – Jener reichte ihm die Hand und entgegnete: „Ich verzeihe Ihnen, wie Gott mir verzeihen möge.“ Der Chevalier de Saxe wurde, da er ohne Absolution gestorben, nur in Folge besonderer Vergünstigung auf dem Kirchhofe von Osseg beerdigt, aber im äußersten Winkel desselben, hart an der Mauer, die der spitzige Ueberbau eines kleinen Denkmals, das man ihm errichtet, etwas überragt, wodurch die Grabstätte leicht kenntlich wird.

Osseg ist ein altes Cisterzienserkloster von großartiger Anlage mit hohen, hallenden Gängen und einem geräumigen Refectorium, das über Blumenterrassen in die blühendste Landschaft hineinblickt. Zwischen den Terrassen, die von schwerem Steingeländer eingefaßt sind, thun sich spiegelglatte Bassins auf. Man sieht die für die Abttafel bestimmten fetten Fische lustig darin springen. Die dichten Buchenhecken im Garten sind nach altfranzösischem Geschmack verschnitten. Sandsteingruppen bergen sich in ihrem Schatten. Kühl plätschert das Wasser der von Terrasse zu Terrasse ablaufenden Fischbehälter, und hinter den Klosterthürmen steigen die tannendunklen Berge groß und ernst empor. Alles hier ist vornehm, feierlich, auch die Kirche ungewöhnlich prachtvoll und elegant gehalten. Ein kunstvoll gearbeitetes Messinggitter, das sie der Quere nach durchschneidet, gleicht dem feinsten Filigran. Von der mittleren Deckenwölbung herab drapirt sich ein Vorhang, welchen schwebende Engel zusammenraffen und emporheben. Seine Falten fallen so leicht und lose wie duftiger Stoff, und doch ist das Ganze eine Sculptur aus blassem Marmor.

Dicht hinter Osseg steigt prachtvolle Waldung am Berge empor. Ein brausendes Gewässer rauscht im tiefen Grunde über die Wurzeln der Edeltannen, zwischen bemoosten Steinblöcken hin. Wenn man eine Stunde ungefähr gestiegen ist, wird, eng zwischen die Waldberge eingeklemmt, der uralte Bau der Riesenburg sichtbar. Die Ruine ist ebenso malerisch wie interessant, köstlich der Blick hinunter auf Osseg, das sich mit seinen weißen Mauern und rothen Dächern, scheinbar klein, wie Kinderspielzeug, zwischen zwei hohen Berglehnen aufbaut, vom duftblauen, vierkantigen Biliner Felsen überragt. Auf der Riesenburg erblickte der heilige Adalbert, Bischof von Prag und Apostel von Preußen, im zehnten Jahrhundert das Licht der Welt.

Eine andere Ortschaft in der Umgegend von Teplitz, die interessant zu besuchen, ist das Gebirgsstädtchen Graupen. Es liegt in entgegengesetzter Richtung von Osseg, am Südabhange des Erzgebirges, und besteht aus einer einzigen langen Straße, die eng und steil in die Höhe klimmt. Ihre unregelmäßigen, dicht an einander gerückten Giebelhäuser entzücken jedes Malerauge. In der Kirche, die mit hohem Schindeldache und kurz aufgedrücktem Holzthürmchen an der Bergwand zu kleben scheint, befindet sich eine alte, umfangreiche Schnitzarbeit von unbekannter Hand, die mit Recht für sehr merkwürdig gilt. – „Die Gruppe befindet sich dem Eingange gegenüber und zählt wohl zwanzig Figuren in Lebensgröße,“ hatte man mir gesagt. Das war also nicht zu übersehen. Ich kam an einem Sonntage zur Abendandacht nach Graupen. Die Kirche war von Menschen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_314.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)