Seite:Die Gartenlaube (1878) 321.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

durch die Spectralanalyse überzeugt. Man wählte dabei als Vergleichsgegenstand unsern Mond, wenn er gerade in gleicher Höhe am Himmel stand, wozu sich derselbe wegen seines Atmosphärenmangels vorzüglich eignet. Dabei fand man nun, daß das Sonnenlicht, welches vom Mars zurückgeworfen wird, viel mehr Strahlensorten verloren hat, als das vom Monde zurückgeworfene: das Marsspectrum zeigte nämlich fünf dunkle Streifen, welche sich im Mondspectrum nicht finden, und diese entstehen eben allem Anscheine nach durch die Aufsaugung bestimmter Sonnenlichttheile, bei dem zweimaligen Durchgange durch eine Marsatmosphäre.

An sich erscheint diese Atmosphäre keineswegs von einer außerordentlichen Klarheit. Die Umrisse der Oberfläche des Planeten sehen wir immer nur wie durch einen dünnen Schleier, aber der Schleier hat den Vortheil, daß keine Ornamente eingewebt sind, das heißt die Atmosphäre enthält sehr selten Wolkenbildungen. Auf der Sternwarte zu Madeira hat man, durch klare Nächte begünstigt, im August und September über vierzig Zeichnungen der Marsoberfläche entworfen, wie sie in den aufeinanderfolgenden Nächten erschien, und diese Zeichnungen wiederholen sich mit ziemlicher Treue in den Einzelheiten. Nur in sehr vereinzelten Fällen sind weiße Flecken wie von Wolken gesehen worden; namentlich herrscht in den äquatorialen Gegenden andauernde Wolkenlosigkeit. Dagegen deuteten die Aenderungen in der Schärfe der Umrisse und in den Farben der Scheibe allerdings auf vorkommende Veränderungen in der Beschaffenheit der Atmosphäre. Die Farbe des Grundes wechselte in verschiedenen Nächten zwischen rosa, orange, gelb und scharlachroth, und die dunklen Flecken, welche man für Seen und Meere zu halten pflegt, erschienen blaugrau, kobaltblau, einmal auch dunkelolivengrün. Es ist darauf aufmerksam zu machen, daß diese Schattirungen den atmosphärischen Farben entsprechen, und daß die furchterweckende Erscheinung des Mars vielleicht nur dadurch so blutig gefärbt erscheint, weil das sonnenerleuchtete Marsfeld durch einen ganz zarten Dunstschleier gesehen wird, wie er das Sonnenlicht roth und dunkle Schattenstellen bläulich färbt.

Auch Luftströmungen oder Winde glaubt man auf dem Mars von Madeira aus wahrgenommen zu haben. Man bemerkte nämlich am 21. August eine Anzahl von Linien, die dem Nordpole zustrebten und die möglicher Weise von Luftströmungen herrühren, die unseren Passatwinden verglichen werden dürfen. Uebrigens gewahrte man in dieser günstigen Beobachtungszeit, wie schon bei früheren Gelegenheiten, eine bedeutende Verminderung der weißen Masse am Südpol, der gerade seinen Sommer erlebte; sie war gegen Ende des Septembers wohl auf die Hälfte ihres vorherigen Umfanges zusammengeschmolzen, und an ihrem Rande nahm man unregelmäßige Vorsprünge und Einkerbungen wahr, wie die vorgeschobenen Rücken eines schneebedeckten Hochgebirges, zwischen denen sich dunkle Thäler einbetten.

Sehr merkwürdig sind einige Beobachtungen, welche der englische Astronom John Brett mittelst eines ausgezeichneten Spiegelteleskopes an diesen Polarzonen gemacht hat. Schon früher war es einzelnen Astronomen vorgekommen, als ob die beiden silberglänzenden Kappen, welche die Pole des gluthrothen Planeten bedecken, sich ein wenig über die Oberfläche des Planeten erhöben, aber man schob dies auf jene Augentäuschung, durch welche eine hellere Masse immer etwas größer erscheint, als eine gleich große weniger helle, wie denn die dünne Mondsichel ebenfalls gleich einer Mütze über den dunklen Theil, wenn derselbe erkennbar ist, hinwegzugreifen scheint. Der genannte Astronom will sich nun Ende September auf das Bestimmteste überzeugt haben, daß diese weißen Massen über der Oberfläche des Planeten schweben und in jenen Tagen einen deutlichen breiten Schatten unter sich auf die tieferliegende Planetenoberfläche warfen. Er nimmt deshalb an, daß diese Kappen aus Wolkemasse bestehen, welche immerfort die Pole umlagern, weil die Polarländer vielleicht die einzigen Gegenden des Mars sind, an denen es kühl genug ist, um die Verdichtung der Atmosphärenfeuchtigkeit zu gestatten. Zugleich spricht er die Meinung aus, daß der Mars wirklich vielleicht noch rothglühend sei, wie er uns erscheint, und daß die Hitze der Atmosphäre eben Wolkenbildungen an anderen Orten, als an den Polen, nicht gestatte.

Gegen diese Deutung seiner Beobachtungen durch Brett dürfte sich indessen manches einwenden lassen. Nach der allgemein[WS 1] angenommenen Theorie der Planetenabschleuderung von der Sonne ist es nicht denkbar, daß der früher abgeschleuderte Mars noch rothglühend sein sollte, während sein jüngerer, bedeutend größerer Bruder seit undenklichen Zeiten äußerlich abgekühlt ist; auch steht jene Annahme mit den gleichbleibenden Umrissen der Marsoberfläche und selbst mit dem Grade seiner Atmosphärendurchsichtigkeit im Widerspruche. Wir können uns aber recht wohl denken, daß die kühlere Marsatmosphäre vielleicht stets weniger Wasserdampf aufgelöst enthält, als die irdische, und daß sie deshalb ihre Wolkenbildungen auf einen engeren Polargürtel beschränkt. Auch die Erde wird von Weitem ihren Winterpol mit einem ungeheuren, bis weit in die gemäßigte Zone reichenden bleibenden Wolkendache bedeckt zeigen, welches sich häufiger in der Nacht als bei Tage hier und da öffnet, und dann, wenn die Oeffnung groß genug ist, auch nur Schnee und Eis zeigen würde. Sie wird, wie gesagt, von den näheren Planeten aus ganz ähnlich aussehen, wie der Mars für uns, und auch um ihren Sommerpol würden sich die Wolkenmasse vermindern.

Es ist mir sogar sehr wahrscheinlich, daß unser Erd-Antlitz in den Mittelpartien ebenfalls etwas geröthet erscheinen dürfte. Denn da der klare Himmel bei uns die blaue Farbe zurückwirft, so wird das von ihm durchgelassene Licht der erleuchteten Erde jedenfalls etwas röthlich angehaucht sein müssen. Wir sehen ja den Mond bei seinen Finsternissen, wenn ihn ein Sonnenstrahl trifft, der durch unsere Atmosphäre gegangen ist, wie in rothem bengalischem Feuer strahlen („Gartenlaube“ 1877 S. 235, und auch wenn die Erde ihn mit dem zurückstrahlenden Sonnenlichte erleuchtet, sehen wir ihn deutlich röthlich-aschgrau. Während wir so schließen dürfen, daß der Erdplanet aus der Ferne ebenfalls roth erscheinen wird, um die Marsbewohner gleichfalls gruseln zu machen, können wir andererseits auch auf dem Mars einen blauen Himmel voraussetzen. Auch auf der von ferne gesehenen Erdscheibe werden die losen Wolkenmassen, welche die Pole umlagern, silberweiß aus dem rothen Grundton auftauchen, und gerade wie die Marsmonde wird auch unser Mond in bleichem weißem Lichte um den röthlichen Planeten kreisen, wie eine Feuerfliege um die Milchglaskugel der Gartenlaterne. Ebenso dürften auch im Erdbilde die dunklen Meere und Tropenwälder als bläulich schattirte Flecke auf dem röthlich glänzenden Schilde erscheien.

Mit neuer Theilnahme werden wir von jetzt ab den Mars betrachten dürfen. Denn so weit mein Urtheil reicht, kann durch alle im vergangenen Jahre gemachten Beobachtungen unser Zutrauen nur gestärkt werden, daß dort Wesen von ähnlicher Beschaffenheit wie wir wohnen könnten, eine Annahme, die der große Huyghens in seinem „Weltbeschauer“ auf alle Planeten ausdehnte, die uns aber höchstens noch für die Venus annehmbar erscheint, obwohl wir von deren näherer Beschaffenheit viel weniger wissen. Die großen äußern Planeten könnten, so viel wir von ihnen Kenntniß haben, nur Wesen, von denen wir uns durchaus keinen Begriff machen können, als Wohnplatz dienen, denn sie sind noch heiß, vielleicht zum Theil in Dampf aufgelöst. Die Sonnen und Fixsterne aber hat man seit der Entdeckung der Spectralanalyse ganz von der Liste der „bewohnten Welten“ gestrichen, weil sie in stärkster Gluth befindlich sind. Von dem Monde nehmen wir mit ziemlicher Sicherheit an, daß ihm Luft und Wasser, die ersten Bedingungen einer Lebewelt gleich der unserigen, mangeln. So bleibt uns von den Welten, die wir sehen können, fast nur der Mars als ein Feld, welches wir mit unseren Phantasien und Träumen befruchten können, ohne mit der Wissenschaft in Widerspruch zu gerathen. Statt also über seine Erscheinung in Schrecken zu gerathen, müssen wir sie mit besonderer Sympathie und kosmopolitischer Wärme begrüßen, denn auf ihm können wir gleichfühlende Herzen am ersten voraussetzen. Wie süß und beruhigend es aber dem menschlichen Gemüthe ist, mit derartigen Gedanken die ungeheure Reise durch den Weltraum fortzusetzen, das beweisen uns die zahlreichen Werke über die „Mehrheit bewohnter Welten“, welche in den letzten Jahrhunderten erschienen sind.

Carus Sterne.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: allmein
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_321.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)