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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

im Volke zu verbreiten. Ein Buch, welches dazu dienen, und welches dem gebildeten Publicum, namentlich auch Lehrern an Volks- und Mittelschulen empfohlen werden könnte, sollte leicht faßlich geschrieben sein und doch vollständig auf dem Boden der Wissenschaft stehen. So allein ist zu hoffen, gesunde Anschauungen über die hygienischen Fragen, die jetzt überall aufgeworfen und besprochen werden, im Volke allgemein zu verbreiten, was auch auf die Praxis nur fördernd zurückwirken wird.

Vor einiger Zeit kam, gelegentlich einer Plenarversammlung des bairischen Obermedicinalausschusses, dieser Mangel zur Sprache, und es wurde von vielen Seiten der Wunsch geäußert, daß für seine Abstellung in passender Weise gesorgt werde möchte. Auf meine Veranlassung unterzog sich Herr Dr. Erismann dieser Aufgabe und hat nun in seiner „Gesundheitslehre für Gebildete aller Stände[1] das ganze Gebiet in zwei Hauptabschnitten behandelt. Er bespricht unter I. „Allgemeine Lebensbedingungen“: die Luft, den Boden, das Klima, die Ortsanlage, das Wohnhaus, Kleidung und Hautpflege, die Ernährung; unter II. „Lebensbedingungen der verschiedenen Altersstufen“: die erste Kindheit, die Schule, die Berufsthätigkeit, und hat einen Anhang über „Volkskrankheiten“ beigegeben. Er trägt vor, was man Bestimmtes über die einzelnen Dinge weiß, verschweigt aber auch nicht, wenn so manche Frage von großer Wichtigkeit noch als eine offene erklärt werden muß. Es ist Gewissenssache, in Fragen von großer Tragweite nie mehr zu behaupten, als fest begründet ist, und es kann dem Allgemeinen nur nützen, wenn auf immer festere Begründung gedrungen wird. Unsere gesammte Sanitäts-Polizei leidet noch vielfach an der Schwäche ihrer wissenschaftlichen Begründung, und in dieser Beziehung kann die Wissenschaft für die Praxis noch sehr viel thun. Die Sanitäts-Polizei soll praktische Gesundheitswirthschaft sein, und da ist zuvörderst Klarheit über den Nutzen der gesteckten Ziele nöthig, denn sonst läuft man Gefahr, nutzlos oder selbst mit Einbuße zu wirthschaften. Manche Maßregeln – ich will keine besonders nennen – sollten in ihrem Werthe nicht mehr so bestreitbar sein, wie es heutzutage noch bei manchen der Fall ist. Hygienische Verordnungen, die so nach bloßem Gutdünken verfaßt werden, sind oft sehr theure Recepte, welche zwar nicht in der Apotheke, aber in der Gemeinde und im Staate bereitet werden. In dieser Beziehung halte ich es für bedenklich, der Entwickelung der Wissenschaft zu sehr vorauszueilen und Gesetze über Dinge zu geben, deren natürliche Gesetze man noch zu wenig studirt hat, dagegen ist es praktisch nützlich, das Wissen in diesen Punkten zu befestigen und zu erweitern.

Erismann war sich der Schwierigkeit seiner Aufgabe vollkommen bewußt und ist mit Vorsicht aufgetreten. Die Fachleute, das heißt die Vertreter der wissenschaftlichen Hygiene, werden mit ihm, wenn auch nicht in allen, so doch in den meisten Punkten übereinstimmen. Er selbst äußert in der Vorrede, daß er von einer vorurtheilsfreien Kritik auf Fehler in seiner Darstellung aufmerksam gemacht zu werden hofft. Da es gegenwärtig nicht meine Absicht ist, eine Kritik zu schreiben, so will ich davon Umgang nehmen, wo ich hier und da anderer Ansicht bin, aber ich kann mit bester Ueberzeugung die Aufmerksamkeit eines größeren Leserkreises auf das Buch und seinen wichtigen Inhalt lenken. Es ist so geschrieben, daß nicht nur Naturforscher und Aerzte, sondern auch Techniker, Staatsbeamte, Mitglieder von Gemeindebehörden, Schulmänner, kurz, die Gebildeten aller Stände es verstehen werden, für welche es geschrieben ist und die Alle dazu bestimmt sind, an den Aufgaben und an der weiteren Entwickelung der Hygiene mitzuarbeiten.

Auch noch aus einem anderen Grunde erfreut mich das Erscheinen des Buches von Erismann. Ich bin schon oft der Frage begegnet, was es denn so Wichtiges in der Hygiene vorzutragen und zu forschen gäbe, daß es sich lohnte, einen eigenen Professor dafür an jeder medicinischen Facultät anzustellen. Schon aus dieser populären Darstellung kann man erkennen, wie groß jetzt bereits der Umfang des Gegenstandes und wie unendlich viel noch zu arbeiten ist. Diese Arbeit wird aber nie in erforderlichem Maße geschehen, wenn nicht für besondere Arbeitskräfte und Arbeitsplätze, wenn nicht für hygienische Lehrstühle und Attribute an den Universitäten gesorgt wird.




Epistel an Emanuel Geibel.[2]

Von Felix Dahn.

Mit Rückert und mit Platen
Hast Du mich treu berathen:
Und ist mein Reim gerathen, –
     Das dank’ ich Deiner Kunst.

5
Den Lehrer will ich preisen,

Jedoch in eignen Weisen:
     Das höre Du mit Gunst! –

Ja, schlürf’ ich hier im Norden,
An Thule’s Nebel-Borden,

10
     Viel edel-süße Labe

     Aus Deiner letzten Gabe,
Aus Deinen „Spätherbstblättern“,
Gereift in allen Wettern,
     In heißen und in kalten,

15
     Bei guter Sterne Walten, –

     So ruf’ ich: „Heil dem Alten,
Des deutschen Wohllauts weichem,
Romanisch formenreichem,
Herrn Gottfried’s Süße gleichem

20
Goldmelodien-Gestalter –

Heil ihm und seinem Psalter!“
Wer von uns Jüngern just nicht schlecht
Die Reime reimt und radebrecht,
     Der dankt es Dir, Du Weibel

25
     Des Versturnieres, Geibel! –


Wie schaltest Du in München
Auf handwerkmäßig Tünchen!
Dem Falschreim wurde höllenangst,
Dem Flickwort bange, banger, bangst.

30
„Was?“ – hörte man Dich dröhnen –

     „Hiatus? Elisionen?
Könnt Ihr’s nicht abgewöhnen?
     Schock Schwere Noth Schwadronen –
Poeten wollt Ihr heißen?

35
Mit Knüppeln sollt’ man schmeißen!“


Doch nicht allein dies A B C
Erlernten wir in Deiner Näh’:
Auch, daß die Weihe müsse schweben
Um echten Dichters Lied und Leben,

40
Daß sternenhoch das Ziel entfernt

Und daß Du selbst nie ausgelernt;
Wie rasch da Eitelkeit zerschmolz
Vor Deinem tief bescheid’nen Stolz!

Auch jetzt sprichst Du bescheiden

45
     Von Spätherbstblättern blos:

Und doch lauscht, sehr zu neiden,
     Aus dieser Blätter Schooß,
Aus dieser Reben-Laube
Die goldne Spätherbst-Traube.

50
     Die Traube, herrlich ausgereift,

     Die Roms und Hellas’ Strahl gestreift:
In Deutschland beut uns Keiner
Trank, edler, weicher, reiner,
     Fein-blumiger als Deiner.

Königsberg, 1. Mai 1878.


  1. Verlag der M. Rieger’schen Universitäts-Buchhandlung (Gustav Himmer) in München 1878. 8. 428 Seiten. Preis 3 Mark.
  2. Veranlassung zu obiger Huldigung bot die jüngste poetische Gabe Geibel’s, welche unter dem Titel „Spätherbstblätter“ erschienen ist und von dem Dichter selbst als seine „letzte“ bezeichnet wird.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_329.jpg&oldid=- (Version vom 18.5.2019)