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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Thierspuk im Spiritismus.
Von J. Frohschammer.

Daß Thiere in Geister- und Teufels-Geschichten eine bedeutende Rolle spielen, ist männiglich bekannt. Hunde, Katzen, Schlangen, Uhu’s erscheinen in solchen Geschichten vielfach – wenigstens ihrer äußeren Gestalt nach, als Werkzeuge geheimnißvoller böser Mächte. Freilich handelt es sich dabei nicht um wirklich lebendige, natürliche, aus Körper und Seele bestehende Wesen, sondern eben nur um deren Schein, dessen belebende oder wirkende Macht als eine übernatürliche gedacht wird. Auch im modernen Spiritismus, bei den angeblichen Erscheinungen und Einwirkungen der Seelen oder Geister Verstorbener auf das Diesseits und bei magischen Wirkungen überhaupt spielen Thiere eine Rolle. Angebliche Thatsachen zeigen nämlich, daß auch Thiere in spiritistischer Materialisation oder Verkörperung erscheinen oder magische Wirkungen hervorbringen können. Da diese spiritistischen Thiere besonders geeignet sind, das ganze Treiben der Spiritisten in charakteristischem Lichte erscheinen zu lassen, so dürfte eine kurze Darstellung und Würdigung der Sache nicht uninteressant sein.

Die Familie Eddy, bestehend aus drei Söhnen und zwei Töchtern, ist in Nordamerika weit und breit bekannt durch die Begabung, den Geistern der Abgeschiedenen als Medium (Mittel oder Organ) zur Wiedererscheinung in körperlicher Form zu dienen. Ihre Urgroßmutter war 1692 in Salem wegen Hexerei zum Tode verurtheilt, jedoch durch Freunde aus dem Kerker befreit worden. Diese Eddy’s, in einem alten Farmerhaus wohnend, werden wegen der genannten Eigenschaft von zahlreichen Fremden aufgesucht, denen sie für 8 Sch. die Woche Aufnahme gewähren. Mehr als zweitausend Geister sollen bei ihnen in den verschiedensten Costümen binnen zwölf Monaten aus dem Cabinet in den Zuschauerraum hervorgekommen sein. Herr Pritchard, ein Berichterstatter, der sich lange bei den Eddy’s aufhielt, sah dort eine Anzahl seiner verstorbenen Verwandten und eine Menge anderer Geister Verstorbener in leiblicher Gestalt wieder erscheinen. Vier oder fünf weibliche Geister, berichtet er, trugen Kinder auf ihren Armen, setzten sie auf den Boden oder führten sie an der Hand; die Kinder schlangen manchmal ihre Arme um der Mutter Nacken. Ein Indianerkind, eingewickelt nach Indianermanier, hörte er schreien, ein Indianermädchen brachte auf seinem Finger ein Rothkehlchen, das wie ein lebendes hüpfte und zirpte. Er hörte auch die Geister in allen Abstufungen sprechen, vom leisesten Wispern bis zur lauten natürlichen Stimme. Er sah sie scheinbar in Seide, Baumwolle, Merino, Tarlakan gekleidet, sah Soldaten und einen Seecapitain in Uniform, Frauen in reich gestickten Roben, indianische Krieger in verschiedenen Costümen. Einmal reichte man Honto (Geist eines Indianermädchens) eine brennende Pfeife; sie ging rauchend umher und bei jedem Zug erhellte sich durch den Wiederschein des Feuers ihr bronzefarbiges Gesicht, sodaß jeder Zug sichtbar ward etc. (S. Max Perty: Der jetzige Spiritismus etc. 1877 S. 166).

Das sind also Geister aus dem Jenseits, die durch Vermittelung der genannten Eddy’s sich materialisirten, das heißt wieder körperliche Gestalt annahmen. Alles wie bei uns: Reichgeschmückte Frauen, schreiende Kinder, Uniformen, Tabak etc. Nur der Maßkrug fehlt und die Whiskyflasche, um das Jenseits ganz gemüthlich erscheinen zu lassen und dem Tode vollends alle Schrecken zu nehmen. Es ist kaum zu bezweifeln, daß auch diese trostspendenden Güter dort nicht unerschwinglich sind. Dabei gilt den spiritistischen Gläubigen dies Alles als baare Münze, als unumstößliche „Thatsache“, durch die Erfahrung, durch die Sinne bezeugt, an der nur ein ganz ungläubiger, Alles verneinender Mensch zweifeln könne. Ja diese spiritistische Gläubigkeit ist so stark resp. blind, daß als zwei von den Brüdern Eddy „abfielen“, von den Spiritisten sich abwandten, auch dieser wichtige Umstand den Glauben nicht erschütterte. Ihr Abfall wurde, wie es auch bei der kirchlichen Orthodoxie üblich ist, lediglich schlechten Motiven, nicht besserer Einsicht und Ueberzeugungstreue zugeschrieben. Und als die Abgefallenen nun gegen den Spiritismus gerichtete Vorstellungen gaben, wurden ihre Leistungen von den Spiritisten als ganz unbedeutend und unzulänglich bezeichnet. Wieder ganz so, wie es bei jeder blinden, parteisüchtigen Orthodoxie üblich ist, welche die Leistungen derer herabzuwürdigen pflegt, die, besserer Einsicht folgend, sie verlassen – wenn sie dieselben auch zuvor in den Himmel erhoben hätten.

Wir wollen indeß all dies bei Seite lassen und auch die ganze oben erwähnte materialisirte Geistergesellschaft nicht in nähere Betrachtung ziehen; uns interessirt vielmehr hier nur das erwähnte Rothkehlchen, das mit den materialisirten Geistern erschien und wie ein lebendes hüpfte und zirpte. Woher kam dieses Rothkehlchen nach dem Glauben der Spiritisten? Aus nichts konnte es nicht wohl geschaffen sein; als künstlicher Automat kann es von ihnen auch nicht betrachtet werden, da nach ihrer Meinung all dergleichen Dinge hier unbedingt ausgeschlossen sind; ebenso wenig aber konnte ein natürlich lebender Vogel hier vorgeführt werden, da es sich ja um Geistererscheinungen handelt und dabei jeder natürliche Apparat streng ausgeschlossen sein soll. Demnach können die Spiritisten diesen erscheinenden Vogel gleichfalls nur als Verkörperung der Seele eines Rothkehlchens betrachten, wie sie den ebenfalls erscheinenden Säugling als materialisirte Seele eines Kindes ansehen, nicht aber als seelenloses Product, wie etwa die Kleidungsstücke, in denen die Seelen erscheinen. Das heißt: die Seele des Rothkehlchens hat aus dem Medium Kraft und Stoff erhalten, sich mit seinem Vogelleib wieder zu umkleiden. Also leben nach dem durch Augenschein begründeten, durch „Thatsachen“ bezeugten Glauben der Spiritisten auch die Vogelseelen im Jenseits fort; wenn aber die Vogelseelen, dann leben doch auch die Seelen der Thiere überhaupt fort, und zwar nicht blos der großen vollkommenen Thiere, sondern wohl auch der niederen Lebewesen, der mannigfaltigen Insecten, kurz, die Seelen von all dem, was da kreucht und fleucht; denn warum sollten gerade diese kleinen Thiere ausgeschlossen sein, da manche im Diesseits so namhafte Seelenfähigkeiten bekunden, wie z. B. die Bienen, die Ameisen etc.? Und so eröffnet sich dem Glauben der Spiritisten eine herrliche Perspective in’s Jenseits. Die Annehmlichkeiten, welche die Thiere im Diesseits genießen, werden tröstlicher Weise im Jenseits nicht entbehrt; die Liebhaber von Hunden und Pferden können getrost das Diesseits verlassen, und die zärtlichen Pflegerinnen von Schoßhündchen, Katzen, Canarienvögeln u. dergl. m. brauchen nicht untröstlich zu sein, wenn sie von ihnen scheiden müssen; sie können sie wohl wieder finden. Die Sache hat freilich auch ihre Bedenken. Wenn alle diese Thiere, diese Insecten, Bandwürmer und die mikroskopischen lebenden Wesen fortdauern, so kann es an mancher Belästigung auch kaum fehlen und Reinlichkeit – wenn es erlaubt ist, dies anzudeuten, – kann auch im Jenseits als dringendes Gebot erscheinen.

Noch ist zu bemerken, daß die Spiritisten diesen „Thatsachen“ gemäß einen ganz richtigen Instinct in der Sitte uncultivirter Völker der Vergangenheit und Gegenwart erkennen müssen, auf den Gräbern Verstorbener nicht blos Sclaven und Frauen, sondern auch Thiere zu schlachten, damit sie sich derselben im Jenseits sogleich bedienen können. Ueberhaupt muß der Spiritismus die Glaubensvorstellungen der Wilden und der von Wissenschaft und Aufklärung noch wenig berührten Völker über das Jenseits und den Zustand der Abgeschiedenen für viel richtiger erkennen, als die geistigere Auffassung gebildeter Menschen oder gar des bösen, „oberflächlichen Rationalismus“. Wenn solche Völker den Glauben haben, im Jenseits ihre Kämpfe und Zechgelage fortsetzen zu können, oder reiche Jagden abzuhalten, liebliche Mädchen zu finden etc., so entspricht dies ganz wohl der Behauptung der Spiritisten, daß die Menschenseelen im Jenseits noch in jenem Zustande sich befinden, jene Neigungen haben, in jener Unwissenheit befangen sind – wie bei ihren Lebzeiten auf Erden. Der Spiritismus wird also die Menschen noch weit mehr als die gläubige Orthodoxie vor der Vernunftaufklärung bewahren und mit aller Entschiedenheit von den vernunftgemäßen Anschauungen der modernen Bildung und Wissenschaft befreien müssen. Er kann sich ganz wohl in seiner Weise den achtzigsten Satz des famosen päpstlichen Syllabus aneignen, der jede Versöhnung mit der modernen Civilisation als verdammenswerthes Beginnen zurückweist.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_336.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)