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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Noch in anderer Weise wird im Spiritismus den Thieren eine besondere Stelle zugetheilt und eine erhöhte Bedeutung gegeben. Nicht blos ihre Unsterblichkeit kommt als „Thatsache“ zur Kunde der Gläubigen, sondern auch die Erfahrung, daß manchen derselben höhere, übernatürliche Kräfte innewohnen und daß sie daher Dinge zu vollbringen vermögen, die kein sterblicher Mensch und am wenigsten die menschliche Wissenschaft, der „flache Rationalismus“ zu Stande bringen kann.

So werden z. B. viele Geschichten berichtet von mysteriösen Quälereien der Pferde während der Nacht, wodurch manche dieser Thiere zu Grunde gehen. Ein solcher Vorfall trug sich im Jahre 1838 in Eßlingen in Württemberg zu, wo damals ein württembergisches Reiterregiment in Garnison lag (Perty a. a. O. S. 322). Einige Pferde von Officieren, die in einem besonderen Stalle sich befanden, waren jeden Morgen ganz in Schweiß gebadet und todtmüde, sodaß ihre Besitzer in die größte Sorge geriethen, ihre um hohen Preis angekauften Lieblinge könnten zu Grunde gehen. Kein Mittel wollte helfen, bis endlich der Bediente erklärte, wenn man ihm ein paar Gulden gäbe, so solle der Teufelsgeschichte bald abgeholfen sein. Die Herren erklärten, wenn nur die Pferde gerettet würden, dürfte er auch das abenteuerlichste Mittel nicht scheuen, worauf er dann aussprach, nur durch einen ganz schwarzen Bock, an dem kein weißes Härchen sei, der aber ziemlich theuer zu stehen komme, könne hier geholfen werden. Der Bock ward für Geld herbeigeschafft, und von diesem Augenblicke an hörte die Belästigung der Pferde auf. So die ganz ernsthaft erzählte Geschichte.

Da nun nach spiritistischen Annahmen die nächtliche Quälerei der Pferde nicht anders zu erklären ist, als durch Einwirkungen von Geistern, so hat hier also ein Bock, ein natürlicher Bock, über die Geister gesiegt und demnach beurkundet, daß in ihm auch „übernatürliche“ Kraft verborgen sei. Gläubige Sachverständige erklärten zwar die Sache dahin, daß die Hexe, welche bisher die Pferde geritten, nunmehr den Bock reite und daher die Pferde verschone. Da aber der Bock sich ganz wohl dabei befand, so muß er jedenfalls mit „höheren“ Kräften ausgestattet gewesen sein, um dies ohne Gefährdung aushalten zu können. Die Sache ist zuverlässig höchst merkwürdig. Nicht blos keine natürliche Wissenschaft konnte Hülfe bringen (vom „flachen Rationalismus“ läßt sich ja nichts anderes erwarten), sondern auch geistliche Mittel helfen offenbar nichts, wie sie denn auch in anderen derartigen Fällen nichts helfen. Der Bock aber besiegt diese magische Macht, ohne einer besonderen Ermächtigung zu bedürfen und ohne eine Teufelaustreibung anzuwenden. Kein Wunder wäre es also, wenn ein solches Thier der besonderen Verehrung der Gläubigen empfohlen würde, und es zeigt sich hier wiederum, wie sehr die alten und die uncultivirten Völker mit ihrer Thierverehrung im Rechte waren gegenüber der flachen Aufklärung der neueren Zeit mit ihrer rationalistischen Philosophie und Naturwissenschaft.

Und doch klagen die Spiritisten noch über Vernachlässigung der Geisterkundgebungen von Seite der Wissenschaft und fordern die wissenschaftlichen Forscher zur Prüfung auf. Diese aber sind für solche Erscheinungen durchaus nicht die befähigtsten Richter, weil sie es dabei nicht mit der ehrlichen Gesetzmäßigkeit der Natur zu thun haben, daher trotz aller Vorsicht leicht hinter’s Licht geführt werden können, wodurch die Wissenschaft der Gefahr sich aussetzt, in Mißcredit zu gerathen. Viel competenter in solchen Angelegenheiten geheiligten Schwindels sind die Meister der natürlichen Zauberei und Taschenspielerkunst, obwohl auch sie nicht ganz gesichert sind vor Betrug und fuß- und händegewandter Täuschung. Wie vorsichtig die wissenschaftlichen Forscher sein müssen und wie ihre Betheiligung dem gläubigen Publicum gegenüber mißbraucht wird, haben wir an dem Schicksale des Gutachtens gesehen, das Professor Th. Schwann in Lüttich über die stigmatisirte Louise Lateau abgab. Er ließ sich bestimmen, wenigstens als Privatperson den Versuchen an dieser frommen Jungfrau am 26. März 1869 beizuwohnen, und obwohl er sich nichts weniger als günstig ausgesprochen hatte, ward doch sogleich von den geistlichen Theilnehmern, wie in allen ultramontanen Blättern verkündet und trotz aller Gegenerklärung aufrecht erhalten, daß der anerkannte Mediciner sich zu Gunsten des wunderbaren und übernatürlichen Charakters der Erscheinung ausgesprochen habe (Dr. Th. Schwann: „Mein Gutachten etc.“ 1875).

Ein wissenschaftliches Gutachten gegen die Erscheinung wurde also dem gläubigen Volke als ein Zeugniß für das „Wunder“ verkündet und zur Befestigung von Wahn und Aberglauben verwendet, trotz allen Protestes seines Urhebers. Der gläubige Spiritismus würde kaum anders verfahren, zum mindesten doch einem ungünstigen Urtheil der Wissenschaft ohne Bedenken von seinem Glaubensstandpunkt aus jede Anerkennung versagen. Wissen wir doch, wie erbittert die Wortführer sich oft gegen den „Rationalismus“ äußern. Und wie wenig sie geneigt sind, ihre Ueberzeugung von einem thatsächlichen Erscheinen und Wirken der Geister aufzugeben, das zeigt unter Anderem deutlich ihr Verhalten gegen die zwei Brüder Eddy, welche nicht blos den Geisterglauben aufgaben, obwohl sie „Mediums“ waren, sondern sogar Gegenbeweise zu liefern unternahmen. Man verwarf diese und verdächtigte die Personen, sowie sie gegen die gläubige Meinung auftraten.

Die Wissenschaft hat also allen Grund, hier mindestens recht vorsichtig zu sein und lieber manches verblüffende Räthsel noch ungelöst zu lassen, als sich der Gefahr auszusetzen, von einer geschickten Verschmitztheit genarrt und herabgewürdigt zu werden.

Zur richtigen Würdigung des Spiritismus in seinem Verhältniß zur Wissenschaft genügt es vorläufig, die historisch begründete Thatsache zu kennen, daß durch Wunderglauben, durch Zauberei, Geister- und Teufelsbeschwörungen und -Erscheinungen noch niemals ein Volk sich aus Unwissenheit und Barbarei zur Bildung und Gesittung erhoben hat, sondern daß dies stets nur durch natürliche Forschung, durch Wissenschaft und die davon ausgehende Bildung geschah; daß dagegen Zauberei und Geisterwesen stets in dem Maße abnahm, als die Wissenschaft und Bildung in einem Volke fortschritt. Mit dem modernen Spiritismus ist es nicht anders. Er enthält nichts, was die Menschheit in irgend einer Beziehung zu fördern vermag; er führt vielmehr nur zu alten verlassenen Vorstellungen uncultivirter Völker zurück. Irgend eine Besserung des physischen oder geistigen Lebens aber ist nicht von ihm zu erwarten. Oder haben alle diese heraufbeschworenen Geister jemals unser Wissen bereichert, uns neue und wichtige Erkenntnisse offenbart, bringen sie etwas mit sich, was irgend das Leben zu bessern vermag? Daß der Glaube an Zauberei, an Hexen und Geister der Humanität nicht günstig sei, ist aus der Geschichte doch hinlänglich zu erweisen. Selbst den tröstlichen Glauben an die Unsterblichkeit, auf deren Bestätigung durch das Wiedererscheinen der Seelen Verstorbener die Spiritisten so vielen Werth legen, können dieselben nicht fördern, denn das Jenseits wird vom Spiritismus zu den plattesten aller diesseitigen Zustände und Strebungen herabgedrückt, wodurch er gänzlich unfähig wird, edle Beweggründe für höheres Streben in der Menschheit anzuregen.

Aber an der Sache ist noch eine andere Seite. Allenthalben ist es Drang und Sitte bei cultivirten Völkern, den Verstorbenen am Grabe den Wunsch nachzusenden, daß sie des ewigen Friedens theilhaftig werden mögen. Es kann daher nicht wohlgethan sein, diesen Frieden im Interesse menschlicher, noch dazu ganz trivialer und unfruchtbarer Neugierde stören zu wollen. Als unschicklich und durchaus unstatthaft müßte es darum erachtet werden, die Geister Verstorbener zu einem kindischen Rumoren in Möbeln, zum Schreiben leeren Wortkrams auf Schiefertafeln, zu schauspielerischem Auftreten und Entfalten von Toiletten und anderen dergleichen Albernheiten zu veranlassen oder gar zu nöthigen – selbst wenn man es wirklich vermöchte. Doppelt verwerflich ist dies, wenn es sich um die großen erhabenen Geister der Menschheit handelt, die im Leben das Höchste angestrebt, auch mehr oder minder erreicht haben und Wohlthäter und Vorbilder für alle Zeiten geworden sind. Diese nun in den kleinlichen Rollen als Tischklopfer, Schreiber von Lappalien durch die Hand Anderer etc. verwenden zu wollen, das ist eine Erniedrigung, eine Verunehrung dieser edlen Seelen, welche Seitens des rechten Pietäts- und Anstandsgefühls stets die entschiedenste Zurückweisung erfahren sollte. Dem Wilden kann man dergleichen Gebahren mit ihren Abgeschiedenen zu Gute halten, nimmermehr aber civilisirten Menschen.

„Aber die Thatsachen?“ so höre ich fragen, „aber das große wissenschaftliche Problem, das hier zur Erforschung und Lösung vorliegt?“ – Selbst wenn wir ein solches Problem zugeben, so weit abnorme, aber ganz natürliche Verhältnisse dabei zur Erscheinung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_337.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)