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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Widerschein des Lichtes; zu seinen Füßen ruht dicht am Rande des Wassers eine Gesellschaft von Enten; oben auf den Felsvorsprüngen stehen Sturm-, Silber- und Lachmöven.

Einen unheimlichen Anblick gewährt das Becken der großen Saurier. Die riesigen Alligatoren, Krokodile aller Größen schwimmen in dem erwärmten Wasser, aus dem nur Augen und Nasenlöcher hervorsehen; das Licht übt keinen Eindruck auf sie aus, ebenso wenig wie auf die große Gesellschaft Schildkröten, von denen viele ganz unter dem Wasser sind, während andere auf dem trockenen Gesteine liegen. Die fremden und heimischen Eidechsen entdeckten wir nach langem Suchen auf den Zweigen und Aesten der in dem Käfige grünenden Gewächse; die Stellungen, welche diese zierlichen und leider von Vielen mit Unrecht gefürchteten Geschöpfe während der Ruhe einnahmen, waren höchst eigenthümlicher Art. Einige schienen, während sie den senkrechten Stamm hinauf liefen, wie jene Thiere in dem Märchen vom „Dornröschen“, vom Zauberschlafe überrascht worden zu sein und hingen mit ausgespreizten Beinen kopfüber oder kopfunter an der Baumrinde; andere lagerten drei- und vierfach über einander auf einem schwankenden wagerechten Aste – von unserer Anwesenheit nahm keines der Thiere irgend welche Notiz. Die Schlangen gaben zu den verschiedensten Beobachtungen Veranlassung; die meisten derselben schliefen zusammengerollt auf dem Sande des Käfigs; die Riesenschlange befand sich indeß in voller Lebensthätigkeit, sie umkreiste in unverkennbarer Aufregung ihren Behälter, stieg bis in die Mitte desselben in die Höhe und hatte es auf der Jagd nach einer feisten Ratte erst so weit gebracht, ihrem Opfer den Schwanz abzubeißen. Die Klapperschlange eilte auf die Laterne zu, während einige Nattern trotz der ziemlich nahe gerückten Beleuchtung regungslos verblieben.

Ein überaus interessantes Bild boten die eigentlichen Fisch-Aquarien. Die Frage: Wie und wann schlafen die Fische? muß nach den von uns beobachteten Erscheinungen verschiedenartig beantwortet werden. Deutlich bemerkte wir in der Dunkelheit, wie in den einzelnen Becken Schlaf und Wachen gleichmäßig vertheilt war. Der riesengroße Seeaal schlängelte sich schwerfällig an den dicken Scheiben entlang; Dorsche und Flundern jagten munter umher, von den übrigen: Fluß- und Kaulbarsch, Karausche, Schleie, Karpfen, Goldstrichbrasse, Seehase, Stör, Seeäsche, Wittling, Hecht und Anderen, befand sich ein Theil in voller Lebendigkeit, der andere lag still und ohne Bewegung der Flosse auf dem Grunde des Bassins unter Steinen oder auf zurücktretenden Felsplatten. Die schlafenden Seehasen (Cyclopterus) hatten sich mit ihren Saugtheilen an den Glaswänden oder dem Granitgestein festgeheftet, um der Ruhe zu pflegen. Eigenthümlich wirkte auf sie die plötzliche Lichterscheinung; die Mehrzahl der Schläfer erwachte und schwamm neugierig herbei, um den unerwarteten Besuch lange anzuglotzen; die zahlreichen Haie, Dornhaie (Acanthias vulgaris) und Hundshai (Scyllina canicula) schlossen ihre katzenähnlichen Augen und blieben ruhig, dagegen kam über eine große Sippe von Seescorpionen (Ancanthias scorpio) ein wahres Entsetzen; in sichtlicher Angst durchschossen sie das Element, sich gegenseitig überrennend; andere wühlten sich in großer Aufregung in den Sand, sodaß kleine Steine und Geröll mit lautem Geräusch an die Glas- und Felswände schlugen, bis schließlich das ganze Becken in undurchdringliches Grau gehüllt war. Einen überraschenden Anblick gewährten die von unserer Laterne bestrahlten Krustenthiere, die „Insecten des Meeres“'. Aus dem Schlafe aufgeschreckt, kommen die Hummern von dem Felsgebirge heruntergestelzt; ihnen folgen Krebse, Krabben, Pfeilschwanzkrebse und Seespinnen, um sich das Kerzenlicht in nächster Nähe zu besehen; hierbei machen wir die merkwürdige Beobachtung, daß die gestielten Augen der Kruster glühwürmchenähnlich leuchten. Einige furchtsame Individuen lassen die beiden Feuerpünktchen unter einem dunklen Stein hervorglänzen, als säße dort das nächtliche Gelichter von Katzen und Eulen.

Ein Bild, wie es reizvoller im ganzen weite Naturreiche nicht wiedergefunden werden dürfte, bot das Becken mit den Hunderten von Garneelen (Garnaten, Crangon vulgare). Diese kleinen, fast glasartig durchsichtigen Krebschen zogen sich, als sie die Lichtflamme erblickten, in die hinteren dunkeln Regionen ihres Heims zurück. Dort lagerten sie in dichten Schaaren beisammen am Boden, von wo die unzähligen glühenden Doppelpünktchen ihres Sehorgans wie der gestirnte Himmel einer Tropenacht zu uns herüber leuchteten. Plötzlich, wie auf ein verabredetes Zeichen, stürzt das feurige Heer nach vorn, um die Lichtquelle zu erstürmen, tritt aber ebenso schnell den Rückzug wieder an. Wohl eine halbe Stunde sahen wir dem reizenden Treiben zu und konnten uns nur mit Mühe davon losreißen. Der vielbewunderte Tintenfisch (Octopus vulgaris) entwand sich einen Moment der selbstgebauten Steinburg, streckte fühlend seine Fangarme nach uns aus, zog sich aber bald furchtsam mit blitzenden Augen zurück. Wenn schon das Schauspiel der Garneelen mich in freudiges Erstaunen versetzt hatte, so wurden wir zu lauter Bewunderung hingerissen, als wir vor dem Becken der Quallen und Polypen standen. Die Goethe’schen Worte durchzitterten meine Seele:

„Ihr alle fühlt geheimes Wirken
Der ewig waltenden Natur,
Und aus den untersten Bezirken
Schwingt sich heraus lebend’ge Spur.“

Wie aus der Nacht zum Licht erstandene feenhafte Zaubergärten breitet es sich vor unseren Auge aus; aus weißem Marmorgestein entwachsen jene fabelhaften Blumengebilde, die wir gern in das Pflanzenreich einreihen möchten: die Erdbeerrose (Actinia mesembrianthemum) , die schimmernde Seenelke (Actinoloba dianthus), die blaßröthliche Petrushand (Lobaria palmata), Gürtel-, Faden-, Höhlen-, Wittwen- und Edelsteinrose, dazwischen Seestern und Seeigel – alle wetteifern an phantastischer Pracht und Lieblichkeit der Formen. Einige bewegen die fadenförmigen langen Fangarme träumerisch dem Lichte entgegen; andere verleugnen den Thiercharacter vollständig und gleichen auf das Täuschendste den freundlichen Kindern aus Wald und Flur. Durch die als Spiegel nach unten wirkende stille Oberfläche des Wassers, die in der darüber liegenden Nacht eine wirksame Folie erhält, erscheint das märchenhafte Gefilde doppelt und schimmert von oben als schwebende Gärten auf uns hernieder.

Die zweite Morgenstunde war längst vorüber, als sich uns die Pforten wieder öffneten. Der Schlaf, in dessen Reich wir neugierig eingedrungen waren, schien rächend mich für diesmal fliehen zu wollen, und lange noch umgaukelte mich die Bilder dieser nächtlichen Wanderung.




Alwine.
Der Wirklichkeit nacherzählt von Paul Wislicenus.

Da saß ich endlich vor dem Kaffee, in meinem Hôtelzimmer, in der fröstelnden Morgenfrühe, und nun konnte ich in Ruhe dem halblauten, eigenthümlichen Gesange im Nebenzimmer lauschen. Es war eine tiefe Frauenstimme, welche sang. Wollte sie ein Kind einschläfern? Aber so früh am Morgen? Es schien mir unmöglich.

Endlich schwoll der Gesang stärker an und der Text des Liedes wurde verständlich:

„Und soll ich denn begraben sein,
Legt mich nicht in’s dunkle Grab hinein,
Ach, legt mich am Wasser auf feuchten Sand,
Laßt mich schlafen am wilden Meeresstrand!“

Nun war sie still, und es überkam mich wehmüthig. Ich kannte das Lied, und sie sang es so ausdrucksvoll und traurig. Da, horch, tönte die Stimme wieder:

„Und wenn die Woge dumpf erbraust,
Der Sturmwind durch die Dünen saust,
Das Schiff erdröhnt, die Raae bricht –
Ich bleibe still, und rege mich nicht.“

Aber was war denn das? Klang es nicht wie ihre Stimme, die Stimme der Heißgeliebten, Verlorenen? War das nicht ihr Lied, welches mich verfolgt hatte seit jener schaurig-süßen Zeit – – Wo hatte ich meine Gedanken gehabt!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_347.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)