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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

was aus der Seele des Mannes Dir entgegenflammt, das ist weit heißer, mächtiger, als alle Jünglingsschwärmereien, das erlischt erst mit dem Leben. – Sage, daß Du mir angehören willst, und ich will Dich mit Allem umgeben, was die Liebe, die Vergötterung nur zu schaffen vermag. Ich will jeden Kampf für Dich bestehen, jeden Schmerz von Deinem Haupte abwenden, und wenn wirklich ein Sturm uns droht, Dich soll er nicht berühren; meine Arme sind stark genug, ein geliebtes Wesen zu schützen. Du sollst nur der Sonnenstrahl meines Lebens sein, sollst nur leuchten und beglücken. Was ich bisher auch erstrebte und errang, der Strahl hat mir gefehlt, und nun er mir einmal geleuchtet hat, kann ich das Auge nicht wieder davor verschließen. Gabriele, sei mein Weib, mein Glück – mein Alles!“

Es wehte eine grenzenlose Zärtlichkeit aus diesen Worten. Die stürmische Gluth verlor sich in weichen bebenden Lauten, wie sie wohl noch nie von den Lippen Arno Raven’s gekommen waren, und dabei umschlang sein Arm fest und fester die zarte Gestalt und zog sie leise und unwiderstehlich an sich. Gabriele ließ es geschehen. Es umspann sie wieder süß und beängstigend, wie einst beim Rauschen des Quells, und wie damals, ließ sie sich widerstandslos fortziehen aus dem hellen Sonnenlicht, in dem sie bisher geathmet, in unbekannte Tiefen. Ihr war, als müsse sie versinken darin, und als sei es eine Seligkeit zu versinken und zu vergehen, von diesem Arme umschlungen. –

Ein Klopfen an der Thür schreckte Gabriele und den Freiherrn empor. Es mochte sich wohl schon einige Male wiederholt haben, ohne gehört worden zu sein, denn es tönte ungewöhnlich laut und scharf und drängte sich wie ein schneidender Mißton in das kurze Glück dieser Stunde.

„Was giebt es?“ rief Raven auffahrend. „Ich will nicht gestört sein.“

„Excellenz verzeihen,“ ließ sich die Stimme des Dieners draußen vernehmen. „Soeben ist ein Courier aus der Residenz angelangt. Er hat Befehl, seine Depeschen nur Euer Excellenz persönlich zu übergeben, und verlangt augenblicklich vorgelassen zu werden.“

Der Freiherr ließ langsam das junge Mädchen aus seinen Armen. „So werde ich aus meinen Liebesträumen geweckt,“ sagte er bitter. „Nicht einmal diese wenigen Minuten sind mir vergönnt. Es scheint, als dürfte ich überhaupt nicht träumen und lieben. – Der Courier soll einige Minuten warten,“ fügte er dann laut hinzu. „Ich werde ihn rufen lassen.“

Der Diener entfernte sich. Raven wandte sich wieder zu Gabriele, aber er sah sie betroffen an. „Was hast Du denn? Du bist ja auf einmal todtenbleich geworden. Es ist irgend eine wichtige Botschaft aus der Residenz, die mich allein angeht, eine Amtssache, nichts weiter. Sie hätte freilich zu einer andern Zeit eintreffen können.“

Gabriele war in der That sehr bleich geworden. Jenes Klopfen, gerade in dem Momente, wo das entscheidende Ja auf ihren Lippen schwebte, durchzuckte sie wie die Ahnung irgend eines Unheils. Sie wußte selbst nicht, warum sie bei der Meldung gerade an Georg und seine Abschiedsworte denken mußte. Er war ja jetzt in der Residenz, und dort war etwas gegen den Freiherrn im Werke.

„Ich werde gehen,“ sagte sie hastig. „Du mußt den Courier empfangen. Laß mich fort!“

Raven umfaßte sie von Neuem. „Und Du willst ohne Antwort von mir gehen? Soll ich noch länger zweifeln und fürchten, daß jener Andere wieder zwischen uns tritt? Geh, aber laß mir Dein Ja zurück. Es ist ja in einer einzigen Secunde ausgesprochen. Nur dieses eine Wort – dann halte ich Dich nicht länger.“

„Laß mir Zeit bis morgen!“ die Stimme des jungen Mädchens klang in bangem, rührendem Flehen. „Fordere jetzt keine Entscheidung von mir, erzwinge sie nicht! Arno, ich bitte Dich.“

Ein Aufleuchten des Glückes flog über das Antlitz des Freiherrn, als er zum ersten Mal aus ihrem Munde seinen Namen hörte, ohne jedes andere Wort, das dem Verwandten, dem Vormunde galt. Er drückte rasch und heftig seine Lippen auf ihre Stirn.

„Es sei, ich will von Dir nichts erzwingen. Ich will allein dem glauben, was mir Deine Augen sagen. Bis morgen also, bis dahin – lebe wohl, meine Gabriele!“

Er geleitete sie zum zweiten Ausgange des Gemaches, der in seine Bibliothek führte. Von dort gelangte man auf den Corridor, und das junge Mädchen hatte den letzteren kaum verlassen, als im Arbeitszimmer des Freiherrn auch schon die Klingel ertönte, die den Courier herbei rief. Arno Raven hatte in der That wenig Zeit, sich seinen Liebesträumen hinzugeben; er wurde unerbittlich wieder in die Wirklichkeit zurückgerissen.

Gabriele hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Noch war das entscheidende Wort nicht ausgesprochen, aber die Entscheidung selbst war bereits gefallen. Die eben durchlebte Stunde hatte die Brücke zu der Vergangenheit abgebrochen, es gab keine Rückkehr mehr. Und wäre jetzt Georg selbst dazwischen getreten, um seine Rechte zu wahren und zu behaupten – es war zu spät, er hatte sie bereits verloren. Was dem Jünglinge mit all seiner Schwärmerei und Innigkeit nicht möglich gewesen war, das hatte der ältere Mann mit seiner späten, aber um so glühenderen Leidenschaft erreicht. Er hatte die ganze Seele des jungen Mädchens an sich gekettet; es war kein Raum mehr darin für einen Andern. Arno Raven allein beherrschte alle Gedanken und Empfindungen Gabrielens, und er beherrschte auch ihre Träume, als sie endlich, lange nach Mitternacht, einen kurzen, unruhigen Schlaf fand. Georg’s Bild tauchte nicht aus diesen Träumen empor, in denen die Ereignisse der letzten Stunden sich wirr und phantastisch durcheinander drängten. Es war nur eine einzige Gestalt, die im Vordergrunde stand, und mit ihr verwebte sich die Erinnerung an die heutige Fahrt durch die dämmernde Landschaft im Herbstabend, Sturmgewölk und fern am Himmel ein flammendes Abendroth.




„Das ist unerhört. So etwas ist noch nicht dagewesen; ich wollte meinen eigenen Augen nicht glauben. Das untergräbt ja jede Autorität, erschüttert die Regierung, rüttelt an den Säulen des Staates – es ist schrecklich.“

Es war Hofrath Moser, der im höchsten Pathos diese Worte dem Polizeidirector entgegen rief. Der Letztere war bei dem Gouverneur gewesen und kam soeben die Treppe herunter.

„Sie meinen die Unruhen in der Stadt?“ fragte er mit einem leisen, etwas hohnvollen Lächeln. „Ja, es ging etwas arg zu am gestrigen Abende.“

„Wer spricht davon!“ rief der Hofrath. „Das sind Pöbelexcesse, die man zügeln und bewältigen wird, nöthigenfalls mit militärischer Hülfe. Aber wenn die Revolution bis in die Kreise der Beamten dringt, wenn Männer, die berufen sind, die Regierung zu vertreten und zu stützen, sie in solcher Weise angreifen, dann hört alle Ordnung auf. Wer hätte das dem Assessor Winterfeld zugetraut, der stets für das Muster eines Beamten galt! Freilich, mir war er von jeher verdächtig. Sein Mangel an Loyalität, seine Hinneigung zur Opposition, seine staatsgefährlichen Verbindungen flößten mir längst Besorgniß ein, und ich sprach das verschiedene Mal gegen Seine Excellenz aus, aber der Freiherr hörte nicht darauf. Er hatte eine Vorliebe für den Assessor, er öffnete ihm ja erst kürzlich durch die Versetzung in die Residenz die glänzendsten Aussichten, und nun lohnt ihn dieser Verräther mit so schwarzem Undank.“

„Sie sprechen von der Flugschrift Winterfeld’s,“ fragte der Polizeidirector. „Haben Sie die Broschüre schon in Händen? Sie kann erst heute Morgen in R. angelangt sein.“

„Ich erhielt sie durch Zufall, durch einen Collegen, dem sie gleich beim Eintreffen in die Hände fiel. Ein ganz entsetzliches Machwerk. Das ist ja die offenbare Rebellion. Es werden Seiner Excellenz Dinge darin gesagt. Dinge – ich bitte Sie, wie konnte so etwas nur gedruckt und verbreitet werden! Haben Sie denn noch keine Schritte zur Unterdrückung gethan?“

„Ich habe dazu weder einen Befehl, noch irgend eine Veranlassung,“ erklärte der Polizeichef, dessen kühle Ruhe einen seltsamen Gegensatz zu der Aufregung Moser’s bildete. „Die Broschüre ist an der Residenz erschienen, und es dürfte wohl zu spät sein, ihre Verbreitung zu hindern. Ueberhaupt – man unterdrückt nicht mehr so ohne Weiteres mißliebige Aeußerungen, wie das wohl früher geschah; die Zeiten haben sich doch einigermaßen geändert. Was aber die Schrift selbst betrifft, so bin ich vollkommen Ihrer Meinung. Es ja wohl das Stärkste, was einem Vertreter der Regierung je in’s Antlitz gesagt worden ist.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_356.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2016)