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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Lebensart an und gewöhnte sich an den vornehmen Umgang, der ihm bis an sein Ende Bedürfniß geblieben ist. Aber noch ein Anderes und zwar für ihn Werthvolleres erwarb er sich in diesen Kreisen: jenen brillianten Schliff des verfeinerten Pariser Geschmackes in Sprache und Stil, der allen Franzosen als classisch gilt. An reichlicher Nahrung für seinen Spott gegen die bestehenden Gewalten, namentlich in Bezug auf das kirchliche Wesen, hat es sicher in jenen aristokratischen Cirkeln auch nicht gefehlt.

Der junge Voltaire erregte frühzeitig hin und wieder Aufsehen durch satirische Gedichte, und in seinem dreiundzwanzigsten Jahre wurde er sogar wegen eines solchen Angriffs auf eine hohe Persönlichkeit elf Monate hindurch in die berüchtigte Bastille geschickt. Das galt aber im Urtheile des Publicums damals bereits als eine Auszeichnung, so weit war die Schärfe des Oppositionsgeistes schon gediehen. Auch Voltaire ging aus der Zwingburg der Könige mit dem Nimbus des Märtyrers hervor, aber eine zweifellose Befestigung seines literarischen Ansehens erlangte er im nächsten Jahre, als seine Tragödie „Oedipe“ vierzig Mal hinter einander unter dem rauschendsten Beifall aufgeführt wurde. Zugleich befreite ihn dieser sichtliche Erfolg von der juristischen Laufbahn, in die ihn der Vater wider seine Neigung gedrängt hatte. Unter den Anerkennungen, welche ihm sodann einige weitere Tragödien eintrugen, fehlte auch die Aussetzung einer königlichen Pension nicht. Ein Streben nach Hofgunst lag in jenen Tagen selbst den unabhängigsten Geistern nicht fern, dem jungen Voltaire aber gereicht es jedenfalls zur Ehre, daß er den königlichen Gnadengehalt zwar dankbar annahm, sich jedoch dadurch in keiner Weise abhalten ließ, seine Urtheile über die bestehende Mißwirthschaft so offen als möglich auszusprechen. Schon sein „Oedipe“, dieses Erstlingswerk, enthielt starke Anzüglichkeiten gegen die engherzige Verfolgungssucht der Priester, aber viel breiter und mächtiger wurde der in ihm gährende Widerspruch gegen den geistlichen Fanatismus in seiner berühmten, zuerst 1723 gedruckten und erst später zu ihrer jetzigen Gestalt umgearbeiteten „Henriade“ ausgeprägt, dem Hauptwerke seiner Jugend.

Die ästhetische Kritik hat längst die großen poetischen Schwächen dieser Schöpfung hinreichend nachgewiesen aber kein unbefangener Leser wird leugnen können, daß dieses sogenannte Epos Partien von hinreißender Kraft und Schönheit bietet (wie z. B. die tiefergreifende Schilderung der Bartholomäusnacht) und daß die Sprache des Ganzen sich mit wahrhaft bestrickendem Wohllaut in die Seele schmeichelt. In allen deutschen Schulen wurde deshalb früher auch auf das Studium dieser Verse ein besonderer Eifer verwendet. Aber nicht allein in ihrem ästhetischen Charakter, sondern in ihrer Tendenz lag die Bedeutung dieses Werkes, es war, wie Hettner treffend bemerkt, weniger eine dichterische, als eine geschichtliche That. Voltaire vermeidet darin mit schonender Vorsicht jeden directen Angriff auf die Monarchie und die Geistlichkeit, ja er verherrlicht die erstere ausdrücklich. Je weniger er aber frei war und frei sein konnte von einem Zittern vor dem starken Arme dieser Willkürgewalten, um so höher haben wir es ihm anzurechnen, daß sein Gedicht unter dem Alles niederbeugenden Drucke solcher Zustände dennoch als eine gewaltige Verherrlichung bürgerlicher und religiöser Freiheit sich darstellt, als ein glühender Protest gegen die Verfolgung der Protestanten, als ein tiefernst aus dem Herzen kommender Mahnruf begeisterter Menschenliebe zur Versöhnung und Milde, zur Aufklärung und Bildung. Das war ein Funke, der weit und breit in Tausenden haften mußte, die herzlich müde waren der Verwüstungen des endlos rings umher lodernden Ketzer- und Glaubenshasses und nun in den neuverkündeten Grundsätzen der Duldsamkeit den Weg zum Frieden aus schmerzensvoller Wirrniß eröffnet sahen. Dadurch gewann das Buch eine ungeheure Verbreitung, die Bedeutung eines unberechenbar machtvollen Einflusses auf die Richtung der Gemüther. In seinem dreißigsten Jahre war Voltaire durch seine „Henriade“ zu einem europäischen Rufe gelangt. Das Geschick aber, welches so viele Talente schon in ihrem erste Entfalten zerstört, bewahrte fürsorglich diese Menschen vor einem Einschlummern aus dem früh errungenen Lorbeer. Es war, als ob er in der bitterste Weise erst noch an sich selber die heillose Schmach der bestehenden bürgerlichen Verhältnisse erfahren und dadurch gewaltsam in neue Bahnen geworfen werden sollte, die er ohne diesen Zwang vielleicht niemals betreten hätte.

Verfolgungen der Censur waren ihm schon reichlich zu Theil geworden, auch an Mißhandlungen durch Feinde und Neider hatte es nicht gefehlt. Aber das Schlimmste dieser Art stand ihm noch bevor. Ein Herzog von Rohan, der den Titel eines Feldmarschalls führte, chicanirte den angeblichen Dichter bei jeder Gelegenheit und unter Anderem auch einmal in Gegenwart der berühmten Schauspielerin Adrienne Lecouvreux. Voltaire wies den höhnischen Frager mit einer würdigen Antwort zurück, reizte aber dadurch nur um so stärker den kochenden Haß dieser erbärmlichen Seele. Als Voltaire einige Tage später bei dem Herzoge von Sully zu Mittag speiste, wurde er durch einen der Diener auf die Straße gerufen und sah dort beim Heraustreten aus der Thür den Herzog von Rohan, welcher ruhig im Wagen saß, während seine Diener den arg- und wehrlos Herbeigekommenen sofort überfielen und ihn mit Stockschlägen jämmerlich tractirten. In solcher Manier bestrafte damals der hohe Adel einen Widerspruch gegen seine herausfordernden Beleidigungen.

Es war ein niederträchtig gemeiner Streich, aber noch trauriger für Voltaire war es, daß der ihm widerfahrene Schimpf in den Kreisen seiner sogenannten Freunde aus der höchsten Noblesse durchaus nicht die von ihm erwartete Entrüstung hervorrief. Die bezeichnete Handlungsweise eines Herzogs gegen einen Menschen aus der bürgerlichen Canaille erschien ihnen gar nicht als so außerordentlich, und selbst der Herzog von Sully, von dessen Tisch der Mißhandelte hinweggerufen war, wollte nicht gegen Rohan zeugen. Für Voltaire, der auch bei den Behörden keinen Schutz fand, gab es nun keinen anderen Weg, als die Herausforderung zum Zweikampf. Sein hochgestellter Feind aber kam dieser Ausfechtung zuvor. Mit Leichtigkeit konnte er einen Verhaftsbefehl gegen ihn erwirken, und so wurde der schwer gekränkte und geschädigte Dichter des „Oedipe“ und der „Henriade“ noch obendrein in die Bastille gesteckt. Das waren die „guten alten Zeiten“ auf dem gesammten Festlande Europas!

Der Gefangene wurde zwar bald wieder losgelassen, jedoch mit der Ankündigung, daß er des Landes verwiesen sei und zwar nach – England. Wen der Himmel verderben will, den schlägt er mit gedankenloser Blindheit. Der aristokratische Hochmuth ahnte nicht, was er that und wie sehr er selber das bereits still über ihn hereingebrochene Verhängniß förderte, als er einen so talentreichen und geweckten Bestreiter seiner Ansprüche mit einem brennenden Stachel im Herzen zwangsweise gerade nach dem britischen Eilande spediren ließ. Wahrhaft komisch berührt es, wenn man liest, daß ihn der Kerkermeister wachsam bis Calais begleiten mußte, damit er ja nicht etwa einen anderen Weg einschlage. Das Schiff, welches ihn der Heimath entführte, trug ihn eine neuen Epoche seines aufsteigenden Daseins entgegen.


(Fortsetzung folgt.)
A. Fr.


Aus dem Königreiche der Geiger und Pfeifer.

„Drei Schlösser auf einem Berg!“ beginnt ein oft angeführter Spruch von den Wahrzeichen des Elsasses; er bezieht sich zunächst auf die drei Rappoltsteiner Burgen, welche die schroffen Porphyrkegel über der Stadt Rappoltsweiler, dem Hauptort des herrlichen elsässischen Weinlandes zwischen Schlettstadt und Kolmar, krönen. Auch die übrigen Wahrzeichen: „drei Kirchen auf einem Kirchhof, drei Oesen in einem Saal, drei Städt’ in einem Thal“ fallen auf dieses schöne Gebiet.

Rappoltsweiler (Ribeauviller), von der Bahn mit dem Omnibus rasch erreicht, ist eine der bekanntesten Städte des Landes, besaß aber gleichwohl nie die Reichsfreiheit ihrer Schwesterstädte, sondern befand sich ganz behaglich als Hauptstadt der beträchtlichen Grafschaft Rappoltstein (Ribeaupierre), welche nicht blos den reichen Weinstrich vor dem Gebirge, sondern auch die Bergstadt Markirch, sowie die wälsche Sprachinsel La Baroche und Val d’Orbey in den Hochvogesen umfaßte, also über das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_361.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)