Seite:Die Gartenlaube (1878) 369.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


war ein gewisser John Waller. Dieser begab sich im Jahre 1774, nachdem er monatelang wegen Predigens in Gotteshäusern in dem Gefängnisse zu Urbana in Middlesex-County geschmachtet hatte, nach Spotsylvania-County, wo er einen Aufruf an alle Baptisten Virginiens erließ und dieselben aufforderte, nach einem Walde in jenem County zu kommen, um daselbst unter dem schattigen Laubgezelt der Bäume gottesdienstliche Versammlungen im Freien abzuhalten. Aus einer Entfernung von mehr als hundert englischen Meilen strömten die Menschen nach diesem ersten jemals abgehaltenen Campmeeting. Mitten im Walde, abgeschnitten von aller Welt, kam, sobald John Waller seine Worte ertönen ließ, eine gewaltige religiöse Begeisterung über die Leute. John Waller, welcher bald einsah, daß er einen Funken in die Herzen des Volkes geworfen, predigte fortan in keiner Kirche mehr, dagegen veranstaltete er überall Campmeetings, und bald brachte er es dahin, daß die Zahl der Baptisten sich schnell mehrte. Die Anhänger der Staatskirche gingen häufig, anfangs wohl nur aus Neugierde, in die Wälder, um den eigenthümlichen Versammlungen beizuwohnen. Als sie dann die religiöse Begeisterung sahen, in welche die Massen geriethen, da war es auch um sie geschehen. Abergläubisch und unwissend, wie damals die Bevölkerung Virginiens war, glaubte sie in dem wahnsinnigen Gebahren der Baptisten das Walten Gottes zu erkennen, und bald gingen sie zu ihnen über und machten vereint mit denselben Front gegen die Mutterkirche.

Im Jahre 1789 wanderten zwei Baptistenprediger, Namens John und Lewis Craig, die häufig auf den Waller’schen Campmeetings gepredigt hatten, nach Kentucky aus und suchten jene Versammlungen auch dorthin zu verpflanzen. Dies wollte ihnen anfangs nicht gelingen, denn die Baptisten Kentuckys waren in verschiedene Fractionen gespalten und mehr geneigt, mit ihren Principien zu prahlen, als dieselbe durch einem frommen Wandel zu bethätigen. Hierzu kam noch, daß in Kentucky die Presbyterianer und Methodisten die Oberhand hatten und die Baptisten bei jeder Gelegenheit zu unterdrücken suchten. Schließlich wandten sich die Brüder Craig ganz von den Baptisten ab, brachten eine Vereinigung unter den Presbyterianern und Methodisten zu Stande, und im Sommer des Jahres 1800 fand die erste, bereits oben erwähnte Lagerversammlung in Logan-County, Kentucky, statt. In Virginien setzten die Baptisten diese Art der Gottesverehrung noch eine geraume Zeit fort, als aber die bischöfliche Kirche schließlich immer mehr an Ansehen verlor (ihre weltliche Macht büßte sie bereits ein, sobald die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten erfolgt war), stellten die Baptisten ihre Campmeetings ein und bauten sich ihre eigenen Gotteshäuser. Die Vereinigung der Presbyterianer und Methodisten in Kentucky währte auch nicht lange. Bald trennten sich die beiden religiösen Gemeinschaften; die Presbyterianer kehrten zur alten hergebrachten Art der Gottesverehrung zurück, während die Methodisten die Sitte des Abhaltens von Lagerversammlungen bis auf den heutigen Tag beibehalten haben.

Unter allen in den Vereinigten Staaten existirenden Religionssecten befindet sich keine, die sich innerhalb der letzten Jahrzehnte in größerem Maße ausgedehnt und mehr Proselyten gemacht hat, als die Secte der Methodisten. Schon heute übertreffen die Methodisten an Zahl die in Nordamerika wohnenden Lutheraner und Katholiken um ein Bedeutendes. Nichts hat in höherem Grade zur Vermehrung der Anhänger der Methodistenlehre beigetragen, als die Lagerversammlungen, die gegenwärtig so häufig veranstaltet werden, daß man in vielen Staaten der Union, namentlich in den östlichen, die ganzen Sommermonate auf Campmeetings zubringen kann, denn kaum hat die eine aufgehört, so fängt schon eine andere an. Reiche Gemeinden haben in der letzteren Zeit damit begonnen, romantisch gelegene bewaldete Plätze käuflich an sich zu bringen und dieselben für ihre Versammlungen einzurichten. Diese Plätze sind häufig mehrere hundert Morgen groß und mit Hôtels, großartigen Restaurationen (in denen jedoch selbstverständlich keine geistigen Getränke verkauft werden) und riesigen Schlafsälen für solche fromme Brüder, denen ihre bescheidene Mitteln weder die Einrichtung eines eigenen Zeltes noch den Aufenthalt im Hôtel gestatten, bebaut. Auf diesen in großartigem Stil eingerichteten Plätzen finden sich im Juli, wenn die Meetings beginnen, häufig fünfzehn- bis zwanzigtausend Menschen ein, und die ersten Methodistengeistlichen des Landes sehen es als eine Ehre an, in den Versammlungen zu reden.

Großes Aufsehen hat in den letzten Jahren das Erscheinen eines weiblichen Apostels auf den Campmeetings erregt. Diese Verkünderin der Methodistenlehre führt den Name Maggie van Cott und war noch vor zehn Jahren die Frau eines ehrsamen New-Yorker Kaufmanns. Als ihr Gatte plötzlich starb und sie trauernd zurückließ, erschien ihr, nach ihrer eigenen Aussage, Christus mit der Dornenkrone auf dem Haupte und forderte sie auf, sein Evangelium zu verkünden. Und dies hat sie seither gründlich gethan. Kaum war jene überirdische Erscheinung von ihr gewichen, als sie eine gewaltige Veränderung in ihrem innersten Sein und Wesen verspürte. Sie war nicht länger die arme verlassene Wittwe, die den Tod ihres Gatten und Ernährers betrauerte; sie fühlte plötzlich eine ungeahnte Kraft über sich kommen, und ohne Angst und Scheu begab sie sich in die Tempel der Methodisten und begann mit der Erfüllung ihrer Mission. Bald sprach man allenthalben von der großen, feurigen Rednerin, und ihr Ruf scholl durch alle Staaten der Union. Sie hat allmählich jeden Staat besucht, und selbst die Territorien blieben nicht von ihr verschont. Wohin sie kam, wußte sie die Andächtigen durch die Macht ihrer Rede zu packen, und wenn man ihren Aussagen Glauben schenken darf, hat sie in den letzten sechs Jahren nicht weniger als dreißigtausend Menschen zur Lehre der Methodisten bekehrt.


Blätter und Blüthen.

Die Folgen des Attentats. Zwischen dem Momente, wo wir unter dem Eindrucke eines erschreckenden Ereignisses diese Zeilen schreiben, und dem Tage, an welchem diese Nummer aus der Presse in die Hände des Publicums gelangen kann, liegen ein paar voraussichtlich höchst bedeutsame Wochen, in denen überdies von sämmtlichen Blättern unserer liberalen Tagespresse Alles in erschöpfendster Weise gesagt sein wird, was über die für uns Alle so unerwartet hereingebrochene Prüfung sich äußern läßt. Dann aber wird es um solche Bekundungen gerechten Zornes und Schmerzes schon deshalb nicht mehr zu thun sein, da es alsdann ganz zweifellos feststehen wird, daß der eigentliche Kern und die überwiegende Mehrzahl der Nation eine unerhörte Beschimpfung unserer Volksehre in dem ruchlosen Angriffe auf das Leben des geliebten Monarchen sieht, vor dem wir in dankbarer Ehrfurcht unsere Häupter neigen, da er der heldenmüthige Retter und Wahrer unserer nationalen Existenz, der glorreiche Begründer deutscher Einheit, der Schöpfer volksthümlicher Institutionen und bisher stets ein Herrscher voll liebreicher Güte und herzbezwingender Milde gewesen ist, der das hingebende Vertrauen des Volkes mit herzlichem Vertrauen erwidert hat.

Gewiß, es müssen recht fühllose und verkommene Seelen sein, die nicht einzustimmen vermögen in die weithin so hell aufjubelnde, so warm und imposant aus allen Schichten des Volkes ausstrahlende Freude aber die Errettung des greisen Heldenkaisers aus der Mörderhand eines verwahrlosten Buben. Der harte Drang der Zeit aber wird uns nicht Muße lassen zu langer Hingebung an diese wohltuenden Gefühle. Dicht hinter den Tagen des Schreckens und der Freude werden Tage voll heißer Arbeit und eingreifender Entscheidungen kommen, und aus der Saat des Frevels werden uns gewaltige Aufgaben und schwere, wenn auch nothwendige und heilsame Kämpfe erwachsen. Schon tauchen aus dem Brausen der Meinungen unheimliche Anzeichen verhängnißreicher Wendungen auf, und mit bitterem Erstaunen sieht man, wie die immer lauernde Gier unserer Reactionsparteien, der geistlichen und der weltlichen, ihren Einfluß auf die erregten Stimmungen der Regierungskreise benutzen will, um die gesetzestreue und patriotische Nation durch noch weitere Beschränkung ihrer ohnedies bescheiden zugemessenen Rechte und Freiheiten für die Missetat eines vertierten Bösewichts zu bestrafen. Käme es in Folge des Attentates auf den Kaiser zu einem solchen Attentate auf das Volk, so würde es für die deutschen Bürger nur eine Parole geben: Lasset euch nicht von lyrischen Empfindungen und unklaren Gefühlen beherrschen, sondern stehet fest und einig der hereinbrechenden Gefahr gegenüber, die euch zu Boden treten wird, wenn ihr sie nicht mit scharfem Blicke und starker Entschlossenheit abzuwehren wisset! Brauchen wir erst zu sagen, daß solch eine Heimsuchung unseres Vaterlandes, solch ein erneuerter Kampf um die ersten Bedingungen eines freien Staatslebens auch die „Gartenlaube“ treu und rüstig bei ihren alten Fahnen finden wird?

Es wäre genug des Ernstes, wenn wir nur durch diese eine von den Rückschrittsleuten veranlaßte Befürchtung zu gemeinsamer Wachsamkeit herausgefordert würden. Aus der Betrachtung der verübten Schandtat ergiebt sich jedoch noch ein weiterer Punkt, der noch viel ernster und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_369.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)