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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Um hohen Preis.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Der Oberst sah nachdenkend zu Boden. „Sie haben wenig Freunde in der Residenz und bei Hofe. Ich sagte es Ihnen schon vor Monaten: es wird dort fortwährend gegen Sie gewühlt und intriguirt, und man bietet Alles auf, Ihren Einfluß zu untergraben. Wenn sich noch dazu ein geeignetes Werkzeug findet – Assessor Winterfeld ist ja wohl gegenwärtig im Ministerium?“

„Ja wohl,“ sagte der Freiherr mit Bitterkeit. „Ich habe ihm die Pforten dazu geöffnet – ich selbst habe meinen Denucianten nach der Residenz geschickt.“

„Man wird sich des jungen Mannes bemächtigt haben, weil man wußte, daß er direct aus Ihrer Kanzlei kam. Er leiht vielleicht nur den Namen her zu einem Angriff, der von ganz anderer Seite ausgeht.“

Raven schüttelte finster den Kopf. „Der ist kein Werkzeug in fremden Händen; der handelt aus eigenem Antriebe; auch kann die Schrift nicht erst in den wenigen Wochen entstanden sein, die seit seiner Entfernung verstrichen sind. Sie ist das Resultat von Monaten, von Jahren vielleicht. Hier in meiner Kanzlei, fast unter meinen Augen, ist der Anschlag geplant und entworfen worden. Jedes Wort zeigt, daß er lange und sorgfältig vorbereitet wurde.“

„Und der Assessor hat sich niemals Ihnen oder Anderen gegenüber verrathen?“ fragte Wilten. „Er muß doch Umgang, muß doch Vertraute gehabt haben.“

Die Lippen des Freiherrn zuckten, und sein Blick heftete sich auf die Fensternische, aus der ihm gestern Gabriele entgegengetreten war.

„Einen seiner Vertrauten wenigstens kenne ich,“ sagte er dumpf, „und der soll mir Rede stehen. Was ihn selbst betrifft – nun, das wird sich finden. Zwischen uns beiden kann nur von einer Auseinandersetzung die Rede sein, für den Augenblick aber habe ich mit anderen Feinden abzurechnen. Es kommt wenig darauf an, ob ein Assessor Winterfeld in tugendhafter Entrüstung mich für einen Tyrannen und meine Amtsführung für ein Unglück erachtet; das haben Andere auch gethan. Aber daß er es wagen darf, das in alle Welt hinauszuschreien, und daß dieses Wagniß geduldet, vielleicht sogar begünstigt wird – das ist es, was der Sache Ernst und Bedeutung giebt. Ich werde unverzüglich die vollste Genugthuung von der Regierung verlangen, die mit mir und in mir angegriffen ist, und wenn man Miene machen sollte, sie zu verweigern, so werde ich sie mir zu erzwingen wissen. Es ist nicht das erste Mal, daß ich genöthigt bin, mit den Herren in der Residenz die Sprache des Entweder – Oder zu reden. Ich habe mir schon öfter gewaltsam Luft schaffen müssen, wenn die Intriguen von dort mich auf’s Aeußerste brachten.“

„Sie nehmen die Angelegenheit zu ernst,“ beruhigte der Oberst. „Sie setzten ja sonst allen Angriffen eine unerschütterliche Ruhe und Gelassenheit entgegen. Warum lassen Sie sich diesmal durch Lügen und Verleumdungen aus der Fassung bringen?“

Der Freiherr richtete sich mit seinem ganzen Stolze auf. „Wer sagt denn, daß es Lügen sind? Die Schrift strotzt von Feindseligkeit, Unwahrheiten aber enthält sie nicht, und ich denke nicht daran, auch nur eine der darin behauptete Thatsachen in Abrede zu stellen. Was ich gethan habe, werde ich zu vertreten wissen, aber nur denen gegenüber, denen es zusteht. Rechenschaft von mir zu verlangen, nicht gegen den ersten Besten, dem es einfällt, sich zu meinem Richter aufzuwerfen. Ihm und seinen Genossen werde ich allein die Antwort geben, die sie verdienen.“

Das Gespräch wurde hier unterbrochen; man überbrachte dem Gouverneur eine Meldung, die der Polizeidirector soeben aus der Stadt heraufschickte. Oberst Wilten stand auf.

„Ich gehe jetzt, die verabredete Maßregeln zu treffen. – Die Frau Baronin ist doch glücklich angelangt? Sie kam mit uns zur Stadt, wollte aber meine fernere Begleitung bis zum Schlosse nicht annehmen. Und wie geht es Fräulein von Harder? Sie hat ja die ganze gestrige Unruhe mit durchmachen müssen.“

„Ich weiß es nicht,“ sagte Raven kurz, beinahe rauh. „Ich habe sie heut’ noch nicht gesehen und war auch zu beschäftigt, um meine Schwägerin empfangen zu können. Ich werde später hinübergehen.“

Er reichte dem Oberst die Hand, und dieser entfernte sich, während der Freiherr an seinen Schreibtisch zurückkehrte, auf dem noch die gestrige Depesche lagen, um sofort einen Brief an den Minister zu beginnen.

Die Baronin Harder war in der That vor einigen Stunden angelangt, aber nur von ihrer Tochter empfangen worden, was die Dame sehr übel vermerkte. Sie fand es äußerst rücksichtslos von ihrem Schwager, daß er sich nicht wenigstens einige Minuten von den Geschäften losriß, um sie zu begrüßen. Im Uebrigen war die Erkältung, an der Frau von Harder bereits seit einigen Tagen litt, durch die heutige Fahrt noch verschlimmert worden; sie erklärte sich für sehr leidend und angegriffen und zog sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_371.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)