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verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

hatten nicht zu einem Bündniß geführt, er war ehelos geblieben und empfand nachgerade schmerzlich den Mangel einer sturmloseren und fester umfriedeten Existenz. Aus Briefen, die er damals an Freunde schrieb, klingen elegische Töne einer tiefen Sehnsucht nach stiller Sammlung und idyllischer Zurückgezogenheit.

In solcher Stimmung befand er sich, als ihm die siebenundzwanzigjährige Marquise von Chatelet begegnete, eine schöne, hochelegante Welt- und Hofdame, die vortrefflich sang, als Darstellerin auf den Liebhabertheatern glänzte, aber neben einem starken Hange zu stürmischem Lebensgenuß auch durch ihren ungewöhnlichen Eifer für ernste wissenschaftliche Studien die Aufmerksamkeit erregte. Sie kannte nicht blos die griechischen und römischen Classiker, sondern betrieb auch Mathematik und Metaphysik in so gründlicher Weise, daß sie Leibnitz’sche Werke, sowie Newton’s „Principien der Naturphilosophie“ durch ihre Uebersetzungen und Bearbeitungen in Frankreich einführen konnte. Diese eigenthümliche Mischung brillanter Eigenschaften übte auf den damals neununddreißigjährigen Schriftsteller einen unwiderstehlichen Zauber, und er war glücklich, als er seine leidenschaftliche Bewerbung nicht zurückgewiesen sah. Der Umstand, daß die Marquise verheiratet war und zwei Kinder hatte, bildete leider in jener Zeit der gelockerten Sitten kein Hinderniß einer solchen Beziehung. Der Marquis war Officier, lag in seiner Garnison den noblen Passionen ob und kümmerte sich nicht um seine längst zerfallene Ehe. Ohne Bedenken machten daher beide Liebende ihren Plan für eine gemeinsame Zukunft. Es wurde (1735) das ländliche Schloß Cirey an der lothringischen Grenze gekauft und von Voltaire mit allen Einrichtungen des damaligen eleganten Comfort ausgestattet. Vierzehn Jahre hindurch führte er hier an der Seite seiner Freundin ein arbeitsvolles, schöpferisch den höchsten Idealen zugewendetes, freilich nicht selten auch durch längere Vergnügungsreisen unterbrochenes Stillleben. Wer möchte das Verhältniß von unseren heutigen Anschauungen aus nicht anstößig finden? In der That endigte es auch traurig genug; die Marquise starb vorzeitig (1750) und die Ursache ihres Todes war ein unverzeihlicher Fehltritt. Trotzdem war Voltaire untröstlich über diesen Verlust und empfand ihn als den härtesten Schlag seines bisherigen Lebens. Wochen hindurch machte er seinen Kummer in den schmerzlichsten Klagen Luft, und bis in das späteste Alter hat er mit Gefühlen zärtlichster Liebe seiner „göttlichen Emilie“ gedacht.

Fünfundfünfzig Jahre war er alt, als ihn diese Wendung seines Geschickes von Neuem auf die Wanderschaft trieb. Die Stätte seines Glückes war ihm verleidet, sofort ließ er aufpacken und begab sich nach Paris, wo er mehrere Nächte hindurch schlaflos in den Zimmern umherirrte, dann aber von seinen Freunden überredet wurde, sich häuslich einzurichten. Er erwarb einen Palast, nahm seine Nichte, eine verwittwete Madame Denis zu sich, errichtete ein Theater im Hause und sah bei seinen Vorstellungen und Soupers die vornehmste Gesellschaft um sich versammelt. Dennoch war seines Bleibens nicht in der Stadt, der er nicht blos durch seine Geburt, sondern durch das ganze Gepräge seines Wesens angehörte. Dauernde Ungunst des Hofes, Neid und Intrigue literarischer und dichterischer Gegner verbitterten ihn dieses Mal den Aufenthalt in einem Grade, daß er mit Freuden die Gelegenheit zu einem ehrenvollem Abgange ergriff. Schon im ersten Jahre seiner Abwesenheit in Cirey hatte der Kronprinz Friedrich von Preußen ihm von Rheinsberg einen Brief voll enthusiastischer Bewunderung und Verehrung geschrieben und dadurch jene merkwürdige und lebhafte Correspondenz mit ihm eröffnet, die bekanntlich, einige Unterbrechungen abgerechnet, bis zum Tode Voltaire’s gedauert hat.

Wiederholt hatte derselbe seinen fürstlichen Freund auch besucht. Friedrich aber genügte das nicht, und nach seiner Thronbesteigung hörte er nicht auf, ihn mit der Bitte zu bestürmen, daß er zu ihm kommen und dauernd als sein Gesellschafter und literarischer Gehülfe bei im weilen möge. Erst der Tod der Marquise machte jedoch eine solche Uebersiedelung möglich, und Voltaire gab nach, als sein Versuch einer Niederlassung in Paris gescheitert war. Schon im Juli 1750 kam er in Sanssouci an, nachdem Friedrich alle seine hohen Bedingungen bewilligt hatte. Der Boden des Hoflebens war aber, für den Neuangekommenen ein schlüpfriger, und nach dem ersten Rausche der Flitterwochen gestaltete sich sein Aufenthalt in der Nähe des großen Königs so außerordentlich widerwärtig, daß diese Periode unbedingt als die glanzloseste und jedenfalls unerquicklichste seines Lebens bezeichnet werden muß. Durch eigene Schuld, sowie durch die ganze Art der Umgebungen, des aus concurrirenden Franzosen bestehenden literarischen Hofstaats, kamen hier alle persönlichen Schwächen und üblen Leidenschaften Voltaire’s zu scandalöser Bethätigung: seine Geldliebe auf der einen, seine zu bissigstem Hohn gesteigerte, von eitler Ehrgier angestachelte, immer gegen Personen gerichtete Spottsucht auf der anderen Seite. Im Uebrigen hat aber auch Friedrich in diesen Reibungen und Streitigkeiten nicht den Charakter des Philosophen bewahrt und bei seinem Zorne gegen den einzelnen Privatmann die Machtmittel benutzt, über welche er als autokratischer Monarch zu verfügen hatte, wie er z. B. eine ihm mißfällige Spottschrift Voltaire’s wider Maupertuis auf allen öffentlichen Plätzen Berlins durch Henkershand verbrennen ließ. Ein solches Verhältniß konnte nicht halten; es führte zu einem vollständigen Risse, den der König erst nach Jahren durch versöhnliches Entgegenkonnmen auszugleichen suchte.

Glücklicher Weise dauerte der Aufenthalt Voltaire’s in Berlin und Potsdam kaum drei Jahre und bildet nur ein Zwischenspiel in seinem Leben, das so oft besprochen und so oft umständlich geschildert ist, daß wir auf eine Vorführung der meist nicht zu seinem Lobe sprechenden Einzelnheiten hier verzichten können. Nachdem er plötzlich seiner Stellung entsagt und Berlin verlassen hatte, irrte er wiederum mehrere Jahre ohne festen Wohnsitz umher, immer arbeitend und mit der Ausführung neuer schriftstellerischer Pläne beschäftigt. Abwechselnd fand er damals auch an verschiedenen deutschen Höfen, in Gotha, Mannheim und Bayreuth ehrenvolle Aufnahme, bis er auf einer Reise in die Schweiz von der erhabenen Schönheit dieses republikanischen Landes angezogen wurde und den Beschluß faßte, sich hier an einem Punkte niederzulassen, wo er vor der Gewaltsamkeit der Monarchen und dem Zorne der Bischöfe fortan gesichert sei. Aus seinem väterlichen Erbe und dem Ertrage seiner Schriften, durch einen bedeutenden Lotteriegewinn und fortwährende glückliche Geldspeculationen war Voltaire ein großes Vermögen erwachsen. Zins- und Finanzgeschäfte hatte er gewohnheitsmäßig von Jugend an betrieben, und sie waren vielfach nicht sauberer Art. Da Geiz im Ausgeben nicht zu seinen Untugenden gehörte, da alle seine Umgebungen und näheren Bekannten vielmehr stets seine noble Freigebigkeit und Wohltätigkeit gerühmt haben, konnte diese oft so anstößig hervortretende Habsucht recht wohl in einem Vorsatze, einer nahe liegenden Ueberlegung begründet sein. Sein Reichthum wurde ihm eine Grundlage, ein wesentlicher Stützpunkt seines geistigen Wirkens und gab ihm auch die Mittel, sich einen ganz seinen Bedürfnissen und Neigungen entsprechenden Wohnsitz zu gründen, als er des herd- und heimathslosen Umherwanderns müde geworden war. In dem noch zu Frankreich gehörigen, aber in der Nähe von Genf gelegenen Ländchen Gex erwarb er 1758 die Herrschaften Tournay und Ferney und wählte den letzteren mit hohem landschaftlichen Reiz und einem herrlichen Blicke auf Genf und den Montblanc ausgestatteten Ort zu seinem dauernden Aufenthalt.

Acht Jahre waren verflossen, seitdem ihn der Tod der Marquise wieder in die Unruhe der Welt geführt hatte; er war inzwischen vierundsechszig Jahre alt geworden und in seiner äußeren Erscheinung bereits ein schwacher und kränklicher Greis. Trotzdem zeigte sich erst nach der Niederlassung in Ferney das wunderbare Feuer, die erstaunlich zähe Beweglichkeit dieses Geistes, der nun erst, aller Leiden einer gebrechlichen Hülle, alles Schmerzes bitterer Erfahrungen spottend, zu einer Macht des Wirkens, dem Glanze eines Schaffens sich erhob, wie es beispiellos dasteht in der Geschichte menschlichen Fortschrittsstrebens. In einem Alter, wo viele Andere schon ermattend das Haupt zu neigen beginnen, eröffnete sich dem schöpferischen Ringen des Mannes noch eine zwanzigjährige Epoche, die jeder unbefangenen Würdigung als die nichtigste und eigentlich großartige seines Lebens erscheinen muß. Die bisherigen Schlacken fielen so ziemlich ab und ungetrübt, kühner und jugendfrischer als in seiner Jünglings- und Manneszeit strahlte das Licht des Propheten von der Seele des Hochbetagten aus. Wo es in Europa gebildete und aufgeklärte Kreise gab, da lauschten sie jetzt ehrfurchtsvoll seinen Worten und Thaten, da waren ihre Blicke aufmerksamer nach dem Geisteshofe von Ferney gerichtet, als nach den Höfen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1878, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_396.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)