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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Die russische Regierung hatte vor einigen Monaten, als England zu rüsten begann, eine Bestellung aus vierhunderttausend Kriegszelte, oder besser Zeltteile zu vergeben, und da die einheimischen Industriellen diese Lieferung bis Mitte Juni nicht auszuführen vermochten, so schloß sie mit zwei Berliner Firmen ab. Von diesen fällt den Herren Frankenstein und Mannheim der Löwenantheil des Auftrags zu. Dieselben machten sich verbindlich, bis zum 16. Juni zweihundertfünfundfünfzigtausend Zelttheile für die Gemeinen und zehntausend Officierszelte zu liefern, wozu etwa eine Million Meter Leinwand verbraucht werden. Die Firma wandte sich sofort an die Weber Schlesiens und des Rheinlands, und ihre Aufträge wurden in der arbeitslosen Zeit überall mit Freuden begrüßt, namentlich aber von den Webern des Zillerthals. In Berlin schlug sie ihre Werkstätten in der Beuthstraße auf. Die Zelttheile zu nähen übernahm Singer’s Manufacturing Company, die Zufuhr der Leinwand sowie die Verschickung der fertigen Zelttheile das Speditionsgeschäft von E. Jacob und Valentin in Berlin.

Hier wollen wir vorausschicken, daß die russischen Lagerzelte, wie sie in der Beuthstraße gearbeitet werden, dem französischen System angehören. Die Franzosen kannten vor der Eroberung Algiers so wenig wie wir in Deutschland den Comfort eines Zeltes für den im Felde stehenden Soldaten. Als aber die Franzosen nach Algier kamen und in den baumlosen Ebenen die versengende Gluth der Sonne spürten, sah die Militärverwaltung ein, daß der Soldat so gut sein Lagerzelt haben müsse wie der Beduine. So wurde das Sommerzelt erfunden. Das französische Zelt besteht aus sechs Theilen in quadratischer Form. Jedes dieser Leinwandstücke mißt hundertfünfundsechszig Centimeter in der Länge und der Breite, hat einen starken Rand, und in diesem Rande in haarscharf abgemessenen Zwischenräumen starke Oesen. Jeder Soldat trägt ein solches Leinwandstück, das sechstel eines ganzen Zeltes, in seinem Tornister, ferner einen Zeltstock, der, um ihn bequem transportiren zu können, in zwei Theile getheilt ist und vermittelst einer Messinghülse wieder verbunden wird. Treten nun sechs Soldaten zu einem Consortium zusammen, so sind sie in der Lage, ein gemeinsames Zelt aufzuschlagen, denn die Oesen der verschiedenen Zelttheile passen genau auf einander und werden durch dünne Stricke wie durch eine grobe Naht mit einander verbunden. Man rammt nun zwei Zeltstöcke in die Erde und verbindet diese an den oberen Spitzen durch horizontalliegende Stäbe. Mit Hülfe dieser Stütze richtet man vier zusammengefügte Leinwandflächen zu einem Schutzdache auf, das an den unteren Enden durch Holzpflöcke an der Erde festgehalten wird. Die beiden noch übrig bleibenden Zelttheile verwendet man, um die zwei offenen Seiten des Zeltes zu bedecken.

Die Zelttheile haben ein geringes Gewicht und sind leicht unterzubringen. Legt man sie einfach zusammen, so geben sie die denkbar bequemste Tragbahre ab zum Fortschaffen der Verwundeten. Außerdem gewährt die wasserdichte Leinwand dem Soldaten eine trockene und weiche Unterlage, wenn er sich auf feuchtem Boden auszustrecken gedenkt. Die Officierszelte, welche mit dem Bagagewagen transportirt werden, sind einundeinfünftelmal größer, als jene der gemeinen Soldaten; im Uebrigen werden sie gleich einfach construirt.

Was nun die Anfertigung der Zelte betrifft, so werden hier durch die Arbeitsteilung überraschende Resultate erzielt. Treten wir in den großen Arbeitssaal, in welchem dreihundert Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt sind, so erhalten wir ein erstaunlich lebendiges Bild hastiger Geschäftigkeit.

Bei Tagesanbruch senden die Spediteure schon ihre Geschirre an die verschiedenen Bahnhöfe, um die einlaufende Leinwand der Fabrik zuzuführen. Hier in den Arbeitssälen werden die Ballen ausgepackt und jedes Stück vermittelst einer Rolle aufgewickelt und über einen Meßtisch geführt. Auf dem Meßtisch wird das Stück Leinwand in zwanzig Zelttheile zerschnitten. Diese zwanzig Theile werden nach dem Ausgebetisch getragen, wo bereits die Näherinnen stehen, welche dieselben in Empfang nehmen, um die Bahnen an einander zu nähen und den Saum mit der Singermaschine aufzusetzen; jede von ihnen besitzt einen Maßstab, welcher genau die Länge und Breite angiebt. An einem anderen Tische werden die fertig genähten Stücke zurückempfangen. Diese wandern dann zuerst in die Hände flinker Arbeiterinnen, welche mit blauem Stift die Stelle markiren, welche durchlocht werden soll. Eine Anzahl kräftiger Männer schlägt mit der Stanze die Löcher ein, dann gehen die Zelttheile in die Hände der Arbeiterinnen über, welche jene Messing-Oesen aufzuschlagen haben, durch die der Rand des kreisförmigen Loches vor dem Aufschlitzen bewahrt wird. Ist das Zelttheil fertig, so macht es den Weg nach den Abnahmetischen. Drei russische Agenten sind mit dem Geschäft der Abnahme der Lieferung betraut. Jeder von diesen steht mit zwei Gehülfen vor einem Meßtisch, welcher genau dieselbe Quadratfläche hat, die das Zelt besitzen soll. Man breitet nun das letztere auf dem Tische aus, und decken sich seine Ränder genau mit jenen des Tisches, so wird es angenommen und zur Erde geschoben, wo es Arbeiter aufraffen und zur Packkammer tragen. Die Abnahme geschieht gleichfalls in großer Eile, denn es werden täglich etwa fünftausend Zelttheile angefertigt, und alle müssen über jene drei Meßtische wandern. In der Packkammer werden je hundert Zelte zu einem Ballen verpackt und durch die Firma Jacob und Valentin nach Petersburg befördert.

So werden in wenigen Wochen hier Zelte genug angefertigt, um ein ganzes deutsches Fürstenthum oder eine Provinz damit zu beschatten. Diese transitorische Erscheinung auf dem industriellen Gebiet hat unserer notleidenden Arbeiterbevölkerung großen Segen gebracht.

Was nun die Annehmlichkeiten des Zeltes für den Soldaten betrifft, so darf man sich keinen ausschweifenden Vorstellungen hingeben. So viel ich in den Feldzügen des letzten amerikanischen Bürgerkrieges erfahren habe, bietet das Zelt gegen Hitze und Kälte beinahe gar keinen Schutz. Es ist wahr, daß es in heißen Länderstrichen etwas die sengende Gluth der Sonnenstrahlen abschwächt, allein es raubt uns dafür auch manchen frischen, erquickenden Luftzug. Ist die Luft im Zelte einmal heiß geworden, so dauert es immer eine Zeit lang, bis die schwüle Atmosphäre durch den kühlen Abendwind wieder verdrängt wird. Dann hat das Zelt den Nachteil, daß sich Mosquitos und anderes Geschmeiß mit Vorliebe in seinem Bereich aufhält. Haben sich diese Blutsauger einmal in’s Zelt verirrt, so kann man die Quälgeister nur dadurch los werden, daß man sie ausräuchert. Der arme Soldat muß aber dann selber sein hartes Lager aufgeben und sich eine Zeit lang im Freien ergehen.

Den größten Dienst leistet uns das Zelt dadurch, daß es den kalten und höchst gesundheitsgefährlichen Nachtthau abhält. Und gerade aus dieser Rücksicht ist es für die russische Armee von hohem Werth, denn auf der Balkanhalbinsel erzeugt der stark fallende Nachtthau bekanntlich sehr bald Fieberkrankheiten der schlimmsten Art. Auch als Schutz gegen Regengüsse ist das Zelt wirksam, wenn seine Bewohner es mit guten Wassergräben umziehen. Bei heftigen Gewittern freilich hat man mit dem leinenen Schutzdach seine liebe Noth. Noch sind mir die Sommermonate vor Bicksburg lebhaft im Gedächtniß, in denen wir unterm Zeltdach Scenen der tragikomischsten Art erlebten.

Bei alledem kann der an das Lagerleben gewöhnte Soldat das Zelt lieb gewinnen, und es verwebt sich eng mit seinen Vorstellungen. Der geniale Feldherr der amerikanischen Südstaaten, Stonewall Jackson, liefert den besten Beweis dafür, denn er starb mit den Worten: „Laßt uns über den Strom setzen und unsere Zelte im Schatten aufschlagen!“

R. Elcho.



Das Heil der Menschheit. (Mit Abbildung, Seite 399.) Die „Saison“ beginnt; in Sommerfrischen und Bädern wurde gerüstet, und erwartungsvoll blicken Direktionen, Badeärzte, Hausbesitzer, Wirthe und was sonst von sommerlichem Fremdenbesuch Nutzen und Nahrung zieht, den Wanderflügen der erholungsbedürftigen Menschheit entgegen. Und wer von uns modernen, fieberhaft arbeitenden, viel sitzenden, in den Dunstkreis großer Städte zusammengeschnürten Menschenkindern wäre nicht erholungsbedürftig? Wo – fragen wir – lebt heute der glückliche Mann, der von sich rühmen könnte: Ich bin kerngesund! Gesetzt auch, daß er an keinem anderen Uebel litte, vielleicht quält ihn doch das Leiden so vieler Männer – eine kranke Gattin. Wahrlich, wenn das wirthschaftliche Gesetz, daß die Nachfrage das Angebot steigert, allgemeine Geltung hat, so ist der Beleg dafür, wie schlimm es heute mit dem Ebenbilde Gottes bestellt ist, nicht schwer zu liefern; die wachsenden Cur-Anpreisungen in den Zeitungen allein genügen als Gradmesser für das steigende Heilbedürfniß. Der liebenswürdige Humor unseres geschickten Zeichners hat sie zu stattlichem Tableau gruppirt, die Hoffnungsanker, welche sich der leidenden Menschheit darbieten, und es giebt ihrer noch mehr, als er unterzubringen vermochte, sie alle fordern Vertrauen und finden Vertrauen, von der ernsten Wissenschaft bis hinab zum frechsten Schwindel, und eben daß die Charlatanerie im Umsehen ihre Vertreter bereichert, darin liegt das betrübende Zeugniß dafür, wie häufig selbst die solidesten jener Hoffnungsanker sich doch nur als – Strohhalme erweisen.

Das Heil der Menschheit! Wie mancher Unglückliche, welcher die allopathische und die homöopathische Apotheke, die Curbrunnen und die Wasser- und Naturheilkunde aus Erfahrung kennt und gleichwohl noch immer seufzend sein Leiden trägt, wird dem Künstler im Geiste die Hand drücken und, wenn anders er sich die Freiheit des Geistes bewahrt hat, mit melancholisch-spöttischem Lächeln auf dem Schlußbildchen ausruhen, in welchem Freund Hein, der große Erlöser, auf Arbeit wartet. Es ist ein feiner Humor, der hier den Stift geführt hat, aber es ist doch – Galgenhumor.


Ein Denkmal für Corona Schröter. In Guben, der Vaterstadt der berühmten Tragödin und Freundin Goethe’s Corona Schröter (Gartenlaube 1875, Nr. 41), sind Verehrer derselben zu einem Comité zusammengetreten, um ihr, „der ersten deutschen Iphigenia“, auf dem schönen Platze vor dem dortigen Theater ein würdiges Denkmal zu setzen. Indem wir dem sinnigen Unternehmen besten Fortgang wünschen, laden wir alle Freunde und Verehrer deutscher Kunst ein, durch Beiträge an das Comité (Adresse: Herr Albert König zu Guben) die Verwirklichung der beachtenswerthen Idee zu fördern.



Kleiner Briefkasten.

Volkmar in K. Die Schwierigkeit der Beschaffung von Löffeln aus reinem Banka-Zinn wundert uns durchaus nicht. In dem betreffenden Artikel (Nr. 44, 1877) wird ja ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eben dieses früher häufig im Gebrauche befindlich gewesene Fahrikat von den bleihaltigen verzinnten Eisen-Löffeln und denjenigen aus Compositionsmetall verdrängt worden sei. Uebrigens ist reines (nicht blei- und zinkhaltiges) sogenanntes Britanniametall, eine Legirung aus Zinn mit einer Beimischung von Kupfer, für die Gesundheit durchaus nicht nachtheilig. – Im weiteren Verlaufe Ihres Briefes stellen Sie die Behauptung auf, daß es für eiserne emaillirte Kochgeschirre keine Untersuchungsmittel gäbe. Dieser Bemerkung zu entgegnen halten wir für überflüssig, besonders nachdem in mehreren Nummern der „Gartenlaube“ Fabriken eiserner Kochgeschirre von uns namhaft gemacht wurden, deren eingesandte Fabrikate durch unseren ärztlichen Mitarbeiter chemisch untersucht und bleifrei befunden worden sind. Wer die Kenntnisse nicht besitzt, derartige Fabrikate selbst zu untersuchen, muß eben die Angaben Sachverständiger als bindend erachten oder sich auf dem Privatwege an einen Chemiker wenden, um sich so noch eine Specialberuhigung zu verschaffen.

Erbschaft in Brasilien. Frau Professorin Beltz, die sich in Elberfeld, Wiesbaden oder Homburg aufhalten soll, die Mutter eines Hugo Beltz, welcher in Buenos Ayres gestorben ist, bitten wir behufs wichtiger Mittheilungen um ihre Adresse.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_402.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)