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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

mein leidendes Weib. Den Jammer der Mutter erkannte sie, ohne ihn zu verstehen. Vater und Brüder erkannte sie nicht mehr; mich umklammerte sie fest und bat um Schutz und Hülfe gegen wer weiß welche äußere Dinge; der Todeskampf schien die Gestalt äußerer Anfeindungen für sie angenommen zu haben. Um fünf Uhr kamen die Aerzte zusammen, deliberirten lange, verschrieben noch eine Arznei, legten Senfpflaster hin und wieder; leere Versuche, sie war hin! Um sechs Uhr kam der letzte Krampf; sie hatte Streit mit Jemand in der Theaterloge und drohte, ihren Mann zu rufen. Auf meine Frage, ob sie noch erkenne, schlang sie einen Arm heftig um meinen Nacken und sagte: ‚Ich heiße Karoline Blum, und mein Mann heißt Robert.‘ Das waren ihre letzten Worte; die Pulse stockten plötzlich; sie hatte ausgelebt und ausgelitten! Das Herz schlug noch heftig bis gegen sieben Uhr; die Lippen zuckten convulsivisch, aber die Seele war entflohen; ein Nervenschlag hatte ihrem Dasein ein Ende gemacht.“

„Ich unternehme es nicht, Euch unsern Jammer zu schildern; wozu soll ich Worte machen über Dinge, die sich nicht beschreiben lassen. Von allen Aussichten, von allen Glücksträumen, die ich mir mit so vielen Mühen, Sorgen und Kosten erworben hatte, ist mir nichts geblieben: das ist die ganze Ernte von dem üppig prangenden Felde meiner Hoffnungen. Was ich im vorigen Jahre so sehnsüchtig zu verlassen wünschte, das öde, einsame, herzlose Junggesellenleben, ich werfe mich jetzt in dasselbe zurück, um den marternden Erinnerungen zu entfliehen die in meiner zertrümmerten Häuslichkeit mich verfolgen. Ich muß mein schönes, freundliches Logis verlassen, denn ich kann keine Ruhe und keinen Arbeitsmuth darin finden, und doch muß ich arbeiten, viel, viel arbeiten, wenn ich die drückenden Nachwehen der entsetzlichen Woche verlöschen will. ... Ach, das Schicksal hat uns fürchterlich betrogen; nur den kürzesten Frühling hat es uns gegeben und dann ungerechter Weise den herbsten Winter folgen lassen. Doch ich will ja nicht klagen.“

„Sonntags den 2. September wurde Adelheid beerdigt; der traurige Fall hatte die Stumpfheit der Menschen ungewöhnlich aufgeregt und Theilnahme erweckt; Sarg und Träger vermochten kaum die Kränze zu fassen, die von allen Seiten geschickt wurden. Schaarenweise waren die Menschen gekommen, sie zu sehen. Ach, sie sah so friedlich still und lieb aus; ihre schönen Brautkleider hatte sie seit der Trauung nicht wieder angezogen, jetzt liegt sie darin im Sarge. Fürchterlicher Wechsel, einmal zur Trauung, einmal im Sarge! und in so kurzer Zeit. – Wir hatten nur drei Wagen angenommen, die der Leiche folgten, aber alle meine Bekannten kamen uneingeladen in eigenen Wagen, und es wurde ein langer feierlicher Zug. Auf dem Gottesacker waren Hunderte von Menschen zusammen; das ganze Theaterpersonal stand um das Grab und empfing den Sarg mit feierlichem Gesange; Düringer hielt eine vortreffliche Rede; ein erhebender Chor von Stegmayer componirt zu diesem Zwecke folgte darauf, und der Geistliche, der uns getraut hatte, sprach den letzten Segen. Dann sank mein armes junges Weib in die Tiefe, aus der sie ewig nie wiederkehrt. Ich habe von alle dem fast nichts bemerkt, denn alle meine Sinne hafteten auf dem schwarzen Sarge und dem tiefen Grabe, aber ganz Leipzig sprach drei Tage lang von dieser Leichenfeier, wie selten eine gesehen wurde. Der oft verketzerte Schauspielerstand hat sich darin ein schönes Monument gesetzt. ... Es ist dies der bitterste Brief, den ich in meinem Leben geschrieben habe.“

Arbeit die Fülle fand Robert Blum in seinem tiefen Schmerze. Aber Trost gewährte sie ihm auch nicht. Als Wochen später ein ferner Freund ihm verspätet zur Hochzeit Glück wünscht, schreibt er verzweifelt an die Eltern: „Glück – und ich!“ Vergeblich suchten die Freunde ihn zu zerstreuen. Bis zu Visionen steigerte sich sein aufgeregter Seelenzustand. Am 24. September und 1. October erschien ihm die Verstorbene und führte lange Gespräche mit ihm, die er niederschrieb. Noch lange klingt der wilde Schmerz seiner Seele in den Briefen an Eltern und Schwester fort. Da wird es mit einem Mal stiller. Nur Eins konnte ihn trösten für das so plötzlich vernichtete Liebesglück: eine Liebe, die ihm voll ersetzen könnte, was er verloren. Und diese glaubte er nun erhoffen zu können in dem Hause seines treuen Freundes Dr. Georg Günther.[1]

Mit diesem ihrem einzigen Bruder hatte Eugenie Günther (geb. 13. Februar 1810) dem Hochzeitsfeste Robert Blum’s mit Adelheid Mey beigewohnt. Schon damals erschien ihr der bedeutende Mann nicht gleichgültig, und ein unbeschreibliches Gefühl, als ob sie ein theures Gut für immer verliere, drückte ihr Gemüth an seinem Hochzeitstage. Als Blum als Wittwer häufig das Haus ihres Bruders aufsuchte, mit dem Eugenie zusammen wohnte, und fast täglich mehrere Stunden in gemeinsamem Gespräch verstrichen, fühlte sie den Bann, den die Vollkraft des Charakters, der Reden und Gedanken dieses Mannes auf sie ausübte, immer enger und fester die Freiheit ihrer Neigung und Empfindung umstricken, und um sich mit Gewalt aus diesen drückenden Fesseln zu befreien, trat sie vor ihren Bruder und beschwor diesen, Blum nicht zu trauen, er meine es nicht ehrlich mit ihm, könne es nicht ehrlich meinen.[2] „Der Bruder tobte und schimpfte auf mich,“ schreibt Eugenie später, und – Blum kam tagtäglich wie zuvor. Er kam anfangs nur um Zerstreuung zu finden im Freundesgeplauder – er fand mehr als das. Er ahnte in Eugenie mehr und mehr die Einzige, an deren Seite er wieder glücklich werden könne. Aber er barg diese leise Hoffnung, die ihm der Frühling 1839 brachte, still und verschwiegen in seinem Busen; weder Georg noch Eugenie erfahren ein Wort. Nur der Klang der Stimme, nur die Augen hatten bis dahin gesprochen.

Aber andere Leute hatten auch Augen und dachten und wußten viel genauer, was den Wittwer Blum zu Günther’s führe, als die jungen Leute selbst es wußten. Hervorragend in dieser Erkenntniß war vor Allen die „betrogene“ Mutter der todten Adelheid, und sie beeilte sich, in sehr klaren Briefen an ihren Schwiegersohn „die zitternde Hand an die Feder zu legen“, und ihm die Früchte ihrer vernichtenden Menschenbeobachtung angedeihen zu lassen. Nach Empfang dieser Briefe faßte Blum einen raschen Entschluß. Er theilte Freund Günther deren Inhalt mit, und beschwor ihn, die Schwester aus Leipzig zu entfernen, um zu verhindern, daß die wüsten Laute solcher Dissonanzen etwa auch an ihr keusches Ohr drängen. Der Bruder beeilte sich, dem Rathe zu folgen. Jenny erhielt eine Einladung nach Kappel bei Chemnitz von ihrem Schwager Jost; im Hause des Fabrikanten Schnäbeli sollte sie wohnen. Am 5. Mai 1839 wurde die Reise angetreten. Dieser Reise danken wir eine Correspondenz, die ein wahrer Schatz genannt werden kann. Hier gebietet schon die Rücksicht auf den Raum, auf Weniges sich zu beschränken,[3] was für Blum’s Denkweise und Charakter von besonderer Wichtigkeit ist.

Bei der Abfahrt der Freundin war der Freund aus naheliegenden Rücksichten nicht zugegen. Er sandte ihr dagegen ein Briefchen zum Abschied. Dieser Brief mußte natürlich beantwortet werden. Man fuhr damals dreizehn und eine halbe Stunde von Leipzig nach Chemnitz. Es ist daher jedenfalls eine achtbare Leistung, daß Eugenie ihre Antwort noch am Abend ihrer Ankunft zur Hälfte vollendete. Blum antwortete erst am 14. Mai. „Soll ich mich entschuldigen? Der Civilisationsmensch hat immer eine große Schublade voll Entschuldigungen bereit liegen, von denen er bei jeder Pflichtversäumniß dem ersten Besten eine Hand voll ohne Wahl in’s Gesicht wirft. So kann und will ich Sie nicht behandeln, daher kurz: es ging halt nicht! – Daß Sie glücklich angelangt, hat mich herzlich gefreut, mehr noch, daß Sie auch meiner noch gedachten, als eine schöne Natur Sie mit ihren Reizen umgab und Ihrem Geiste eine schöne Feierstimmung mittheilte ... Aber ungerecht ist es, daß Sie uns das Trennungsweh vergrößern. Nicht genug, daß Sie uns verlassen haben; nicht genug, daß Sie in den Bergen umhereilen und den ganzen Frühling allein verzehren, Sie beschreiben uns Ihre Genüsse noch so reizend, daß uns Armen, die wir auf der ödesten Fläche des mercantilen Materialismus in dem traurigen dumpfen Gefängnisse einer Stadt eingesperrt sind, der Aufenthalt noch unerträglicher wird. – Wie es mir geht? Nun, ich könnte sagen schlecht und recht! Ich habe sehr viel zu thun. Die Messe über muß man pro patria schwärmen, muß bald mit diesem, bald mit jenem verzweifelnden Provinzialen

  1. Der damals die „Leipziger Allgem. Zeitung“ von Brockhaus redigirte.
  2. Noch im Jahre 1848 schrieb Fanny Lewald über Blum, er habe etwas dämonisch Anziehendes in seiner Natur.
  3. Auch ist Eugenie schon einmal von anderer Hand („Gartenlaube“ 1874, S. 726) liebevoll gezeichnet worden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_415.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)