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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Blätter und Blüthen.


Wie ist das preußische Volkslied „Heil Dir im Siegerkranz“ entstanden? Es werden wohl schon manchem Leser dieses Blattes die widersprechenden Angaben über den Verfasser des Liedes „Heil Dir im Siegerkranz“ aufgefallen sein. Allerdings hätte schon längst alles Schwanken in dieser Beziehung aufhören sollen, da Hoffmann von Fallersleben bereits vor mehr denn zwanzig Jahren in seinem Buche „Unsere volksthümlichen Lieder“ das Richtige auseinandergesetzt hat. Trotzdem aber Hoffmann’s Buch schon drei Auflagen erlebt hat, so findet man doch immer noch bald B. G. Schumacher, bald H. Harries als Verfasser genannt. Unter diesen Umständen muß man ein kleines, vor kurzem erschienenes Schriftchen mit Freuden begrüßen. Es führt den Titel: „Veranschaulichung der Entstehung des preußischen Volksliedes ‚Heil Dir im Siegerkranz‘ von Dr. Ochmann. Berlin, Weidmann’sche Buchhandlung 1878.“ Der Verfasser, welcher lange, bevor Hoffmann’s Buch erschien, zu demselben Ergebniß gekommen, wie dieser, giebt folgende interessante Aufschlüsse.

Das „Flensburgische Wochenblatt“ vom 27. Januar 1790 brachte auf seinen ersten drei Seiten ein „Lied für den dänschen Unterthan, an seines Königs Geburtstag zu singen, in der Melodie des englischen Volksliedes: ‚God save great George the King‘“. Dr. Ochmann, dem es nach langen Bemühungen endlich gelungen ist, ein Exemplar der Nummer zu bekommen, giebt eine möglichst getreue Nachbildung der drei Seiten. Das Lied fängt so an:

„Heil Dir, dem liebenden
Herrscher des Vaterlands!
     Heil, Christian, Dir!
Fühl’ in des Thrones Glanz
Die hohe Wonne ganz,
Vater des Volks zu seyn!
     Heil, Christian, Dir!“

Es besteht aus acht Strophen, von denen indessen die achte nur eine wörtliche Wiederholung der ersten ist. Der König, dem zu Ehren es gedichtet worden, war Christian der Siebente von Dänemark, dessen Geburtstag auf den 29. Januar fiel. Das Gedicht ist „*s“ unterzeichnet: es ist dies die Abkürzung für Heinrich Harries, der, den 9. September 1762 zu Flensburg geboren, am 28. September 1802 als Prediger in Brügge bei Kiel starb. Eine Sammlung seiner Gedichte gab nach seinem Tode sein Freund Holst im Jahre 1804 zu Altona in zwei Theilen heraus. Das uns hier beschäftigende Lied steht auf S. 158 ff. des zweiten Theiles mit äußerst geringen Abweichungen von dem Druck im Wochenblatt und mit der folgenden Anmerkung: „Dieses Lied ist nach Preußen gekommen und dort mit einigen Abänderungen gesungen worden.“

Die Verpflanzung nach Preußen geschah in den „Berlinischen Nachrichten“ (der „Spener’schen Zeitung“) vom 17. December 1793. Hier ist ein „Berliner Volksgesang. God save the King!“ in fünf Strophen abgedruckt, deren erste so lautet:

„Heil Dir im Siegerkranz,
Herrscher des Vaterlands!
     Heil, König, Dir!
Fühl’ in des Thrones Glanz
Die hohe Wonne ganz:
Liebling des Volks zu seyn!
     Heil, Herrscher, Dir!“

Die bei der Verpflanzung vorgenommenen Aenderungen sind ziemlich unbedeutend: die wichtigsten bestehen in der Weglassung der auf die fünfte folgenden Strophen und darin, daß die drei ersten Verse der vierten und fünften Strophe gegenseitig ihre Stellen vertauscht haben.

Unterzeichnet war dieser Volksgesang „Sr.“ Unter diesem „Sr.“ ist Balthasar Gerhard Schumacher, Doctor der Rechte, Senior der Vicarien im hochwürdigen Hochstift der freien Reichsstadt Lübeck (geboren 1755 zu Kiel), versteckt. Dies geht unzweideutig hervor aus einer 1801 zu Berlin erschienenen Schrift: „God save the King! Ritual eines Preußischen Volks-Festes“ etc. „von Sr., Dr. d. R.“, für welche Anfangsbuchstaben die Widmung der Schrift vom 6. Mai 1801 den ebengenannten vollen Namen und Titel giebt. Schumacher erklärt selbst, daß er vor sieben Jahren „Heil Dir im Siegerkranz, Vater des Vaterlands“ etc. in Berlin eingebürgert habe. Er theilt dann eine Umarbeitung des Liedes mit, die indessen nicht viel Anklang gefunden zu haben scheint: man sang und singt das Lied bis heute im Wesentlichen in der Gestalt, in welcher es im Jahre 1793 in der „Spener’schen Zeitung“ erschien.

Es ist aber Schumacher in der erwähnten Schrift etwas höchst Sonderbares begegnet. Er hat nämlich ganz und gar vergessen, daß sein „Heil Dir im Siegerkranz“ auf dem „Lied für den dänschen Unterthan“ von Harries (dessen Name ihm übrigens nicht bekannt gewesen zu sein braucht) beruhe, und giebt es für eine freie Uebersetzung des englischen Volksliedes "God save the King" aus. Wir stehen da geradezu vor einem psychologischen Räthsel.

Nach alledem aber ist es klar, daß weder Harries noch Schumacher als Verfasser von „Heil Dir im Siegerkranz“ gelten kann, sondern daß man sagen muß, daß Harries’ „Lied für den dänschen Unterthan“ in der Bearbeitung von Schumacher zum preußischen Volksliede geworden sei.

K. Ludwig.


Ein nordisches Fest und nordische Studenten.Jaså, det blir nordisk fest i quäll“ war die unwillkürlich freudige Antwort, die ich den mir befreundeten liebenswürdigen Fabrikbesitzern Borg gab, als dieselben mich kurz nach meiner Ankunft in Lund einluden, an einem nordischen Feste Theil zu nehmen. „Jaså, det blir nordisk fest i quäll,“ zu deutsch: „Also, heute Abend giebt’s ein nordisches Fest“, und da muß denn gleich vorausgeschickt werden, daß nichts den Deutschen, der zum ersten Male Schweden besucht, in gleichem Maße anheimelt, als das ihm so bekannt klingende Jaså. Der Schwede spricht dasselbe nämlich ganz wie unser „Ja so“ aus, gebraucht es aber je nach der Accentuirung in der verschiedensten Bedeutung, jedenfalls ungemein oft und in jeder Unterhaltung. Geradezu „reizend gemüthlich“ klingt es auf den Lippen der Damen. Und da bin denn auch ich bei den schwedischen Damen in die Schule gegangen und habe ihnen das „Jaså“ abgelauscht; wie schade, daß es sich in der Schrift nicht variiren läßt, wie die Lippen der blonden, blauäugigen, nordischen Mädchen es variiren!

„Ein nordisches Fest“ – das war für mich, der ich seit Jahren regelmäßig längere Zeit in Skandinavien zuzubringen pflege, stets Gegenstand des Sehnens gewesen. Diese Feste aber werden auf jeder der Universitäten: Lund, Upsala, Christiania, Helsingfors und Kopenhagen nur einmal im Jahre gefeiert, wenn auch nicht an demselben Tage; es war daher ein glücklicher Zufall, der mich gerade an diesem Abend nach Lund führte. „Nordisches Fest“ ist der gemeinsame Name für eine Feier, die in erster Linie zu Ehren der im Vorjahre dahingeschiedenen Professoren der betreffenden Universität und in zweiter Linie zum Gedächtniß der übrigen in demselben Jahre verstorbenen hervorragenden Männer des Nordens stattfindet.

Die Todten zu feiern ist in Skandinavien eine ehrwürdige Sitte aus grauer Zeit, denn schon die alten Könige pflegten alljährlich einmal ihre Mannen zu versammeln, um der im Kampfe gefallenen Helden zu gedenken und gleichzeitig neue Kriegspläne zu entwerfen. Die speciellen Todtenfeste der Universitäten mögen wohl seit fünfundzwanzig bis dreißig Jahren abgehalten werden und seit Kurzem sind sie auch gleichzeitig ein Fest für alle Gebildeten der Stadt. Gerade in diesem Jahre aber sind sie von besonders hohem Interesse, denn diesmal wird, wie in Lund, so auch überall im Norden den Manen des am 6. Mai 1877 verstorbenen großen, leider in Deutschland noch wenig gewürdigten Dichters Johan Ludvig Runeberg ein besonderes Opfer dargebracht.

Es war kurz nach sieben Uhr, als wir in dem glänzend erleuchteten Saale des „Studentenhauses“ eintrafen, der, reich decorirt, an diesem Abend wohl von mehr als tausend Personen erfüllt war. Rings auf den Gallerien saßen Damen verschiedensten Alters im Feierkleide Kopf an Kopf, und auch im Saale selbst waren längs der Seitenwände Bänke gestellt, die meist vom schönen Geschlechte besetzt waren. Vor der Mitte der einen Seitenwand befand sich die Rednertribüne, prachtvoll mit gelber und blauer (die schwedischen Nationalfarben) Seide ausgeschlagen und mit einem Baldchin von demselben Stoffe überwölbt, dahinter der Schild, aus welchem ein Marschall dröhnende Schläge lockte, wenn ein neuer Redner die Tribüne bestieg. Gegenüber an der andern Seite des Saales waren die Fahnen der Studentenschaft entfaltet, die mit Lorbeer geschmückte Büste Runeberg’s umkränzend. Ueber der Eingangsthür auf der Gallerie hatten die Damen einen Raum für die Musik freigelassen, ihm gegenüber, im Hintergrund des Saales, sah man einen Tannenhag, aus welchem drei symbolisirte Bautasteine hervorblickten, die mit Runenzeichen bedeckt waren. Der in der Mitte befindliche größte Stein trug nur den Namen „Runeberg“, während auf dem links befindlichen kleineren die Namen der verstorbenen Professoren von Lund und auf dem rechten diejenigen der mit Tode abgegangenen großen Männer des Nordens überhaupt verzeichnet standen. Vor dem improvisirten Tannenwäldchen hatte ein Theil des Studentengesangvereins von Lund Aufstellung genommen, und Quartettgesänge, abwechselnd mit Streichmusik zwischen die Reden gestreut, halfen die Genüsse vervielfältigen.

Zu beiden Seiten der Rednertribüne befanden sich zwei lange gedeckte Tafeln, mit unzähligen Bowlegläsern versehen, und in der Mitte Terrinen und Krüge voll des beliebten Nationalgetränkes „Punsch“. Derselbe wird in ganz Schweden kalt und in riesigen Quantitäten consumirt und vertragen. Um diese Tische und durch den ganzen übrigen freien Raum des Saales vertheilt, standen in Frack und weißer Binde die Lehrer und Studirenden der Universität, sowie die übrigen männlichen Theilnehmer des Festes. Hohe Orden waren hier und da zu bemerken und daneben, als Abzeichen einer studentischen Würde, um den Hals geschlungene, über die Brust geknüpfte rothe Bänder, welche die „Marschälle“, die studentischen Festordner, trugen.

Der Rector der Universität eröffnete gegen halb acht Uhr die Feier, das Methhorn hebend und ein Hoch auf die beiden skandinavischen Monarchen bringend, in das die Anwesenden mit lautem „Hurra“ (unserem „Hoch“ entsprechend) einstimmten. Hierauf folgte: „Suomis Sång“, das finnische Nationallied. Nun betrat der erste der eigentlichen Festredner, ein Professor der Geschichte, die Tribüne, um in warmer und geistvoller Sprache das Wesen und Wirken des großen Dichters Runeberg zu beleuchten, der sich ebenbürtig den größten Classikern aller Nationen anreiht. Wie eigenthümlich, daß dieser Mann, der von Geburt ein Finne ist und eine geradezu wunderbare Liebe für sein engeres Vaterland besaß, doch auch wieder so ein echter schwedischer Dichter wurde! Das eigenthümliche kernige Leben seiner Landsleute, ihre glühende Vaterlandsliebe, wie ihre Armuth hat er in ergreifender Weise geschildert. Wie aber Finnland in Sprache, Sitten und Gesetz selbst noch als ein Theil des Mutterlandes – wenn schon unter fremder Herrschaft – fortbesteht, so ist auch Runeberg’s Weise so durch und durch schwedisch, daß selbst Tegnér in Schweden nicht populärer ist. Hier wie dort zündete in gleichem Maße die Schilderung der letzten Kämpfe von Finnland: „Fänrik Stål’s Sägner“, die größte patriotische Dichtung der Neuzeit. Aber nicht nur zum Sänger des finnischen und des schwedischen Volkes, nein, zu einem universellen Dichter ist Runeberg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_435.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)