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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aufg’setzt.[1]
Eine baierische Bauerngeschichte.
Von Herman von Schmid.
Nachdruck und Dramatisirung verboten,
Uebersetzungsrecht vorbehalten.

Es war gerade vor dreißig Jahren.

Die ältesten Leute wußten sich nicht zu erinnern, daß der Frühling so bald und so schön in’s Land gekommen war, und nicht blos draußen in Wald und Feld, um die Menschen und ihre Wohnungen herum hatte er den starren Bann des Winters gebrochen – auch in den Herzen der Menschen hatte sein milder Hauch einen unerwarteten Frühling geweckt. Auch hier war das Eis jahrhundertlanger Beschränkungen geborsten und ein belebender Hauch der Freiheit ging durch die Lande. Jauchzend, gleich dem entziehenden Vogel, schwebte das entfesselte Wort, schwebte der nicht mehr geknechtete Gedanke dahin; ungehindert fanden sich als Genossen zusammen Alle, die gleiche Gesinnung oder gleiche Absicht verband; ohne Schranken wagte es in den Städten der Bürger, seine ganze Kraft und Fähigkeit zu bewähren; dem Landmann war die Last alter Zeiten vom Nacken genommen und aufgerichtet durfte er Pflug und Sichel führen, denn der Ertrag seines Feldes und Fleißes sollte von nun an ihm gehören. Und triumphirend leuchtete über Allem das Morgenroth einer neuen Hoffnung; sie senkte einen Lichtstrahl in die Gemüther, der die wärmeren Naturen begeisterte und selbst die kühleren erwärmte – den lichten Morgenstrahl des deutschen Gedankens.

Wohl verdunkelte der Morgen sich wieder, und lange düstere Tage zogen herauf, ehe die Sonne der Erfüllung emporstieg, aber die Natur, die allzeit getreue, hatte sich auch damals bewährt, und was der Frühling jenes herrlichen Jahres versprochen, der Sommer hatte es reichlich erfüllt. Die Blüthen, deren Reichthum das Land zu einem Garten gemacht, waren lange verflogen, aber jede hatte ihren Fruchtknoten zurückgelassen; in den hohen Kronen der Kirschbäume wurde das Blattgrün beinahe von rothen und schwarzen Glanzkorallen verdrängt; die Aeste der Aepfel- und Birnstämme senkten sich überall wie ermüdet und der Stütze gewärtig, in der Flur aber, wo das reifende Getreide bereits in dunklerer Färbung durch einander wogte, hoben sich in den üppigen Wiesen die glänzenden Halme schon der zweiten Mahd entgegen.

Ueber dem reichen, reizenden Gelände wölbte sich der tiefe sommerblaue Juli-Himmel so rein, als wolle er wetteifern mit der Schönheit unter ihm, und die Sonne stand fest im hohen Mittag, wie ein flammendes Auge, das mit Wohlgefallen auf dem Segen verweilt, den es geschaffen; dennoch war die Hitze nicht übergroß, denn aus dem nahen Berg-Einschnitt, durch welchen der Luftstrom das ebene Land betritt, blies der kühle Erlwind wie spielend und doch so kräftig hervor, daß Niemand sich vor der Hitze flüchtete und eine große Anzahl von Landleuten, in allerlei Abtheilungen bunt durch einander geschaart, vor dem stattlichen Wirthshause zu Flintsbach beisammen stand. Die Einen hatten sich’s auf den Bänken vor dem Hause bequem gemacht. Andere standen auf der Straße und füllten die Kegelbahn oder hatten sich längs des Gartenzauns auf den Grasrain niedergelassen. Alle aber waren beschäftigt, Hunger und Durst zu stillen, als wenn sie sich für eine längere Entbehrung vorbereiten und den Beginn irgend einer besonderen Festlichkeit abwarten wollten.

So war es auch in der That.

Das Wirthshaus machte mit seinen hohen gemauerten Stockwerken, den starken, aber zierlich gebogenen Eisenkörben vor den Fenstern und den alterthümlichen Wandmalereien zwischen denselben einen fast städtischen Eindruck; ihm gegenüber, jenseits der breiten Straße, stand ein langgestrecktes, nicht sehr hohes Gebäude, das nach seinen Verhältnissen wohl für eine Scheune gehalten werden konnte, hätten nicht die an den Wänden angebrachten Kränze und Gewinde aus Tannenzweigen, die bunten Papier- und Bandstreifen erkennen lassen, daß es mindestens für heute zu einem festlicheren Zwecke bestimmt war. Das Hauptthor war zu beiden Seiten mit hellgrünen weißstämmigen Birkenwipfeln gezierte eine Tafel zwischen denselben rief den erwarteten Gästen mit rothen Buchstaben auf weißem Grunde ein nicht zu übersehendes „Willkommen“ entgegen; rings herum waren weißblaue Fähnlein in wehendem Kreise ausgestellt, und hoch über dem Ganzen, an mächtiger Stange, flatterte ein ansehnliches schwarz-roth-goldenes Banner.

Der Anblick des Platzes wie der auf ihm durch einander wogenden und summenden Versammlung war ein ungemein freundlicher und farbenreicher; gab es doch in den Trachten eine Menge wechselnder Erscheinungen, denn unter den niedrigen ausgebürsteten Hüten und den Langröcken der Bewohner des Ortes und der umliegenden Dörfer machten sich auch die breitkrämpigen bebänderten Hüte und Joppen aus den nahen tirolischen Innthälern, sowie aus den kaiserlichen Ortschaften jenseits des Stromes bemerkbar. Und noch immer wollte der Zufluß kein Ende nehmen; noch immer kamen neue Schaaren, und in kurzen Zwischenräumen rollte

  1. „Aufg’setzt, aufgesetzt“ bedeutet: „vorher bestimmt“.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_437.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)