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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


Val de Travers, gingen Schriften von polemischer Herbheit hervor, ein „Sendschreiben an den Erzbischof de Beaumont von Paris“, der seinen „Emile“ verbrannt hatte, und die „Briefe vom Berge“, eine Entgegnung auf die „Briefe vom Lande“, in denen der Generalprocurator von Genf, Trouchin, das Verfahren des Rathes gegen eine zunehmende Opposition der Genfer Bürger zu vertheidigen suchte. Rousseau’s Briefe enthielten den Katechismus seiner Weltanschauung in Religion und Politik, aber schärfer und schneidender formulirt als früher. Jetzt erhob sich Clerus und Volk von Neufchâtel erbittert gegen Rousseau, es war auch hier seines Bleibens nicht. Eine Zeitlang fand er eine Zuflucht auf der Insel Saint Pierre, die im Bieler See gelegen ist und ihn durch ihre anmuthige Stille und Einsamkeit angezogen hatte. Doch auch von hier vertrieb ihn der Berner Rath. Eine Zeitlang hegte er den Gedanken, nach Berlin zum Könige von Preußen zu gehen, doch sein erschütterter Gesundheitszustand hinderte ihn daran. So wandte er sich nach England, wohin Hume und andere Gesinnungsgenossen ihn eingeladen hatten.

Der Epoche der Verfolgungen folgt jetzt die unglücklichere des Verfolgungswahnes, welcher dem armen Flüchtlinge nirgends mehr Ruhe gönnte. Anfangs 1766 war er in England eingetroffen. Trotz einiger scharfen Kritiken der englischen Nation hatte ihn diese im Ganzen mit gewohnter Gastfreundschaft aufgenommen; von den verschiedenen Zufluchtsstätten, die ihm angeboten wurden, wählte er Wootton, ein in der Grafschaft Derby gelegenes Landgut des Herrn Davenport. Hier begann er in ländlicher Stille seine Memoiren, die „Confessions“, zu schreiben; doch bald vertrieben ihn die unheimlichen Mächte, die sich seines Geistes bemächtigt hatten. Ueberall sah er Feinde und Verräther, auch in Hume, der so freundschaftlich für ihn gesorgt hatte. Der Bruch dieser Freundschaft ließ Rousseau in den Augen der Welt als einen Undankbaren erscheinen und wandte auch die Herzen vieler Freunde von ihm ab.

So zerfallen mit aller Welt, verließ er England und wanderte durch Frankreich, wo er bald in der Normandie, bald in der Dauphiné sich niederließ, überall von Verfolgungen träumend, obschon durch den mächtigen Einfluß des Prinzen Conti geschützt. Seine romantische Tracht, sein anstößiges Verhältniß zu seiner langjährigen Lebensbegleiterin Therese Levasseur, die mit den Jahren zänkischer und unangenehmer wurde, regten allerdings die Meinung des Volkes oft gegen den Sonderling auf. Noch einmal hatte sein Leben einen kurzen Lichtblick: es war sein Aufenthalt in Paris, wenigstens das erste Jahr desselben, das Jahr 1770. Er wurde eine Zeitlang „Mode“; man suchte ihn auf wie eine Merkwürdigkeit; die Salons öffneten sich ihm. Dabei blieben seine Vermögensverhältnisse so ungünstig, daß er im fünften Stocke eines Hauses der Rue Platière wohnte und sich wieder mit Notenabschreiben zu ernähren suchte. In den Salons las er indeß seine „Confession“ vor, welche wegen der rückhaltslosen Offenheit der Mittheilungen, durch die er oft seine besten Freunde compromittirte, nicht dazu geeignet waren, die Zahl seiner Anhänger zu vermehren. Man zog sich immer mehr von ihm zurück. Dadurch wurde er auch in seinem bescheidenen Erwerbe beeinträchtigt; er sah sich genöthigt, sich durch ein Circulair im Jahre 1773 an die Humanität wohlwollender Freunde zu wenden. Endlich nahm er das Asyl an, das ihm ein Marquis von Girardin im Parke von Ermenonville anbot. Auch hier blieb er nicht frei von Regungen des Mißtrauens und Argwohns, doch ehe diese ihn bestimmten, abermals seine Wohnstätte zu wechseln, raffte ihn am 2. Juli 1778 ein Gehirnschlag hinweg.

Das ist in flüchtigen Zügen das Bild des Lebens und der Schriften von Jean Jacques Rousseau. Die Säculärfeier seines Todes ruft von Neuem die Theilnahme für den Einsiedler von Montmorency und Ermenonville wach. Dieses Leben, einer ewigen Wanderschaft vergleichbar, ist reich an tiefen Schatten, an bedauerlichen Inconsequenzen. Der Verfasser des „Emile“ übergab seine Kinder dem Findelhause; der Dichter der „Neuen Heloise“, eines Werkes voll der feinsten Empfindsamkeit, lebte mit der rohen Therese Levasseur; der Verfasser der „Bekenntnisse eines Vicars“ betheiligte sich im Val de Travers an der Communion; der Verfasser des „Contrat social“ und der „Briefe vom Berge“ war ein Schützling und Pflegling der hohen Aristokratie. Er war ein kranker Mann, doch die kranke Muschel barg die Perle, die einzige, unschätzbare. Irgend eine Saite seines Geistes war von Hause aus zerrissen; sein Genie und sein Leben waren nicht im Einklange, aber das Evangelium der Humanität, das ein Rousseau und Voltaire predigten, war aus dem Kampfe geboren. Verklärt zu ewiger Schönheit und Wahrheit erklang es erst aus dem Munde der deutschen Unsterblichen; doch jene waren die Vorläufer eines Schiller und Goethe, von diesen mit Begeisterung anerkannt, Pfadfinder, die, oft auf Irrwegen wandelnd, doch auch dem rechten Wege mit der Axt die Bahn brachen. Die großen Genien aller Zeiten reichen sich die Hand, und so mag am Gedenktage Rousseau’s das deutsche Volk auch dieses geistigen Wechselverkehrs der Nationen eingedenk sein und auf das Grab der geistigen Größen des oft so feindlichen Nachbarlandes einen Kranz dankbarer Anerkennung niederlegen.

R. v. G.




Livingstone’s Ende.

Lautlos hält vor nied’rer Hütte müd’ die Schaar der schwarzen Träger;
Auf der rohgefügten Sänfte sterbend ruht ein bleicher Jäger:
Der den unerforschten Ländern ihr Geheimniß abgerungen,
Livingstone, erliegt dem Sieger, den kein Kämpfer noch bezwungen.

5
Nicht vom Thier, das beutelüstern durch des Urwalds Dickicht irrte,

Nicht vom Pfeil, der rachegierig von des Wilden Sehne schwirrte,
Kam der Tod; sein grauser Scherge war der Hauch der sumpf’gen Triften,
Und er nahte fieberschwanger, ihm das Leben zu vergiften.

Wie ein Held dem Feinde trotzend, wankt er hin im Wüstensande,

10
Nachts vom rauhen Frost geschüttelt, Tags versengt vom Sonnenbrande,

Keine Klage auf den Lippen, wenn auch wild die Pulse pochen,
Wie ein Held, bis seine Leiden seines Lebens Kraft gebrochen.

In die halbverfall’ne Hütte hat ihn seine Schaar gerettet
Und auf’s trock’ne Laub des Waldes ihn zur letzten Rast gebettet.

15
Eines Kienspahns dürft’ger Schimmer hellt des kleinen Raumes Dunkel

Und durch die geborst’ne Decke eines Sternes matt Gefunkel.

Draußen vor der Hütte lodern fernhin leuchtend mächt’ge Scheite,
Und die schwarzen Wächter schauen sorgsam spähend in die Weite.
Alles ruhig! Nur in’s leise Knistern halbverglühter Kohlen

20
Klingt vom heißen Mund des Kranken todesschweres Athemholen.


Vor den fieberirren Sinnen ziehn vorüber bunte Bilder,
Mächt’ge Wälder, öde Steppen, kleine Dörfer schwarzer Wilder,
Unbetret’ne Bergesgipfel, welche Wolken dicht umschaaren,
Endlos weite Seen und Flüsse, welche nie ein Schiff befahren.

25
Große Heerden selt’nen Wildes sieht er scheu in’s Dickicht fliehen

Und in dichtem Schwarm zum Rastplatz farbenprächt’ge Vögel ziehen,
Hört des Löwen drohend Brüllen und der Schlange warnend Zischen,
Waffenklirren und die Laute fremder Sprachen wirr dazwischen.

Da, wie süßes Kindesplaudern, klingt’s in langentbehrten Tönen,

30
Ihm die letzte Stunde durch der Heimath Zauber zu verschönen;

Eines Weibes bleiches Antlitz läßt der holde Traum ihn schauen,
Und er fühlt, wie milde Thränen seine heiße Hand bethauen.

Süße Botschaft ferner Stätten! Labung für den Todeskranken!
Zu den längstverlass’nen Orten kehren selig die Gedanken,

35
Und wie er im Fieberwahne Weib und Kind und Heimath grüßte,

In Vergessenheit versunken ist die Einsamkeit der Wüste.

Alles lebt, was ihn erfreute in der Zeit der Jugendblüthe,
Was auf jahrelanger Wand’rung sein vereinsamt Herz durchglühte;
Seine Arme hebt er grüßend – noch ein Laut aus heißer Kehle –

40
Noch ein Hauch – und in die Heimath eilet die befreite Seele.


An dem Lager steht ein Schwarzer lauschend auf die Athemzüge,
Sucht in dem erstarrten Antlitz noch des Lebens holde Lüge,
Faßt die kalte Hand – erbebend trägt er hin die Schreckenskunde,
Wo bekümmert die Gefährten harrend lagern in der Runde.

45
Um das halb erlosch’ne Feuer sitzt die schwarze Schaar voll Trauer,

Leise flüsternd von der Rückkehr mühevoller, langer Dauer.
Wie ein Gruß des Friedens weht es in der Palmen dichten Zweigen,
Und den großen Todten ehret rings der Wildniß tiefes Schweigen.

Otto Buchwald.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_443.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)