Seite:Die Gartenlaube (1878) 452.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Inzwischen schritten unter Goethe’s Leitung die englischen Parkanlagen an dem Abhange des Ilmthales munter vorwärts. Mit großer Umsicht wurden an jenen Hängen hin sanft sich schlängelnde Wege über einander angelegt, die, indem sie durch die bereits bestehenden Bäume und Gebüsche und durch neu angepflanzte fremde Bäume und Sträucher den Blick von dem einen zum andern Wege beschränkten, dem Ganzen den Schein einer weit größeren Ausdehnung gaben, als dasselbe in Wirklichkeit hatte. Mit Stolz konnte Goethe am 15. Juni 1780 an Frau von Stein schreiben: an den neuen Wegen werde Schönes bereitet. An einer der schönsten Stellen dieser Wege gedachte Goethe, in Erinnerung an die mit dem jungen Herzog glücklich vollbrachte „Geniereise“ nach der Schweiz, in Gestalt eines viereckigen mit Figuren verzierten Monuments dem guten Glück einen Stein der Dankbarkeit zu widmen. Diese Idee kam nicht zur Ausführung, aber an derselben Stelle wurde als sinnig-schöne Parkverzierung nach Virgil’s Dichtung ein antiker Altar aufgestellt. Eine Schlange, welche ihn umwindet, ist eben im Begriffe, eines der obenliegenden Brode zu verschlingen. „Genio hujus loci“ (dem Schutzgeiste dieses Ortes) lautet die Inschrift dieses in echt antikem Sinne von Klauer schön gearbeiteten Altars.

Auf dem Paradeplatze neben dem welschen Garten wurde Gebüsch angepflanzt und so dieser Platz in die Parkanlagen hereingezogen. Der welsche Garten mit der Schnecke bestand vorerst noch fort. Den Weimaranern war es eine Herzenslust, in der dortigen Lindenlaube oder bei dem frischen Grün des hohen Wendelthurmes (der Schnecke) zu weilen. Und vollends an den Sommersonntagen pflegte sich dort ein großes Publicum zum sogenannten Vauxhall zu versammeln, das heißt beim Klange von Orchestermusik gruppenweise auf und ab zu wandeln. Auch Goethe stieg bisweilen auf jenen Wendelthurm, der Aussicht halber und um bei Gewitter das Blitzen am Horizont zu sehen, aß im welschen Garten und ging dort mit Wieland und anderen Freunden spazieren.

Der Stern mit dem kühlen Schatten der bejahrten Linden, Espen, Pappeln und Tannen behielt im Allgemeinen noch den alten Charakter, aber es wurden die drei künstlichen Teiche, welche in der Nähe der Schloßbrücke lagen, ausgefüllt, das dortige Fischerhaus abgetragen, der Floßgraben beseitigt und an der Stelle der alten Floßbrücke die sogenannte Naturbrücke über die Ilm geführt. Es wurden dort neue Gänge, „buschichte Quartiere“, wie Karl August sie nannte, angelegt, auf einem freien Platze eine Statue des Pan, gefertigt vom Hofbildhauer Klauer, aufgestellt, daneben eine originelle Art Kegelschub (Trou Madame) unterhalten und ein künstlicher kleiner Wasserfall geschaffen. Das Wasser fiel aus einer Felsenkluft in ein mit Tuffstein ausgemauertes Becken, und in schauerlicher Felsengrotte ruhte – ebenfalls von der geschickten Hand Klauer’s gearbeitet – die noch jetzt dort befindliche Statue der Sphinx. Hier und bei der aus dem Felsen sich ergießenden silberreinen, plätschernden Quelle weilte Wieland gern.

Im Juni 1782 kam der Fürst von Dessau nach Weimar. Er gab seine Befriedigung und Freude über die geschmackvollen jungen Parkanlagen kund; sie hatten seine Erwartungen weit übertroffen! Ihm, seinem Freunde, dem Schöpfer des Parkes von Wörlitz, in den nach jenem Vorbilde geschaffenen Weimarischen Parkanlagen ein Denkmal zu weihen, war die Idee, welche nun der Herzog Karl August faßte. Mit gewohnter Energie schritt er sofort zur Verwirklichung. Aus einem Steinbruche jenseit der Belvedereschen Allee ließ, er einen großen kegelförmigen Tuffsteinblock in die neuen Parkanlagen schaffen, auf der Unterlage von cyklopisch über einander gewälzten Felsstücken aufrichten und mit einer Steinplatte versehen, welche die goldene Widmung erhielt: „Francisco Dessaviae principi“. Mit Stolz theilte Karl August am 14. October 1762 dem Freunde Knebel mit: „Heute wird das titanische Werk von Neuem angegriffen, der Stein dem Jägerhaus gegenüber fortgewälzt und auf seinen Platz gebracht,“ und einige Wochen später: „Wenn der große Stein in seinem Glanze steht und seine Bestimmung offenbar ist, sollst Du eine Zeichnung davon haben.“ Wieland sowohl wie Goethe spöttelten über die „titanische“ Arbeit. Immerhin bot der große Stein gerade an dieser Stelle des Bergabhangs, von Moos bedeckt und von Epheu umrankt, mit den Königskerzen und Malven, die aus den Fugen hervorwuchsen, und eingefaßt von frischgrünen Bäumen und Gebüsch, ein interessantes und harmonisches Bild und ist noch jetzt eine der hervorragendsten Zierden des Parkes.

In demselben Jahre 1782 war es, als Goethe den Plan faßte, „die Steine reden zu lassen“, das heißt Inschriften nach Art der griechischen Epigramme für seinen Garten und für die Parkanlagen des Herzogs zu dichten. So entstand auch die Felseninschrift, welche an dem unteren Parkwege an der Felswand neben der jetzt zum Römischen Hause emporführenden Treppe auf steinerne Tafel eingegraben ist. Dort, an einem der schönsten Punkte des Parkes, giebt sie den poetischen Zauber, den diese Parkanlagen auf Herz und Gemüth üben, in der tief gemüthvollen Bitte an die Nymphen des Haines, wieder:

Die ihr Felsen und Bäume bewohnt, o heilsame Nymphen,
  Gebet Jeglichem gern, was er im Stillen begehrt!
Schaffet dem Traurigen Muth, dem Zweifelhaften Belehrung,
  Und dem Liebenden gönnt, daß ihm begegne sein Glück!
Denn euch gaben die Götter, was sie den Menschen versagten:
  Jedem, der euch vertraut, hülfreich und tröstlich zu sein.

Ihm selbst, dem liebenden Dichter; gönnten die Nymphen, daß ihm sein Glück begegnete. Sechs Jahre später, im Sommer 1788 war es, als hier auf einem der nächsten Parkwege ein hübsches, lebhaftes Mädchen von jugendlicher Frische und Ueppigkeit, mit langen, goldbraunen Locken und lachenden Augen, an ihn herantrat, ihm eine Bittschrift für ihren Bruder zu überreichen: Christiane Vulpius, seine spätere Gattin.

Auf der Höhe über jenen Versen ließ Karl August in den neunziger Jahren sich in Form einer römischen Villa ein Sommer- oder Gartenhaus bauen, das deshalb den Namen „Römisches Haus“ erhielt. Es ist das Haus, von welchem Goethe singt:

Römisch mag man’s immer nennen;
Doch wir den Bewohner kennen,
Dem der echte deutsche Sinn,
Ja der Weltsinn ist Gewinn.

Der Herzog übertrug Goethen die Leitung des Baues; „thue“ – schrieb er ihm – als wenn Du für Dich bautest. Unsere Bedürfnisse waren einander immer ähnlich.“

Das säulengeschmückte Haus wurde einfach, aber behaglich eingerichtet. Von den Fenstern genießt man südlich die Aussicht nach dem Lustschloß Belvedere, und östlich schweift der Blick über die Wiesen und Baumgruppen des Ilmthales hinüber nach dem kleinen Landhause, das später der Geliebten des Herzogs, der Sängerin Karoline Jagemann, nachherigen Frau von Heygendorf, gehörte. Eine von Belvedere hierher geführte Röhrenfahrt ergoß ihr Wasser in das große steinerne Becken in der unteren Halle des Römischen Hauses; munter plätscherte hier ein Springbrunnen, und von dem Felsen neben der Tafel mit den Goethe’schen Versen rauschte das Wasser als malerischer Wasserfall in ein von Tuffstein gebildetes Becken hinab. Springbrunnen und Wasserfall bestanden noch zur Zeit von Schiller’s Aufenthalten Weimar und noch lange Jahre nachher, und der Platz da unten bei dem silberblinkenden, rauschenden Wasserfall neben den Goethe’schen Versen ist eine doppelt geweihte, klassische Stätte, denn er war das Lieblingsplätzchen Schiller’s.

Herzog Karl August benutzte das Römische Haus, wie einst das kleine improvisirte Kloster, zum Sommeraufenthalte. Es blieb ihm bis zu seinem Ende ein traulicher Ruheort. Hier war es, wo am 3. September 1825 sein goldenes Regierungsjubiläum gefeiert wurde; hier war es, wo schon in frühester Morgenstunde der treue Jugendfreund Goethe als erster Gratulant ihn liebevoll begrüßte und von ihm liebevoll an die vergangenen Tiefurter Tage erinnert wurde; hier war es, wo unter Leitung Hummel’s die von ihm componirte, von Riemer gedichtete Festcantate erklang und das Echo mit gedämpftem Tone aus den nahen Gebüschen antwortete, während die zahllose Menschenmenge in tiefster Stille lauschte; hier war es, wo gegen das Ende der Musik Karl August in Kraft und Frische unter der Säulenhalle hervortrat; hier war es aber auch wo nur drei Jahre später, am Abend des 21. Juni 1828, unter dem Trauergeläute der Glocken in feierlichem Zuge ein mit acht schwarz behangenen Pferden bespannter Wagen vor dem würdevoll decorirten Hause hielt und die Leiche des allgeliebten Fürsten provisorisch beigesetzt wurde.

Doch wir kehren noch einmal in sein rüstigstes Mannesalter zurück, da wir noch der Umgestaltung des welschen Gartens, wie er mit Goethe sie geschaffen, zu gedenken haben. Sein Großvater,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_452.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)