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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

von den Rücken und Schrofen der Berge, die von beiden Seiten her ansteigend sich einander näherten, nur das Felsenthor zu bilden, das sich vor Jahrtausenden der grüne Bergstrom gebrochen.

„Aber Du kannst schön zeichnen, Fräul’n!“ sagte sie nach einer Weile des Betrachtens. „Wenn es auch nur schwarze Stricheln sind, die Du machst, ist es doch gerade wie draußen, daß man jeden Punkt kennen kann.“

„Gefällt es Dir also?“ sagte das Fräulein, ohne sich näher nach dem Mädchen umzusehen.

„Wie sollt’ es mir nicht gefallen?“ war die lächelnd gegebene Antwort. „Es ist ja ein jeder Punkt zu erkennen; da drüben links über’m Inn der Heuberg mit seinen Teufelshörnern – rechts herüben die große und kleine Matron, zwischen denen der schöne Wasserfall herunterfällt, und in der Mitte weit hinten das wilde Kaisergebirg’.“

„Du bist ja recht bewandert,“ unterbrach sie das Fräulein. „Du bist selbstverständlich in der Gegend daheim?“

„Freilich,“ sagte das Mädchen, „d’rum gefallt’s mir auch so gut. Es heißt ja im Sprüchwort: Wo der Vogel geheckt ist, da ist er gern, aber ich bild’ mir ein, es müßt’ allen Leuten gefallen, die zu uns kommen.“

„Das ist auch ohne Zweifel der Fall,“ bemerkte das Fräulein, indem sie mit dem Stifte auf eine Stelle ihrer Zeichnung deutete. „Und was ist das für ein kleines Kirchlein? Hier – zu höchst oben auf dem Bergvorsprunge? Kennst Du es?“

„Gewiß, das ist der Petersberg, ein altes, uraltes Kirchel … sie sagen man wisse gar nicht recht, wann es gebaut worden ist, gewiß vor ein paar hundert Jahren, wie noch die Heiden im Land gewesen sind.“

Der Gymnasiast hatte während dessen auf seinem botanischen Ausfluge die Entdeckung gemacht, daß Nesseln sehr empfindlich brennen und daß man darauf gefaßt sein muß, eine Blindschleiche zu fassen oder eine kühle Eidechse sich über die Hand schlüpfen zu lassen; er war zurückgekommen und hatte der Unterredung zugehört, nicht ohne von Zeit zu Zeit einen forschenden und zugleich verwunderten Blick auf die Kellnerin streifen zu lassen. Der geschichtliche Schnitzer, den sie soeben gemacht, war seinem gelehrten Bewußtsein zu widerstrebend, als daß er es über’s Herz bringen konnte, denselben ungerügt vorüber gehen zu lassen. „Die Heiden? Und vor ein paar hundert Jahren?“ rief er mit überlegenem Lachen. „Das werden wohl eher ein paar Tausende sein, als hundert.“

Das Mädchen wendete sich rasch nach dem Jünglinge um, indeß ihr ein tiefes Roth der Beschämung und Verlegenheit über Stirn und Wangen flog. Dennoch unterließ sie nicht, den jungen Tadler wie fragend von oben bis unten zu messen. „Ich bin halt nit so hochgestudirt, wie Du, Bübel,“ sagte sie, „ich kann solche Sachen nit so recht zusammenraiten.“

Das Erröthen und die Verlegenheit waren nun an den jungen Geschichtskundigen gekommen, aber eh’ ihm eine geeignete Antwort eingefallen war, unterbrach ihn die Schwester, welche sich umgewendet hatte und nun ebenfalls das Mädchen mit Ueberraschung und Wohlgefallen betrachtete. Das Wohlgefallen galt der nicht gewöhnlichen Schönheit, die Ueberraschung ihrer ganz ungewöhnlichen Kleidung. Die Züge des Angesichts waren von anmuthiger Regelmäßigkeit, frische Wangen und noch frischere Lippen erhöhten den Eindruck, welcher noch durch die lebhaften blauen Augen und durch das reiche blonde Haar erhöht und gerundet wurde, welche in zwei starker bebänderten Zöpfen über eine Art stehender Spitzenkrause und ein mit Goldborten besetztes dunkles Sammetleibchen hinab fielen. Das ebenfalls reich bordirte, zum größten Theil von einer weißen Wirthschaftsschürze bedeckte Kleid war leicht aufgeschürzt und ließ die rothen Stiefelchen sichtbar werden, in welche die Füße geschnürt waren. Um die Stirn war zum Ueberfluß ein Diadem mit mächtigen bunten Steinen geschlagen.

„Aber, Mädchen, wie siehst Du denn aus?“ sagte das Fräulein mit leichtem Lächeln. „Bist Du denn nicht die Kellnerin hier im Haus, und das ist doch kein Anzug für eine Kellnerin?“

„Ich bin nicht die Kellnerin,“ war die Antwort des Mädchens, „ich bin blos zur Aushülf da wegen der vielen Leute, und weil ich keine Zeit mehr hatt’ zum Umkleiden, hab’ ich gleich mein Spielgewand angezogen, ich bin ja auch bei der Komödien; ich bin eine von den Ritterinnen …“

„Ritterinnen!“ platzte der Student mit lautem Lachen heraus. „Das ist das Allerneuste, was es giebt.“

„Sei nicht unartig, Karl!“ mahnte die Schwester, „bringe das gute Mädchen nicht in Verwirrung!“ Die Besorgniß war aber diesmal nicht begründet. Die Ritterin schien nun schon gefaßt und auf solche Angriffe vorbereitet.

„Was ist denn da zum Lachen?“ fragte sie. „Die Frau Genoveva, wie ihr Herr Pfalzgraf fort ist in den Krieg, wird wohl auch diemalen Besuch gehabt haben, und wie sollen denn die Frauen anders heißen, die sie in Heimgarten eingeladen hat und zum Kaffee?“

„Kaffee!“ kreischte Karl und lachte unbändiger. „Das kommt ja immer schöner. Ritterinnen und Kaffee! – Kaffee – zu einer Zeit, wo Amerika noch gar nicht entdeckt war! Weißt Du denn das nicht?“

„Nein,“ sagte das Mädchen gelassen, „das weiß ich nicht und geht mich auch nichts an; wenn die Ritterinnen zur Pfalzgräfin in Heimgarten gekommen sind, wird sie ihnen doch mit ’was aufgewartet haben; da schickt sich der Kaffee doch am besten – eine Brennsuppen kann sie ihnen doch nicht vorsetzen.“

„Ereifere Dich nicht, Mädchen,“ sagte das Fräulein begütigend, während der Student einen Gang in den Garten der Fortsetzung des Gesprächs vorzog. Hier wurde er auf den in der Ecke befindlichen Bretterverschlag aufmerksam, weil der Spitz des Hauses in demselben am Boden eine Lücke aufgeschnüffelt hatte, in welche er zu kriechen versuchte; da dies nicht anging, begann er den Boden davor aufzuscharren.

„Laß Dich das Gerede nicht anfechten und bleibe bei Deiner Ritterin und Deinem Kaffee!“ fuhr das Fräulein zu reden fort, nachdem der Student gegangen. „Sage mir lieber, da ich doch mit dem Zeichnen aufhören muß, was das für eine Ruine ist, die da unterhalb des Kirchleins auf dem niedrigen Vorsprung liegt?“

„Du meinst den Falkenstein?“ rief das Mädchen vergnügt. „Das ist ein altes verfallenes Geschloß, von dem fast nichts mehr übrig ist, als der große viereckige Thurm da und die spitzige Wand, wo einmal die Capellen g’standen ist. Da ist’s wohl schön, und gerade herunter, gerad’ vor dem Mauerwerk, da das kleine Häuserl, das Du so accurat gezeichnet hast, da ist mein Heimathl; da solltest einmal hinaufsteigen; Dir thät’s gewiß auch da gefallen.“

„Warum glaubst Du das?“ entgegnete das Mädchen.

„Warum? Weil Du so schön zeichnen kannst, und weil Du Dich so gut auf die Gegenden verstehst, und nachher –“ setzte sie etwas zögernder hinzu, „weil Du eine so gute freundliche Fräul’n bist und ich’s gern hätt’, wenn Du mein Heimathl sehn und mich heimsuchen thätst. Ich mein’ überhaupt, Du solltest ein paar Tag, oder ein paar Wochen, oder noch länger in der Gegend bleiben; es thät Dir gewiß gut, denn wir haben gar einen gesunden Luft und mir kommt’s vor, als wenn Du den ’brauchen könnt’st. Du bist gar so bleich und kommst mir vor, wie ein niedergeregnet’s Blüml.“

Sie hatte das Fräulein an der Hand gefaßt und sah ihr zutraulich in die Augen. Ehe diese etwas zu erwidern vermochte, erklang vom Hause her eine Stimme, der es anzuhören war, daß sie wohl eingeübt war auf’s Befehlen und lautes Rufen. „Gertl,“ rief sie, „wo steckst so lang? Aufgetragen! Das Essen ist fertig.“

„Das geht mich an,“ rief die Ritterin. „Die Wirthin wird zanken, daß ich mich so verschwätzt habe.“

Eilend wollte sie dem Rufe folgen, aber es ging nicht so schnell, wie sie vorhatte, denn mit gleicher Geschwindigkeit kam Karl ihr von dem Verschlage her in den Weg gerannt.

„Das Thier dort in der Umzäunung,“ rief er, „ist wild geworden, weil der Spitz immer darauf hinbellt; ich glaube, der Rehbock will über das Geländer springen.“

„Rehbock?“ sagte Gertl mit dem unverkennbaren Ausdruck der Ueberlegenheit in dem hübschen Gesicht. „Das läßt er wohl bleiben – übrigens ist es gar kein Rehbock, sondern eine Hirschkuh, die wir zur Genoveva brauchen und Hirschkühe hat es schon gegeben, lang bevor das Amerika entdeckt worden ist.“

Den verdutzten Gelehrten seiner Beschämung überlassend, ging sie zu dem Verschlage und beschwichtigte das erschreckte Thier; es schien sie sehr wohl zu kennen, kam ihr zutraulich näher und kauerte dann beruhigt in der Ecke nieder.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_458.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)