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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Runde, war dem Könige als Jagdrevier vorbehalten. Wehe Dem, der dort auf irgend ein Wildpret schoß! Die Rebhühner waren so zahm, daß sie bei der Annäherung des Menschen gar nicht flohen, sondern ruhig weiter fraßen. Bei Fontainebleau begegnete man nicht selten Rudeln von sechszig bis achtzig Hirschen. Von 1743 bis 1774 hetzte Ludwig der Fünfzehnte nicht weniger als sechstausendvierhundert Hirsche. Im Jahre 1780 soll Ludwig der Sechszehnte im Ganzen zwanzigtausendfünfhundertvierunddreißig Stück geschossen haben, eine Zahl, welche an das bekannte „Jägerlatein“ gemahnt, aber die einige Wahrscheinlichkeit erlangt, wenn es wahr ist, was dieser König am 31. August 1781 in sein Tagebuch schrieb: Heute vierhundertsechszig Stück geschossen.

Jeder Prinz, jede Prinzessin hatte eine Facultät, das heißt eine Anzahl Heilkünstler, sowie eine Hauscapelle mit Geistlichen, Musikern und Sängern. Die Hauscapelle des Grafen von Artois zählte zwanzig, die seiner Gemahlin neunzehn Angestellte, die Facultät des ersteren achtundzwanzig, die der letzteren siebzehn. Mit einer so kleinen Anzahl hätte sich der König natürlich nicht begnügen können. Seine Hofcapelle zählte fünfundsiebzig Capläne, Beichtväter, Sänger und Musiker; seine Facultät achtundvierzig Doctoren, Wundärzte, Augenärzte, Fußärzte, Apotheker, Destillirer und Scheidekünstler. Vergessen wir die profane Musik nicht: einhundertachtundzwanzig Sänger, Tänzer oder Sängerinnen und Tänzerinnen und Instrumentisten; dann auch die Bibliothek mit dreiundvierzig Custoden, Vorlesern, Uebersetzern; hierzu noch zweiundsechszig Herolde, Ceremonienmeister etc., ohne einer großen Anzahl anderer Bedienten zu gedenken.

Ein großes Haus erkennt man besonders an der Küche; werfen wir also einen Blick in jene Räume! Der ganze Küchendienst war in drei Abtheilungen getrennt: die erste für den König und seine jüngern Kinder; die zweite, die sogenannte Cavalierküche, für die Tafel des Oberhofmeisters, für die des Oberstkämmerers und für die Prinzen und Prinzessinnen, die bei dem König wohnten; die dritte, die Marschallsküche, für die zweite Tafel des Oberhofmeisters, für die der Haushofmeister, für die der Almoseniere, für die der dienstthuenden Edelleute, für die der Kammerdiener. Im Ganzen dreihundertdreiundachtzig Mund- und andere Köche, einhundertdrei Küchenjungen und über zwei Millionen Franken Ausgaben. Dazu kommen noch etwa vierhunderttausend Franken für die Tafel der Madame Elisabeth und über eine Million für die Schwestern des Königs. Der Weinhändler liefert jährlich für dreihunderttausend Franken Wein, und der Hoflieferant für eine Million Wildpret, Fleisch und Fische. Nur um in Ville d’Avray frisches Wasser zu holen, wurden fünfzig Pferde für siebzigtausend Franken jährlich gemiethet.

Noch einen Schritt weiter, und wir befinden uns im Heiligthume, in den Gemächern des Königs. Zwei Großwürdenträger walten dort, und jeder hat eine gewisse Anzahl von Untergebenen zu leiten und zu überwachen: einerseits der Oberstkämmerer mit seinen Kammerherren, Kammerjunkern und Kammerdienern, Barbieren etc., andererseits der Großmeister der Kleiderkammer mit einem Heere von Dienern, Schneidern, Waschmeistern, Wäschestärkern. Für jede Dienstleistung gab es besondere Angestellte: zum Herbeitragen des Mantels oder des Stockes, zum Kämmen, zum Abtrocknen, zum Umlegen der Halsbinde u. s. f.

Fügen wir hinzu, daß der König auch noch andere Residenzen hatte, Marly, Trianon, Meudon, St. Cloud, Rambouillet, ohne den Louvre und die Tuilerien zu zählen, daß dort auch Schloßhauptleute, Aufseher, Gärtner etc. erforderlich waren, und daß jährlich auf den Unterhalt dieser Residenzen zwei bis drei Millionen verwandt wurden! Im Ganzen nahmen die Ausgaben des Hofes vierzig bis fünfzig Millionen in Anspruch, den zehnten Theil der damaligen Einkünfte des Staates.

Welch einen Anblick mußten die Königssäle darbieten, wenn sie von der Menge angefüllt waren! Damals war der schwarze Frack noch unbekannt. Neben den Damen, die mit Gold, Silber, Perlen, Edelsteinen, künstlichen Blumen und Früchten bedeckt waren, bildeten die Herren keinen grellen Abstand. Mit ihren gepuderten Frisuren, ihren breiten Bandschlingen, ihren Handkrausen aus Spitzen, ihren gold- und silbergestickten Kleidern aus hellbrauner, rosenrother oder himmelblauer Seide waren die männlichen Trachten ebenso kostbar und buntglänzend als die weiblichen.

Unter all diesen Menschen war allerdings der König nicht der Beneidenswertheste. Wenn er sich auch nicht gar zu viel um die Regierungsgeschäfte bekümmerte, so mußte er doch zu jeder Stunde persönlich herhalten, sogar wenn er aufstand oder sich niederlegte.

Morgens zur bestimmten Stunde weckt der erste Kammerdiener den König; alsbald werden nach einander fünf verschiedene Rangclassen eingeführt, um dem König ihre Aufwartung zu machen. Zuerst erscheinen die Prinzen und Prinzessinnen der königlichen Familie und die beiden ersten Leibärzte. Hernach findet der Zutritt statt für die Kronbeamten, einige Personen des höchsten Adels und die besondern Günstlinge des Königs, wie auch die Barbiere, Schneider und Kammerdiener. Unterdessen wird dem König ein wenig Weingeist über die Hände gegossen; man reicht ihm das Weihwasser; er bekreuzigt sich und spricht ein Gebet. Vor den Blicken der Versammelten verläßt er hierauf sein Bett und schlüpft in seine Pantoffeln. Der Oberstkämmerer und der erste Kammerherr reichen ihm den Schlafrock dar; man zieht ihn an, und er setzt sich in den Lehnstuhl, auf welchem er angekleidet werden soll. In diesem Augenblicke wird die Thür zum dritten Mal geöffnet; die andern hohen Hofbeamten treten ein. Während die Kammerdiener sich dem König nähern, um ihn anzukleiden, nennt der erste Kammerherr die Namen der Großen, die vor der Thür warten. Der vierte Zutritt, den man den Zutritt der Dienstthuenden nennt, erfolgt; er ist viel zahlreicher als die früheren. Indessen wäscht sich der König die Hände, und die eigentliche Toilette beginnt. Zwei Pagen nehmen ihm die Pantoffeln ab; der Großmeister der Kleiderkammer ergreift den rechten Aermel der Nachtjacke, der erste Kammerdiener den linken, um sie abzuziehen. Während sie dieselbe einem andern Kammerdiener übergeben, wird das Hemd gebracht, das in einen Umschlag von weißem Taffet gehüllt ist. Jetzt nahet der feierlichste Augenblick, der Höhepunkt der Ceremonie. Die fünfte Rangclasse, eine wahre Fluth, drängt sich herein. Für das Hemdanziehen besteht eine höchst genaue Ordnung. Die Ehre, das Hemd darzureichen, ist den Brüdern oder Neffen des Königs vorbehalten oder, wenn keiner von diesen anwesend war, den anderen Prinzen von Geblüt oder, in Ermangelung dieser, dem Oberstkämmerer oder dem ersten Kammerherrn. Der letzte Fall ist jedoch selten; die Prinzen waren verbunden, dem Morgenempfang des Königs beizuwohnen, wie die Prinzessinnen dem der Königin. Während dem König das Hemd angezogen wird, halten zwei Kammerdiener den Schlafrock vor dem König ausgebreitet, anstatt eines Wandschirmes. Hierauf nimmt das Ankleiden seinen Fortgang. Jeder Gegenstand wird von einem besondern Diener herbeigebracht. Wenn der König endlich angekleidet ist, so kniet er neben seinem Bette nieder, um sein Gebet zu verrichten, während ein Hauscaplan mit leiser Stimme auch ein Gebet spricht. Nachdem der König sich wieder erhoben hat, schreibt er die Tagesordnung vor und begiebt sich mit den Höchsten seines Hofes in ein Cabinet, wo er manchmal Audienzen ertheilt, während die Menge in den Gallerien wartet, um später den König in die Messe zu begleiten.

Das ist le lever, der Morgenempfang des Königs, ein Schauspiel in fünf Aufzügen. Man hätte nichts Besseres erfinden können, um die Leere im Leben einer müßigen Aristokratie auszufüllen. Hunderte von den Gliedern des höchsten Adels haben mehrere Stunden damit zugebracht – sie sind gekommen, haben gewartet, haben sich in Ordnung gestellt, sind an dem König vorbeigegangen, und ihr immer unterthänigst lächelndes Gesicht hat in größter Glückseligkeit geleuchtet, wenn nur der geringste Strahl der königlichen Sonne auf sie fiel. Die Vornehmsten unter ihnen gehen hierauf in die Gemächer der Königin, um auch dort ihre Aufwartung zu machen.

Die Königin frühstückt im Bette, und nur zehn bis zwölf Personen erhalten Zutritt. Die Prinzen und Kronbeamten dürfen erst eintreten, wenn die Toilette beginnt. Für das Anziehen des Hundes herrscht dasselbe Ceremoniell, wie bei dem König.

Die beim Lever betheiligte Menge folgt dem Könige immer und überall, wenn er sein Reitkleid oder sein Abendgewand anzieht, und wenn er sich niederlegt. Wenn er speist, ist die Zahl der Zuschauer noch größer, weil dann auch der niedere Adel und selbst Bürgerliche Zutritt erhalten.

Zwei oder dreimal wöchentlich besuchte der König das Theater; einmal fand gewöhnlich ein Ball statt; jeden Abend wurde bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_462.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)