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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

dem König, bei der Königin, bei den Prinzessinnen gespielt; dazu kamen noch die Jagden. Man darf sich daher nicht wundern, wenn der österreichische Gesandte von Ludwig dem Fünfzehnten sagte, seine Art und Weise zu leben lasse ihm keine Zeit, sich mit etwas Ernsthaftem zu beschäftigen. Trotzdem wußte es Ludwig der Sechszehnte möglich zu machen, der Schlosserei einige Stunden zu widmen. Sein Hauptvergnügen war indessen die Jagd. Die Tage, an denen er nicht gejagt hatte, zählten nicht für ihn.

Er schrieb in sein Tagebuch:

11. Juli 1789. Nichts; Abreise des Herrn Necker.
12. Juli. Abendgottesdienst. Abreise der Herren von Montmorin, von St. Priest und von la Luzerne.
13. Juli. Nichts.
14. Juli. Nichts.
29. Juli. Nichts. Rückkehr des Herrn Necker.
4. August. Hirschjagd im Walde bei Marly; einen gehetzt; hin und her zu Pferd.

Und das war die Zeit, als die Nationalversammlung ihre stürmischen Sitzungen hielt! Anfangs Juli hatte der König dem Drängen der Höflinge nachgegeben, Truppen herbeigezogen, Necker verbannt. Da wurde am 14. Juli die Bastille, die Zwingburg der Stadt Paris, vom Volke erstürmt und damit das alte Regierungssystem gestürzt, und der König schreibt in sein Tagebuch: 14. Juli. Nichts! – Der Minister Necker mußte zurückgerufen werden; 29. Juli. Nichts! – Am 4. August erklärt die Nationalversammlung allgemeine Gleichheit, persönliche Freiheit und Volkssouverainetät als unentbehrliche Menschenrechte; 4. August. Hirschjagd!

Es war dem Könige gelungen, fast den ganzen Adel an den Hof zu ziehen, und die Vasallen, die ein Jahrhundert vorher es noch gewagt hatten, gegen die königliche Macht Krieg zu führen, waren die unterthänigsten Kammerdiener des Königs geworden. Um aber unter der Menge zu glänzen oder nur ordentlich Figur machen zu können, war großer Gehalt und großes Vermögen unentbehrlich. Die Besoldungen der hohen Würdenträger waren viel beträchtlicher, als heutzutage. Der Herzog von Duras bezog als Gesandter in Madrid zweihunderttausend Franken und fünfhunderttausend Franken geheime Fonds; dazu erhielt er einmal eine Vergütung von dreihunderttausend Franken, und es wurden ihm für vier- bis fünfhunderttausend Franken Möbel geliehen, von denen er später die Hälfte für sich behielt. Wenn sich ein Minister oder ein Kronbeamter zurückzog, erhielt er eine sehr bedeutende Pension; wenn sich die Tochter eines solchen verheirathete, gab ihr der König gewöhnlich ein Hochzeitsgeschenk von zweihunderttausend Franken. Aber ohne ein großes Privatvermögen wären die Großen des Hofes doch nicht im Stande gewesen, solche Ausgaben zu machen, wie man sie sich damals erlaubte. Als der berühmte Marschall von Sachsen in Chambord wohnte, wurde immer an zwei Tafeln gespeist, die eine zählte sechszig Gedecke, die andere achtzig. Er hatte vierhundert Pferde in seinen Ställen und unterhielt ein Ulanenregiment als Leibwache. Seine Theatertruppe kostete jährlich mehr als sechshunderttausend Franken. Frau von Matignon schloß einen Vertrag, nach welchem ihr für vierundzwanzigtausend Franken jährlich jeden Tag ein neuer Kopfputz geliefert wurde. Schneiderrechnungen von hundertachtzigtausend Franken waren nichts Seltenes. Die bedeutendsten Summen aber wurden im Spiele vergeudet. In einer einzigen Nacht verlor Herr von Chenonceaux siebenhunderttausend Franken. Er und sein Bruder brachten in kurzer Zeit an acht Millionen durch. Im Alter von sechsundzwanzig Jahren hatte der Herzog von Lauzun, nachdem er das Capital von dreihunderttausend Franken Rente verzehrt hatte, zwei Millionen Schulden.

Wie sah es aber mit dem Volke aus?

Schon im Jahre 1689 hatte La Bruyère geschrieben: „Man sieht auf den Feldern gewisse wilde Thiere, Männlein und Weiblein; sie sind schwarz oder fahl, von der Sonne verbrannt; sie durchwühlen die Erde mit unermüdlicher Beharrlichkeit. Sie haben auch eine gewisse Sprache, und wenn sie sich aufrichten, so erblickt man ein menschliches Gesicht, und in der That, es sind Menschen. Des Nachts ziehen sie sich in Höhlen oder Löcher zurück, wo sie von schwarzem Brod, von Wasser und Wurzeln leben. Sie ersparen den anderen Menschen die Mühe des Ackerns, des Säens und des Erntens und verdienen dadurch, daß es ihnen nicht an dem, was sie hervorbringen, an Brod fehlen sollte.“ Diese Schilderung wäre ein Jahrhundert später noch schlimmer ausgefallen.

Die Steuern hatten außerordentlich zugenommen, während anderntheils die Erträgnisse des Landes abnahmen. Im Jahre 1757 betrugen jene 283,156,000 Franken, im Jahre 1789 dagegen 476,296,000 Franken. In manchen Provinzen bezog der König mehr als fünfzig Procent von dem Ertrage der steuerpflichtigen Felder; die Geistlichkeit nahm einen weiteren Theil des Ertrages in Anspruch, und oft hatte der Adel auch noch alte Rechte auf das Grundstück. So kannte man Fälle, in welchen dem Eigenthümer von einem Ertrage von hundert Franken nur achtzehn Franken neunzehn Centimes übrig blieben. Die vom Volke bezahlten Steuern beliefen sich aber weit höher, als die in den königlichen Schatz fließenden Summen. Die Steuern waren verpachtet, und die Generalpächter und ihre Angestellten waren nur darauf bedacht, von den Steuerpflichtigen so viel Geld wie möglich zu erpressen. Es bestand eben keine Finanzverwaltung, sondern nur eine Ausbeutung. Die Pächter wollten natürlich nicht nur den Pachtzins wieder herausbringen, sondern auch einen mehr oder minder beträchtlichen Gewinn. Und wenn man weiß, welchen Aufwand diese Pächter machten, so muß der Gewinn bedeutend gewesen sein.

Ebenso lästig wie die Steuern selbst waren die unzähligen Plackereien, welche die Eintreibung der Steuern im Gefolge hatte. – Man denke einmal an die Salzsteuer! Nach dem Decret von 1680 muß jeder über sieben Jahre alte Einwohner jährlich sieben Pfund Salz kaufen, das Pfund zu dreizehn Sous, nach unserem Geldwerthe ungefähr ein und eine halbe Mark. Dabei bestand das strengste Verbot, den geringsten Theil der sieben Pfund zu etwas Anderem zu verwenden, als für den Kochtopf und für das Salzfaß. Wenn etwa ein Bauer etwas Salz erspart und es zum Einsalzen von Schweinefleisch verwenden will und die Steuerbeamten erfahren es, so wird das Fleisch weggenommen und eine Strafe von dreihundert Franken über den Schuldigen verhängt. – Wer ein Schwein einsalzen wollte, mußte sich auf’s Salzamt begeben, von seinem Vorhaben Anzeige machen und eine bestimmte Menge Salz kaufen. Er erhielt dann einen Schein, den er beim Nachfragen der Salzsteuerbeamten vorzuweisen hatte.

Leicht begreiflich ist, wie sehr die Schmuggelei im Schwange ging. Nur wegen Salzschmuggel wurden jedes Jahr durchschnittlich viertausend Beschlagnahmen vorgenommen, dreitausendvierhundert Personen zum Gefängniß und fünfhundert zum Staupbesen, zur Verbannung oder zur Galeerenstrafe verurtheilt.

Was aber die Steuern noch drückender machte, war, daß es den Reichsten gelungen war, sich denselben ganz zu entziehen.

Der Adel und die Geistlichkeit sind befreit nicht nur von der Kopfsteuer, sondern auch von den Abgaben für die Grundstücke, die sie selbst bebauen oder die sie verwalten lassen. Von der Einkommensteuer hat sich die Geistlichkeit durch die einmalige Bezahlung einer gewissen Summe losgekauft, und der Adel hat es auch verstanden, sich davon frei zu machen oder wenigstens diese Steuer für sich zu verringern. Manche Städte hatten auch ähnliche Freiheiten. Es gab Provinzen, in denen die Gruppe der armen Landbewohner zehnmal so viel Steuern bezahlte, wie die Gruppe der Reichen. Die Zahl der Privilegirten betrug ungefähr zweihundertsiebenzigtausend, wovon hundertvierzigtausend dem Adel angehörten, die übrigen der Geistlichkeit. In Hochburgund, im Elsaß, im Roussillon war die Hälfte des Grundbesitzes in den Händen der Geistlichkeit, im französischen Hennegau und in der Grafschaft Artois drei Viertel desselben. Und alle diese Grundstücke waren steuerfrei. Auch der Adel besaß kolossale Reichthümer. Die Prinzen von Geblüt hatten zusammen bis fünfundzwanzig Millionen Einkünfte; der Herzog von Orleans hatte elfeinhalb Millionen.

Ob die Könige das Elend des Volkes kannten?

Wir besitzen einen Brief, den der berühmte Fenelon im Jahre 1693 an den König schrieb und in dem es heißt: „Sire, Ihr Volk stirbt vor Hunger. Der Anbau der Felder ist vernachlässigt oder fast ganz aufgegeben. Stadt und Land entvölkern sich. Handel und Gewerbe liegen darnieder. Ganz Frankreich ist nur noch ein großes trostloses Hospital.“ Man darf aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_463.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)