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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

nicht glauben, daß dieser Brief dem König vorgelegt wurde. Der freimüthige Prälat wäre für seine Kühnheit bestraft worden. Als später der Marschall Vauban, der große Festungsbauer, es wagte, auf gleiche Weise an den König zu schreiben, und es versuchte, eine Steuerreform hervorzurufen, fiel er völlig in Ungnade, was ihn so sehr betrübte, daß er sich darüber zu Tode grämte. Unter der Regierung Ludwig’s des Fünfzehnten geschah nichts, um den Uebelständen abzuhelfen. Noch wurde jeden Tag Te Deum gesungen und, wie Voltaire sagt, das Volk starb haufenweise dahin unter den Klängen der Lobgesänge.

Wenn man diese Zustände ein wenig genauer kennt, so begreift man leicht, daß eine Katastrophe durchaus unvermeidlich war; aber, wir wiederholen es, und angesichts des Vorstehenden ist vernünftiger Weise ein anderes Urtheil nicht gestattet: wer heute in den gesellschaftlichen Verhältnissen zureichende Gründe finden will, um den gewaltsamen socialen Umsturz zu predigen, der muß das Bild dieser gesellschaftlichen Verhältnisse fälschen. Vergleichen wir die oben geschilderten politischen und gesellschaftlichen Zustände der civilisirten Welt mit den heutigen, so finden wir, daß dazwischen eine Geschichte liegt, deren Ziel und eigentlichstes Wesen in einer versöhnenden Ausgleichung bürgerlicher Unterschiede, einer Ausfüllung von Klüften zwischen den Eigenthums- und Bildungszuständen der verschiedenen Gesellschaftsclassen besteht. Dieser Entwickelungsproceß ist noch nicht beendigt, aber er zeigt sein Wirken bereits in mächtigen Verbesserungen der menschlichen Lagen und in einem lebenskräftigen Werden. Weder ein revolutionärer Fanatismus, welcher dem Fortschritte gewaltsam seine Bahnen vorschreiben, noch eine reactionäre, eine feudale oder hierarchische Interessirtheit, die uns gern in jene alte Knechtschaft zurückschrauben möchte, werden den Gang des geschichtlichen Gesetzes, die allmähliche Wendung zum Besseren unterbrechen können, so lange der große Mittelstand unseres Volkes seines Rechtes und seiner Macht sich bewußt bleibt, jedem Plan eines verhängnißvollen Umsturzes von oben oder von unten her die Spitze abzubrechen.

A. R.



Phonographische Ueberraschungen.
Der automatische Privat-Stenograph. – Bücher, die sich selbst vorlesen. – Autophone berühmter Personen. – Galvanoplastisch vervielfältigte Arien und Opern. – Lachende und weinende Puppen. – Uhren mit Nachtwächtergesang. – Die Zukunfts-Telegraphie. – Das Aërophon.

Edison’s Phonograph, über welchen in dem Artikel „Sprechmaschinen“ (Nr. 10 d. Jahrg.) kurz berichtet wurde, ist seitdem in Nordamerika der Löwe des Tages geworden, und in Europa beschäftigen sich Forscher und Praktiker mit demselben. „Ein lehrreiches, interessantes Spielzeug!“ hatte man anfangs achselzuckend gesagt, aber sein Urheber, einer der erfindungsreichsten Menschen unserer Zeit, ist sehr stark bei der Arbeit, um der Welt zu beweisen, daß das „Spielzeug“ eine eminent praktische Bedeutung erlangen kann. Wir halten uns der Sicherheit halber im Nachfolgenden vorzugsweise an die eigenen Mittheilungen des Erfinders, die er in einem kürzlich erschienenen Artikel der „North American Review“ niedergelegt hat und die fast durchgängig bereits ausgeführte Ideen betreffen. Wir ersehen daraus, daß Herr Edison allen Ernstes daran denkt, den künftigen Generationen die Mühe des Briefeschreibens zu ersparen, indem man sich einen mechanischen Secretär und Vorleser in einer Person anschafft und mittelst desselben alle Correspondenzen mündlich erledigt. Man setzt sich vor den sogleich zu beschreibenden Standard-Phonographen und dictirt ihm, so schnell man zu sprechen gewöhnt ist, sei es im trockenen Geschäftstone, sei es mit Wärme und Nachdruck, was man auf dem Herzen hat. Gleich einem geschickten Stenographen verzeichnet die mitschwingende Nadel, wie in dem älteren Apparate, getreulich jedes anvertraute Wort auf einem Zinnblatte, welches nachher abgenommen und wie ein Brief versandt werden kann. Hat man zwei Blätter über einander aufgelegt, so kann das eine als Copie zurückbehalten werden.

Der Empfänger befestigt das Blatt auf eine genau gleichgearbeitete Maschine, setzt dieselbe in Gang und läßt sich, vielleicht dabei seinen Kaffee einnehmend, vorlesen, was sein Correspondent ihm zu sagen hat. Hat jener sehr schnell dictirt, so befördert die alle Schallschwingungen wiederholende zweite Maschine ebenfalls ihre hundertfünfzig bis zweihundert Worte in der Minute zu Tage. Der Brief bedarf keiner Unterschrift, denn man erkennt, trotz der etwas metallischen Färbung, deutlich die Stimme des Absenders mit allen ihren Eigenthümlichkeiten, Hebungen und Senkungen, und sollte man ja eine Passage nicht verstanden haben, so stellt man die Maschine zurück und läßt die Stelle nochmals wiederholen. Man mag sich selbst ausmalen, welche ganz andere Wirkung so übermittelte mütterliche Ermahnungen oder gar Liebesbriefe hervorbringen müssen.

Da nun bei der bisherigen Cylinderform des Phonographen die genaue Wiederbefestigung des Zinnblattes (damit die eingedrückten Schriftzeilen genau unter den nadelförmigen Fühler der Schallplatte kommen) einige Schwierigkeiten darbietet, so hat Edison neuerdings der Unterlage die Form einer ebenen, wagerechten Tafel gegeben, auf welcher die genaue Einstellung und Befestigung viel leichter zu erreichen ist. Die wie ein Linienblatt mit eingegrabenen Linien versehene Stahlplatte wird nun durch ein darunter befindliches Uhrwerk derartig bewegt, daß die schwingende Nadel, genau der vorgezeichneten Rinne folgend, in engen Parallelzügen über das Zinnblatt hingleitet. Bei einer keineswegs übertriebenen Enge der Linien konnte, nebenbei bemerkt, ein Zinnblatt von ungefähr dreiviertel Fuß im Quadrat gegen vierzigtausend Worte aufnehmen, also den Inhalt einer ganzen Broschüre, während selbst sehr ausführliche Briefschreiber es selten über zweitausend Worte bringen. Da es entschieden wichtig sein würde, alle diese Horizontalmaschinen nach demselben Normalmaß herzustellen, um mit Jedermann ohne Unterschied durch dieselbe Maschine verkehren zu können, so hat Edison diesem internationalen automatischen Secretär, dessen Maße übrigens noch festzustellen sind, den Namen des Standard- (d. h. Norm- oder Universal-) Phonographen beigelegt.

So schön nun das alles klingt, dennoch wird sich Niemand dem Bedenken verschließen, daß diese Zinnblätter nicht als Documente dienen könnten. Denn abgesehen davon, daß die Maschine manche Buchstaben, namentlich die Zischlaute bisher nicht klar genug wiedergeben will, obwohl man ihr schon einen gezahnten Mund und ähnliche Nachhülfen gewährt hat, gestattet die weiche Zinnfolie nur wenige Male das Lesen. Die Nadel der Leseplatte vermischt, indem sie in die verschieden tiefen und verschieden umgrenzten, bald mehr runden oder ovalen, bald spitz, bald langgezogenen Vertiefungen des Stanniols einspringt und beim Weitergleiten immer wieder heraussteigt, bald die Eigenthümlichkeiten derselben, und damit wird die Aussprache jedesmal etwas undeutlicher. Zwei-, dreimal versteht man ganz deutlich, dann wird die Aussprache immer verschwommener, und zuletzt bleibt in einem allgemeinen Summen nur noch ab und zu ein einzelnes Wort verständlich. Uebrigens giebt es viele Zwecke, bei denen ein zwei- bis dreimaliges Lesenkönnen vollkommen ausreicht, so bei gleichgültigeren Briefen, oder wenn ein Tagesschriftsteller seine „Plauderei“ in die Druckerei schickt, wo die Setzer dieselbe, in Streifen geschnitten, sich vorlesen lassen können, um darnach zu setzen.

Uebrigens hat der Erfinder auch bereits härtere Beschreibstoffe mit einigem Erfolge versucht, und sogar in gewissen Stahlsorten hinterließ eine Nadel mit Diamant- oder Sapphir-Spitze hinreichende Spuren. Vorläufig erscheint es für die Fälle, in denen es sich um dauerhafte „Autophone“ handelt, zweckmäßig, die mit den Eindrücken versehene Zinnfolie auf galvanoplastischem Wege in Kupfer zu vervielfältigen, was mit dem vollkommensten Erfolge gelingt. Von einer auf diesem billigen Wege gewonnenen Form können dann beliebig viele Abdrücke genommen werden, und man begreift damit leicht die Möglichkeit, Bücher herzustellen, die sich mit ausdrucksvoller Stimme selbst vorlesen und die bei vierzigtausend Worten auf jedem Blatte meist nur aus wenigen Blättern bestehen würden. Autophone berühmter Personen und ihrer Reden bei feierlichen Gelegenheiten könnten auf diesem Wege leicht und schnell vervielfältigt werden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_464.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)