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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


hatte rasch ihren früheren Gleichmuth wieder gefunden. „Strapazir’ Dich nicht,“ sagte sie, „und laß mich in Ruh’! Ich sag’ Dir’s noch ’mal: ich hab’ mir’s dagegen in den Kopf gesetzt, daß ich Dich nicht haben will.“

„Und warum?“ fragte er, mit den Zähnen knirschend. „Was hast gegen mich? Bin ich Dir zu schiech oder zu schlecht?“

„Was ich gegen Dich hab’?“ sagte Gertl bedächtig. „Nichts, als daß ich Dir Deine Lieb’ nicht glaub’. Denkst Du nimmer an die arme Kathel, Deinen Schatz, der so elend hat zu Grund’ gehen müssen, zu der Du auch so gesagt und g’rad so gethan hast, wie jetzt zu mir? Sie ist noch kaum verfault drunten im Freithof, und Du bist jetzt schon so hitzig in eine Andere verschossen? Wenn Du sie so geschwind vergessen kannst – ich kann’s nicht. Sie ist ein gutes Madel gewesen und hat den einzigen Fehler g’habt, daß sie sich an Dich gehängt … Sonst ist’s der Brauch, wenn von einem Paar Eins stirbt, daß das Andere wenigstens das Pfnotjahr (Trauerjahr) aushält, und ich denk’, es wird am besten sein, Du machst es auch so.“

„Das sind lauter Narretheien!“ erwiderte Gori, ohne daß es ihm jedoch gelang, völlig die Befangenheit zu verbergen, mit welcher die Erinnerung an die frühere Geliebte ihn sichtbar ergriffen hatte. „Das sind Ausreden, mit denen Du keine Katz’ hinter dem Ofen hervorlockst. Was todt ist, ist todt – ich hab’ nichts mehr zu schaffen damit. Du aber bist lebendig; Du bist schön, tausend Mal schöner als die Kathel; Dich muß ich haben. Du mußt mein gehören.“

Ein heller Klingelton bezeichnete den Anfang des nächsten Actes. Gertl wendete sich zur Bühne. „Und ich sag Dir’s zum letzten Mal,“ rief sie, „das geschieht nie.“

„Weißt’s ganz gewiß?“ höhnte sie Gori.

Sie aber trat ihm ein paar Schritte näher und flüsterte ihm in’s Ohr: „Ja, das weiß ich gewiß, weil ich jedenfalls zuvor freiwillig in den Inn springen thät.“

Sie enteilte. Gori blieb betroffen zurück, als ob er einen plötzlichen Schlag vor die Stirn erhalten hätte. „Freiwillig?“ knurrte er in sich hinein, „was will sie damit sagen? Sollte sie etwas wissen? – Dummheit!“ ermunterte er sich dann selbst im nächsten Augenblick, sie weiß nichts; „sie kann ja nichts wissen,“ und laut lachend folgte er dem Einsager, der ihn auf die Scene rief.

(Fortsetzung folgt.)




Federzeichnung vom Congreß.[1]

Paris hat seine Ausstellung von Rohproducten, von Kunst- und Industriegegenständen, Berlin seine Ausstellung von europäischen Staatsmännern. Dort ist das dem Mars, das heißt den Uebungen des Krieges gewidmete Feld zum Terrain des Friedens geworden. Wird hier, auf dem friedlichen Terrain in der Wilhelmsstraße der blutige Krieg da unten im Südosten Europas sich erneuern? Das ist die Frage, mit welcher Deutschland, Europa, ja die Welt auf jene beiden Genien blicken, welche im Giebelfelde des neuen Reichskanzlergebäudes über dem Wappen des deutschen Reiches die Palmen des Friedens halten. Hoch über ihnen flattert die deutsche Fahne, das schwarz eingefaßte Kreuz mit weißem Grunde, in seiner Mitte der schwarze preußische Adler auf rundem Schilde, in der Ecke links oben am Flaggenstab drei Streifen: oben schwarz, dann weiß und roth, und auf allen drei Streifen ein kleines eisernes Kreuz. Das ist die deutsche Staatsflagge. Der Ostwind hebt sie in die Lüfte, und was die Gedanken der hier unter diesem Banner versammelten Männer bewegt, kam auch aus Osten – die orientalische Frage.

Noch ehe auf unsern Kaiser Wilhelm die Mordwaffe des ersten Attentats gezückt war, hatte er seinen Thronerben, den Kronprinzen, nach England geschickt; dort sollte dieser im Interesse des Friedens bei der Königin, seiner Schwiegermutter, und deren leitendem Minister thätig sein. Dann empfing der Kaiser in Berlin die Abgesandten, die Kaiser Alexander zu wiederholten Malen nach Berlin geschickt hatte, und vermittelte durch sie nach St. Petersburg hin bei seinem Neffen im nämlichen Sinne, wie er in England vermitteln ließ. Gleichzeitig suchte er Oesterreich von unbedachten Schritten zurückzuhalten. Sein Kanzler, als politischer Pfadfinder so oft und so glänzend bewährt, stand ihm bei diesem Friedenswerke hülfreich und fördernd zur Seite. Und so nahmen denn sämmtliche europäische Mächte den Vorschlag des deutschen Kaisers, sich in Berlin am 13. Juni 1878 zu einem Congresse zu versammeln, um hier die schwebenden Fragen zu discutiren und ihre Streitigkeiten zu begleichen, dankbar und einstimmig an. Als die Bevollmächtigten der großen europäischen Cabinete in Berlin eintrafen, konnte sie der Kaiser nicht empfangen, konnte nicht durch die milde Macht seiner Persönlichkeit das Werk fördern, das er mit so hohem innerem Eifer begonnen. Die Unthat eines Ruchlosen hatte die Hand gelähmt, welche für Europa zu diesem Friedenswerke so dringend nöthig war!

Fürst Bismarck inspicirt den Congreßsaal.
Originalzeichnung von H. Lüders.

Von seinem Krankenlager aus sah er seine Gala-Equipagen vorüberfahren, welche die Bevollmächtigten zu Hofe brachten, wo der Kronprinz sie als sein Stellvertreter empfing. In feierlichem Schritte, als wollten sie die Gewichtigkeit ihrer Insassen andeuten, fuhren die dunkelbraunen, reich mit Silber verzierten, im Innern mit weißer Seide ausgeschlagenen Gala-Equipagen in den Hof des königlichen Schlosses ein. Hoch vom dunkelroth-sammtnen, mit dem massiv-silbernen preußischen Wappen, mit Quasten und Schnüren geschmückten Sitze lenkte der Hofkutscher in seiner dunkeln, über und über mit silbernen Wappengalons bedeckten Livrée die edlen Braunen, deren Mähnen mit rothseidenen Schnüren eingeflochten waren, und deren Geschirre vom hellsten Silberglanze den Schein der Junisonne widerspiegelten. Auf dem Trittbrette standen zwei Lakaien in der großen Livrée und rosaseidenen Strümpfen, auf dem Kopfe jene schwarzsammtne, den Jockeymützen ähnliche Kopfbedeckung tragend, das Zeichen der höchsten Gala.

Der Erste, der in dieser Weise auffuhr, war der Bevollmächtigte der französischen Republik, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten William Henry Waddington. Auf dem Rücksitze saß der Vice-Oberceremonienmeister von Roeder,

  1. Bei dem Interesse, welches die Berliner Conferenz in allen Kreisen der internationalen Leserwelt erweckt hat, dürfte obiger Artikel, dessen Abdruck durch die zeitraubende Herstellung unseres Blattes leider verzögert wurde, auch nach dem muthmaßlich inzwischen erfolgten Schluß jener Diplomatenversammlung unseren Lesern nicht unwillkommen sein.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_476.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)