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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

dessen Amt es ist, die Gesandten bei Hofe einzuführen. Wenn nicht Fürst Bismarck, in seiner Beantwortung der Interpellation im Reichstage über seine auswärtige Politik, die Eigenschaft eines ehrlichen Maklers sich selbst zugeeignet hätte, so hätte man sie wohl diesem französischen Sohne eines englischen Vaters zutheilen können. Einem Manne mit diesem frischen Gesichte und so hellen Augen voll offenen Ausdruckes, mit dem graublonden Cotelettenbarte begegnet man zu jeder Stunde in der City von London oder auf dem Jungfernstieg in Hamburg. Wenn der Mann nicht die breiten Stufen in dem monumentalen Baue der Wendeltreppe des Berliner Kaiserschlosses hinaufstiege, wenn er nicht über der dunkeln, goldgestickten Uniform das breite amarantrothe, gewässerte Band des belgischen Leopoldordens trüge, würde man den Ort seiner Thätigkeit eher in einem Kaufmannscomptoir als im Ministerhôtel am Quai d’Orsay in Paris suchen. Plaudernd und ab und zu einen Blick nach der vornehmen Pracht der großen Treppe werfend, ging der Minister des großen Nachbarstaates die Stufen hinan, bis zur zweiten Etage des Schlosses, wo die Empfangsgemächer und Festräume liegen.

St. Vallier und Waddington vor dem französischem Botschaftshôtel.
Originalzeichnung von H. Lüders.

Man kann wohl, ohne paradox zu erscheinen, eine Charakteristik der Menschen nach der Art und Weise geben, wie sie die Treppen hinansteigen – in solchem Augenblicke namentlich. Wie ganz anders geschah das von dem Träger der englischen Politik ! Der alte Benjamin Earl Beaconsfield erschien hier wie ein Schauspieler auf der Scene; man sah es diesem feierlich-bedächtigen Gange der hagern Mittelgestalt an, daß er das beabsichtigte, was man „eine Miene aufsetzen“ nennt. An gewissen Bewegungen ließ der englische Premier erkennen, daß seine Art der Bewegung eine andere ist, wenn er den weiten Paletot und die zimmtbraunen Beinkleider trägt, als hier, wo er in der dunkeln, übrigens sehr bescheiden mit Gold geflickten englischen Ministeruniform erschien. Er machte vor allen übrigen Bevollmächtigten eine Ausnahme dadurch, daß er kein Ordensband trug; auch sein englischer College nicht, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Marquis von Salisbury. Er ging hinter dem Premier wie ein Famulus hinter seinem Meister. Salisbury mag ungefähr dreiundvierzig Jahre alt sein; sein ganzes Aussehen hat etwas Akademisches, und wäre er unser Landsmann, so würden wir hinzufügen: etwas Doctrinär-Nationalliberales. Eine zähe Energie drückt sich in dem Gesichte des Premiers aus, dieselbe, die Shylock auf seinen Schein bestehen läßt, und dieser Schein

Auf dem Gartenbalcon des Reichskanzlerpalais: Beaconsfield, Gortschakoff, Bismarck, Andrassy.
Originalzeichnung von H. Lüders.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_477.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)