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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

oder das folgende Lied, das in der That einen classischen Zauber athmet:

Sanft unter’m Fittig der Nacht
Schläft nun der hastige Wind.
Komm, laß uns schweigen und lauschen,
Wälder und Ströme, sie rauschen
Nur wie im Traum noch gelind.

Stürme im Busen entfacht,
Zitternd verathmet ihr Chor.
Ruhiger, ohne Gefährde
Brennen auf ewigem Herde
Flammen der Seele empor.

Folgend der himmlischen Macht,
Lodern sie herrlich in Eins.
Mild wie durch Opfergedüfte
Blicken die Sterne der Lüfte
Niederwärts segnenden Scheins.

Wo freilich die Stimmung weniger glücklich getroffen ist, da bleibt nur ein leeres, wenn auch nicht ungraziöses Spiel der Formen.

Auch die Sprüche erinnern an Goethe’s Aphorismen. Heyse ist kein scharfer Epigrammatiker, aber einzelne dieser aphoristischen Knüttelverse oder Vierzeiler geben einen sinnigen Gedanken in entsprechender Form; z. B.:

Mir ward ein Glück, das ich höher schätzte
Als alles Gold in Perus Ebne:
Ich hatte niemals Vorgesetzte
Und niemals Untergebne.

Heyse hat bekanntlich in seinem Gedicht „Salamander“, das Ihnen ja, verehrte Freundin, als ein kleiner gereimter Boccaccio wohl bekannt ist, den Terzinen, die man bisher nur als Karyatiden für ein umfassendes Weltepos wie Dante’s divina commedia ansah, die Zunge gelöst, daß diese steinernen plastischen Gestalten im modernsten Conversationston zu plaudern und zu schäkern anfingen. Auch in dieser Sammlung befindet sich ein Gedicht „Edwin“ und ein Sittenbild „der Cicisbeo“, in welchem sich diese Terzinen plauderhaft genug geberden und eine oft epigrammatische Haltung annehmen.

In den zwölf Dichterprofilen, wohlgegliederten Sonetten zum Preis der Hausgötter, die der Dichter in seinem Allerheiligsten aufgestellt hat, lernen wir den literarischen Cultus des Dichters kennen; es befinden sich unter diesen Penaten wohl Geibel und Lenau, aber auch die Stillen im Lande, außer Möricke Theodor Storm und Hermann Kurz. Die Mehrzahl dieser Dichter sind Stimmungspoeten von untergeordneter geistiger Bedeutung. Schiller und Shakespeare würden in dem Heyse’schen Literaturtempelchen wohl kaum einen Platz gefunden haben.

In den „Bildern und Geschichten“ findet sich eine bunte Schau; es sind die verschiedensten Töne angeschlagen, bald der isländische Sagenton, bald der serbische Romanzenton; bald rauscht eine Art von antikem Cymbelklang durch die Strophen, wie in dem Gedicht „die Mänade“. Am leidenschaftlichsten und bewegtesten ist die Ballade „der Pirat“. Was indeß den Gedichten fehlt, ist das große begeisterte Dichterwort; es ist der Augenaufschlag eines kleinen lyrischen Talentes. Daß Heyse auf andern Gebieten Vorzügliches geleistet, ist Ihnen, verehrte Freundin, ja wohl bekannt.

Auch Friedrich Bodenstedt ist mit neuen eigenen Dichtungen aufgetreten unter dem Titel: „Einkehr und Umschau“; ich hatte Ihnen zuletzt seine Uebersetzung des Hafis empfohlen. Hier erscheint Mirza Schaffy durchaus nicht in orientalischem Costüme; statt der Zaubergärten von Schiras besingt er die deutschen Pappelalleen, statt des Flusses Kur den vaterländischen Rheinstrom, und nicht aus den Waldungen des Kaukasus, sondern aus den thüringischen Wäldern schöpft er den frischen Hauch seiner Begeisterung.

Und dennoch, wenn uns Bodenstedt zu Gaste ladet, verehrte Freundin, nehmen wir stets auf dem westöstlichen Divan Platz. Nirgends fehlt bei ihm die orientalische Spruchweisheit, die nur in verschiedener Einkleidung erscheint. Die bunten Blätter und Sprüche sind auch hier als der eigentliche Kern der Sammlung zu betrachten; einige dieser Sprüche haben eine scharf epigrammatische Wendung; andere sind sinnige Gnomen, in denen echte Lebensweisheit gepredigt wird:

Sieh nichts, hör’ nichts, sei verschlossen
Und womöglich sei auch dumm!
Dann mit neidischen Genossen
Geht sich’s ganz erträglich um.

Wer etwas freudig will genießen,
Muß halb das Auge dabei schließen.
Wenn der Havanna reiner Brand
Dir würzig Zung’ und Nase prickelt,
So denk’ nicht an die schwarze Hand
Des Negers, der sie dir gewickelt!

Die Gedichte „Aus Thüringens Wäldern“ sind längere an einander gereihte Perlenschnüre von Sentenzen, und die Reflexionen lehnen sich meistens an irgend ein Naturbild an. Unter den „erzählenden Dichtungen“ finden sich Legenden und Ritterballaden, auch größere Geschichtsbilder. „Katharina die Zweite“ ist ein größerer Monolog; „Canossa“ hat eine modern tendenziöse Schlußwendung. Am farbenreichsten ist die poetische Glasmalerei in der „Legende vom heiligen Benedictus“. Die „Vorklänge“ sind am wenigsten didaktisch; hier ist am meisten lyrischer Zug und lyrische Stimmung. Als die Perle der Sammlung erscheint uns das allererste Gedicht:

Erst eben Donnergerolle
In flammender Wolkenschlacht,
Und nun die zaubervolle,
Selige Stille der Nacht.

Es flohen die Ruhestörer
Des Tages vor ihr hin,
Wie die besiegten Empörer
Vor ihrer Königin.

Hell schwimmt im Wasserspiegel
Der ganze Himmelsdom –
Es drückt sein Sternensiegel
Der Himmel auf den Strom.

Nur matt am Himmelssaume
Leuchtet’s noch ab und zu,
Wie sich der Geist im Traume
Noch regt in Schlafesruh’.

Einige Gelegenheitsgedichte, Prologe und ein Operntext dienen zur Füllung des stattlichen Bandes.

Einer unserer originellsten neueren Poeten, verehrte Freundin, ist Wilhelm Jensen; er ist sehr fleißig und productiv in Gedichten, Novellen und Romanen. Seiner Darstellungsweise nach könnte man ihn einen Romantiker nennen; er liebt die phantastische Beleuchtung, das Geheimnißvolle, das Grelle; doch seiner Gedankenrichtung nach gehört er zu den ganz modernen Poeten. Heute will ich Sie auf seine neuesten Gedichte „Aus wechselnden Tagen“ (Berlin, Stilke 1878) aufmerksam machen. Allerlei lyrische „Lichter und Schatten“ spielen in der Sammlung durch einander, in Bezug auf die Reinheit der Form ist nicht alles rein ausgegohren, manche Trübungen ziehen sich auch durch die kunstvoll gegliederten Sonette, durch die Liederpoesie, aber Reichthum an Phantasie und Empfindung tritt uns überall entgegen.

Das sangbare Lied ist nicht dasjenige, was Jensen vorzugsweise gelingt; gleichwohl ist das folgende „Trinklied“ ein ganz guter Wurf, der wohl einen Componisten einladen könnte, ihn in die Sprache der Töne zu übersetzen:

Wenn die Rebe blüht,
Gährt im Faß der Wein;
Wenn die Traube glüht,
Steigt der Durst am Rhein.

Grüß’ Dich Gott, mein Schatz!
Wollt’, Du wärst bei mir.
Wär’ zur Stund’ Dein Platz
Wohl bereitet hier!

Wo’s zu Berge strebt,
Wo’s zu Thale sinkt,
Wo’s sich fröhlich lebt,
Wo’s sich durstig trinkt.

In die Traube rann
Himmelslicht und Gluth,
Wieder himmelan
Trägt uns dann ihr Blut.

Im Gegensatz zu diesen leichtbeflügelten Liedern stehen die historischen Bilder, vor allen ein Nero, in Lebensgröße, in reimlosen Jamben hingemalt. Ich weiß nicht, verehrte Freundin, ob Sie diesen römischen Cäsar so interessant finden, wie unsere neuen Poeten, aber alle wollen dieses psychologische Ungeheuer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_481.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)