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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aufg’setzt.
Eine baierische Bauerngeschichte.
Von Herman von Schmid.
(Fortsetzung)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.

Das Stück nahm fortan seinen ruhigen Verlauf. Mit jedem Abschnitt, ja mit jeder Scene wuchs die Wirkung. Lautes Schluchzen begleitete das Gespräch, als die unglückliche Dulderin im Walde durch die rührende Kraft ihrer Bitten das Herz der Mörder zu erweichen suchte; ein Ruf der Bewunderung begrüßte und begleitete den Auftritt, als Genoveva später erschien, auf dem Schooß den kleinen Schmerzensreich haltend, einen lieblichen Krauskopf, den das dunkle Thierfell allerliebst kleidete, zu ihren Füßen die Hirschkuh geschmiegt, welche zu ihr empor sah, als ob sie verstünde, was um sie vorgehe. Als nun vollends Genoveva’s Unschuld entdeckt war und der betrogene Gatte die Todtgeglaubte mit dem Sohne wiederfand, als Siegfried ihren Arm faßte, um sie auf sein Schloß zurückzuführen, und als der Knappe Kaspar den Knaben auf der Hirschkuh reiten ließ und Beide hinterher führte, da war die Bewegung allgemein. Es ist nicht üblich, in solchen Komödien Beifall zu äußern; man hält es für eine Entweihung der Sache, in laute Zeichen des Gefallens auszubrechen, aber die zurückgedrängte Empfindung haftet dafür um so tiefer und begleitet die Beschauer nach Hause, um noch nach Jahren in ihnen lebendig zu sein wie am ersten Tage.

In wenigen Augenblicken hatte sich die aufgestaute Fluth auf den Platz zwischen Theater und Wirthshaus entleert und diesen wie früher gefüllt. Alles athmete auf, froh, aus dem engen Gebäude in den freien Himmelsraum, aus dem Dunkel zum Licht, aus der dumpfigen, eingeschlossenen Atmosphäre in die frische, lebendige Abendluft entronnen zu sein, die von der tief stehenden Sonne erfrischend daher strömte, wie ein letzter Gruß von dieser, ihren nahen Untergang zu verkünden.

Die Spieler waren natürlich die Letzten, welche das Gebäude verließen. Sie brauchten Zeit, ihre verschiedenen Gewänder abzulegen und in die des gewöhnlichen Lebens und Tages zu schlüpfen.

Der Oberforstrath mit seiner Familie hatte seinen Platz unter dem Nußbaum wieder aufgesucht und Gertl zu sich gerufen, als sie in dem jetzt überfüllten Garten flink und sicher zwischen Gästen und Tischen sich hinwand, in jeder Hand mehrere Krüge voll schäumenden Bieres, in der halb aufgeschlagenen Schürze eine Menge von Broden tragend, die sie nach allen Seiten vertheilte. Sie hatte allen Theaterputz ab- und die gewöhnliche, dort übliche Landestracht wieder angelegt.

Aber auch in dieser trat die Anmuth ihres Wesens unverändert hervor. Ein niedriger, weit ausgeschnittener Spenser aus hellblauem Tuch mit kurzen, wenig über die Ellenbogen reichenden Aermeln umgab den schlanken Leib, der vorn durch ein knappes, mit Silberketten umschnürtes Mieder zusammen gehalten war. An dasselbe – bis an den Hals aufsteigend – schloß sich ein fein obgenähter Goller von rother Seide, über welchem wieder ein leicht geschlungenes Halstuch aus schwarzem Flor mit einer Silberfiligranschnalle herunterfiel. Ein dunkler Rock mit weißer Schürze darüber, Beinlinge oder Wadenstrümpfe, breit ausgeschnittene Schuhe mit Bandrosen darauf vollendeten den Anzug, welchen die eigenthümliche Kopfbedeckung zu einem so anmuthigen Ganzen abrundete, daß wohl zu bedauern ist, daß die ebenso eigenthümliche wie kleidsame Tracht seit jenen Tagen vollkommen verschwunden und beinahe zur Sage geworden ist, wie die Spitze und die Steinböcke. Der Kopfputz bestand in einem kleinen runden Käppchen aus schwarzem Sammt, das fest am Kopfe anlag und unter seiner dunklen Pelzverbrämung die Haare zu beiden Seiten in reichen Windungen hervorsehen ließ.

Der alte Waldner sowie Lina verfehlten nicht, Gertl über ihr Spiel die freundlichsten Dinge zu sagen, und der Gymnasiast, so viel er auch an der Bauernkomödie auszusetzen fand, stand verlegen bei Seite und sah mit halb fragendem, halb staunendem Blick auf das ungelehrte Bauernmädchen, dem es ohne Wissen und Kennen gelungen war, auch ihn vergessen zu machen, daß es nicht die Künstler des Münchener Hoftheaters waren, die ihn zu ergreifen vermocht hatten.

In der Nähe hatte auch Gori, der gewesene Golo, sich seinen Platz gewählt, aber obwohl Gertl nicht umhin konnte, auch ihn zu bedienen, that sie es so gleichmütig, daß wohl Niemand erraten hätte, wie nahe die Beiden erst vor kurzer Zeit vor und hinter der Bühne einander gestanden hatten.

Die allgemeine Freude über das Gelingen der ersten Komödie hatte auch den Wirth so weit milder gestimmt, daß er dem Tiroler Stummerl nicht wehrte, sich ebenfalls im Garten niederzukauern, und daß er sogar der Gertl befahl, auch ihm einen Krug zu reichen, den ihr dieser, wie zuvor an der Zaunlücke liegend, ungestüm aus der Hand riß und an den Mund setzte, als gälte es den Durst von Wochen zu stillen. Sein finsteres Auge funkelte dabei über den Krug hinweg und traf Gertl so unabänderlich, daß sie, unheimlich davon berührt, zurücktrat und in sich hineinmurmelte: „Ein unguter Ding, der! Was er nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_489.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)