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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und Unterdrückung; sie wird verwirklicht werden trotz aller Schranken und Widerstrebungen.“

Um die volle Wirkung solcher Reden auf die Zeitgenossen zu würdigen, muß man sich versetzen in die Tage, da sie gehalten wurden. Aber nicht minder kühn, schneidig und klar führte Robert Blum den Kampf um die höchsten Güter der Nation in der Presse. Zunächst bediente er sich dazu der seiner Richtung verwandten Tagesblätter, vor Allem der schon genannten „Sächsischen Vaterlandsblätter“, die vornehmlich durch Blum’s Mitarbeiterschaft, unter der Redaction seines Schwagers Georg Günther, weit über Leipzig und Sachsen hinaus das Organ des nationalen Liberalismus jener Tage geworden sind. In diesem Blatte hat er unermüdlich die Forderungen, die Schwächen und Fehler der Zeit, namentlich die furchtbaren Mißgriffe und Sünden des damaligen geheimen und schriftlichen Strafverfahrens, den Fluch der Censur, die Rechte der Landtage gegenüber den Regierungen etc. zur Sprache gebracht. Man lebte damals in Sachsen in den segensreichen Tagen des Ministeriums Lindenau, und manches Wort, das freimüthig in den „Vaterlandsblättern“ niedergelegt wurde, fand in Dresden an hoher Stelle gute Statt.

Von der Wirkung, welche die den Zeitgenossen mundgerechtesten Artikel Blum’s übten, können wir uns heute kaum mehr eine Vorstellung machen. Einige derselben, wie seine Abhandlung über den Tod des Pfarrers Weidig, wurden in mehr als zehntausend Abdrücken verbreitet. Deutlich erkennbar für Jeden war der intime Zusammenhang der journalistischen Arbeit Blum’s mit dem Auftreten der liberalen Opposition im sächsischen Landtage. Die „Vaterlandsblätter“ warfen in die Massen dieselben Schlagworte der Partei, welche später im „Landhause“ zu Dresden von der Linken aus erhoben wurden. So sehen wir denn namentlich den vierten sächsischen Landtag (vom 20. November bis 24. August 1843) genau dieselben Ziele verfolgen, für welche die „Vaterlandsblätter“ plaidirt hatten. Der auf der Inquisitionsmaxime beruhende Entwurf einer Strafproceßordnung, den die Regierung dem Landtag vorlegte, wurde fast einstimmig von der zweiten Kammer abgelehnt und statt dessen im Strafverfahren Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, Geschworene als Richter gefordert; auch die Censurfreiheit für Schriften über zwanzig Bogen wurde nur als ungenügende Abschlagszahlung auf die Forderung der Preßfreiheit bezeichnet. Dem alten Regime zu Dresden stiegen die Haare zu Berge vor solcher Kühnheit, und da damals wie heute in den kleidsamen Formen der Verfassung in Sachsen doch eigentlich nur die Aristokratie Hof, Regierung und Land beherrschte, so fiel es nicht schwer, den wohlmeinenden König zu überzeugen, daß der liberale Minister Lindenau die schwere Noth der allgemeinen Unzufriedenheit in den treuen Sachsenherzen heraufbeschworen und verschuldet habe, und so erhielt der tüchtigste und freisinnigste Minister, den Sachsen je besessen, am 1. September 1843 seinen Abschied, um dem reactionären Ministerium von Könneritz Platz zu machen. Dieses ging keinen Schritt hinaus über die im Jahre 1831 gegebene Verfassung, dagegen mehr als einen über die unter Lindenau übliche milde Praxis zurück, indem es mit drakonischer Strenge die liberale Presse verfolgte und mißliebige Schriftsteller, die das Unglück hatten, nicht innerhalb der grün-weißen Grenzpfähle geboren zu sein, einfach ausweisen ließ oder, unter der Abforderung eines bündigen Versprechens für künftiges Wohlverhalten, mit sofortiger Ausweisung bedrohte. Die letztere unwürdige Zwangsmaßregel wurde z. B. gegen Blum’s treuen Mitkämpfer Friedrich Steger angewendet.[1]

Sofort wurde auch Robert Blum vom reich verdienten Zorn der Reaction betroffen. Ein zu Anfang Januar 1843 in den „Vaterlandsblättern“ erschienener Leitartikel aus seiner Feder, welcher in bester Ueberzeugung aber thatsächlich in der Hauptsache unrichtig, eine Strafuntersuchung gegen ein armes Dienstmädchen darstellte, um daran die entschiedene Forderung nach Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Strafverfahrens zu knüpfen, wurde sofort, nachdem die Reaction das Staatsruder ergriffen, noch im September 1843 zum Gegenstand einer Strafuntersuchung gegen „den Theatersecretär Robert Blum und Consorten“ gemacht. Er wurde am 22. Februar 1844 von dem Appellationsgericht Leipzig in erster Instanz zu zwei Monaten Gefängniß verurtheilt. Das königliche Oberappellationsgericht bestätigte, indem dasselbe sich unter Anderem auf die Decision neunundachtzig vom Jahre vom Jahre – 1661! und auf Leyser’s Meditationen berief, diese Strafe. In den Gründen der höchsten Instanz findet sich eine sehr bemerkenswerthe Stelle, welche besser als lange Abhandlungen beweist, welches Maß von Denkfreiheit dem beschränkten Unterthanenverstande damals zugebilligt wurde, wenn der Inhaber dieses Verstandes nicht Gefahr laufen wollte, in’s Gefängniß zu kommen. „An sich,“ heißt es da, „können Angriffe gegen das schriftliche und geheime Strafverfahren nicht nur als ein erlaubtes und keineswegs strafbares Unternehmen, sondern auch, nach Beschaffenheit der Umstände (!) und unter den erforderlichen (!) Voraussetzungen (einer gewissenhaften und unparteiischen (!) Darstellung und Erwägung der dafür (!) und dagegen streitenden Gründe, unter Beziehung auf wahre Thatsachen und von einer dazu gehörig qualificirten Person (!), selbst als ein nützliches (!) und preiswürdiges Unternehmen angesehen werden. Eine solche, Beifall verdienende Tendenz aber kann dem in Frage stehenden Aufsatze und dem Verfasser desselben nicht beigelegt werden.“

Die Volltreckung der langen Gefängnißstrafe wäre für Blum leicht zur Vernichtung seiner ganzen bürgerlichen Existenz geworden. Denn am 15. Mai 1844 war Ringelhardt’s Pachtzeit in Leipzig abgelaufen, und Dr. med. Schmidt, ein geistvoller edler Mann, der das Höchste auf der Schaubühne anstrebte, zugleich in seinem Fache durch Begründung einer noch heute bestehenden gelehrten, medicinischen Zeitschrift berühmt, hatte das Theater in Leipzig übernommen und war eben Blum’s Principal geworden, als dieser seine Strafe antreten sollte. Blum bat daher um Strafverwandlung in Geldbuße. Das Vereinigte Criminalamt befürwortete die Strafverwandlung. Das Gesammtministerium, unter Könneritz’ Vorsitz, verwandelte die Strafe zur Hälfte in eine Geldstrafe von zwanzig Thalern. Die übrigen vier Wochen mußte Blum absitzen. Er fing am 26. October damit an, kam aber erst am 8. December damit zu Ende, weil er alle Augenblicke, unter allen möglichen Vorwänden, herausgelassen zu werden verlangte. Blum schreibt aus diesem fidelen Gefängniß am 23. November 1844 an seine Schwester Margaretha Selbach: „Arbeit habe ich genug; an Unterhaltung fehlt mir’s nicht, und meine Freunde besuchen mich schaarenweise. Da kommt tagtäglich ein Theil derselben, bringt mir ein anständiges Frühstück mit Weinen aller Art, und wir essen, trinken, lachen und singen ein paar Stunden zusammen. Abends kommt meine Frau von fünf bis acht Uhr, oft die Kinder, und so geht ein Tag nach dem andern hin. Ich habe am Schillerfeste an der Tafel von etwa vierhundert Theilnehmern den Vorsitz geführt, und man hat mir zugejubelt, wie’s selten Jemand geschehen ist. Es hat Niemand nur die Wimper gezuckt oder sich ein Wort erlaubt. Und sonst waren die Wörter ‚Gefängnis‘ und besonders ‚Criminal‘ entsetzliche Dinge.“ Am 8. December wurde er „nach vorgängiger Verwarnung vor Rückfall“ aus dem Arrest entlassen.

In gleich energischer Weise, wie durch die Tagespresse, suchte Blum aber auch durch billige politische Schriften zu wirken. Von 1840 ab gab er mit Steger den „Verfassungsfreund“ heraus, ein Lieferungswerk, durch welches das Volk über wichtige Zeitfragen des Staatslebens aufgeklärt werden sollte. Als 1843 das erste Heft aus Blum’s Feder, über das Wesen der Presse, erscheinen sollte, wurde das Unternehmen durch die Censur unterdrückt. Rasch wurde derselbe Plan unter anderem Namen und in anderer noch glücklicherer Form verfolgt. Von 1843 an ließ Blum mit Steger das Taschenbuch „Vorwärts“ erscheinen, das von großem Einfluß auf die Zeitgenossen gewesen ist. Alle bedeutenderen politischen Schriftsteller und Dichter der Zeit haben dafür Beiträge geliefert, von den Politikern Joh. Jacoby, Heinrich Simon und Andere, von den Dichtern Mosen, Herwegh, Fallersleben, Freiligrath, selbst Ludwig Uhland, von dem die schönen „Gedichte des armen Gauls“ herrühren sollen. Vor das Volk trat das Taschenbuch[2] mit der vollen Siegeszuversicht und dem vollen Vertrauen in die gute Sache, die Blum stets in sich getragen. „Wir bringen unser Tagebuch im Frühling, in der Zeit der am reichsten prangenden Natur. ... Wohl behaupten manche kleinmüthige Seelen, es sei Herbst im Vaterlande

  1. Fr. Steger kehrte später nach Leipzig zurück und ist, nachdem er dreizehn Jahre die Wochenschrift „Europa“ redigirt hatte, den 30. December 1874 gestorben.
    Anmerk. d. Red.
  2. Das 1843, 1845, 1846, 1847 ausgegeben wurde. 1844 erlag es der frischen, fröhlichen Reaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_494.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2016)