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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

und der Winter nahe, weil die Stürme brausen und es finster wird am Horizont. Laßt es stürmen ... Was in schweren und drangvollen Zeiten gesäet wurde in die Herzen des Volkes, was gedüngt wurde mit dem Blute von Tausenden, was entkeimte in dem milden Thaue eines langen Friedens und an der Sonne der allmächtig fortschreitenden Bildung eines kräftigen sittlichen Volkes – das vernichtet kein Sturm; dagegen ist das finstere Unwetter einer augenblicklich mächtigen Reaction wirkungslos. – Gewährt (Ihr Herrschenden) keine von allen Forderungen der Gegenwart und müht Euch ab Tag und Nacht, das Rad der Geschichte zurück zu drehen, den Geist der Zeit zwingt Ihr nicht!

Eine so kühne und entschlossene Mannesseele gehörte dazu, um kaum ein Jahr später mit der unscheinbaren Kraft eines schlichten deutschen Bürgers den Kampf aufzunehmen, den in unseren Tagen das ganze deutsche Reich mit seiner gewaltigen Staatsmacht seit seinem Bestehen kämpft: den Kampf gegen Rom. Als im Jahre 1844 Bischof Arnoldi von Trier es wagte, ein altes Stück Tuch unter dem Namen des heiligen Rockes auszuhängen und eine große Wallfahrt dorthin zu arrangiren, um einen großen Ablaß als Gegenleistung zu bieten – da ging ein Schrei der Entrüstung durch die ganze gebildete Welt, denn die Nerven waren damals für derlei Wunderdinge noch nicht so abgestumpft wie heute nach all den Wunderblutungen, Kirschbaum- und Höhlenmadonnen-Erscheinungen etc. Und am 15. October 1844 erschien in den „Sächsischen Vaterlandsblättern“ ein „Offenes Sendschreiben an den Bischof Arnoldi von Trier“, unterzeichnet von einem unbekannten katholischen Priester Johannes Ronge, in welchem die Ausstellung des heiligen Rockes ein den Aberglauben und Fanatismus beförderndes Götzenfest genannt wurde.

Zu gleicher Zeit erfuhr man, daß schon am 22. August der Caplan Czerski zu Schneidemühl in Posen mit einem Theile seiner Gemeinde aus der katholischen Kirche ausgeschieden war. Schon am 19. October vereinigten sich die Ausgetretenen zu einer christlich-apostolisch-katholischen Gemeinde. Am 15. December folgte in Breslau unter Führung des Professor Regenbrecht, der ordentlicher Professor des canonischen Rechtes war, ein Massenaustritt und am 4. Februar 1845 daselbst die Constituirung einer deutsch-katholischen Gemeinde, die schon im März 1845 zwölfhundert Mitglieder zählte und die Ronge, der natürlich inzwischen mit allen Kirchenstrafen belegt worden war und bei dem edeln Grafen Reichenbach eine Freistätte gefunden hatte, als Seelsorger berief.

Robert Blum, in dessen Organ zuerst dem Bischofe von Trier der Krieg verkündet worden war, sorgte dafür, daß der Herd dieser gährenden Bewegung nicht auf Schlesien beschränkt bleibe. In Wort und Schrift, durch öffentliche Reden im ganzen Lande, durch Flugblätter, Broschüren und Zeitungsartikel ist er unablässig thätig gewesen, um überall eine Massenlossagung von Rom, die Bildung deutsch-katholischer Gemeinden zu erzielen. Sehr Vieles von dem, was er damals gesprochen und geschrieben, ist nicht blos interessant als eine für den Mann charakteristische Aeußerung, sondern heute, nach dreiunddreißig Jahren, noch so treffend, als sei es heute geschrieben. So wenig hat Rom, die alte Erbfeindin unseres Volkes, sich seitdem geändert. Mit köstlicher Ironie z. B. schildert ein Artikel Blum’s in den „Vaterlandsblättern“ „die Wunder des heiligen Rockes“ – nicht etwa in jenem frivol-lustigen Tone des bekannten Studentenliedes:

Freifrau von Droste-Vischering
Zum heiligen Rock wallfahrten ging,

sondern im Tone der heiligsten, den Feind niederschmetternden, siegesfreudigsten Ueberzeugung: „Das wahre Wunder, welches der heilige Rock zu Trier gewirkt, ist, daß er endlich auch die verblendetsten Geister aufgescheucht aus der Ruhe des Nichtsthuns, daß er auch dem Befangensten den Schleier gerissen vom getrübten Auge und dem schlichten Worte der Wahrheit einen jubelnden Einzug bereitet hat in Millionen Herzen. ... Wollen wir länger diese Knechtschaft tragen? Rom duldet die gegenwärtige staatliche Gestaltung nur gezwungen und hat die ganze Grundlage unseres Staatslebens nicht anerkannt, ja zum Theil ausdrücklich verdammt. ... Erheben wir einstimmig, ein Beispiel dem ganzen Vaterlande, den Ruf: Trennung von Rom! Aufhebung der Ohrenbeichte und des Cölibats! Eine deutsch-katholische Kirche! O, daß es – das größte Wunder des heiligen Rocks – bald geschehe! Amen.“

Dieses Ziel wurde in Leipzig durch die Bildung einer deutsch-katholischen Gemeinde, 12. Februar 1845 erreicht. Blum hielt die Eröffnungsrede. Anonyme Drohbriefe von ultramontanen Handlangern höher stehender Gesellen hatte er schon vorher in Fülle erhalten. Jetzt suchte man die erste Feier der jungen Gemeinde durch brutalen Skandal zu entweihen. Als Blum reden wollte, stürzte eine Rotte angestifteter erwachsener Buben auf ihn los, um ihn niederzuschlagen, und zerriß ihm Kleidung und Wäsche. Er hatte indeß den Fall vorhergesehen und für starke Polizeibedeckung gesorgt. Mit um so größerer Begeisterung hing die Gemeinde dann an den Lippen ihres Vorstandes. –

Auch die Einberufung der ersten Gesammtvertretung der neuen Glaubensgemeinden zu dem deutsch-katholischen Concil nach Leipzig (23. bis 26. März 1845), die Theilnahme der principiellen Gegner Czerski und Ronge an diesem Concil und das größte Resultat, das überhaupt die deutsch-katholische Bewegung zu verzeichnen hat, das allgemeine Glaubensbekenntniß, das hier in Leipzig festgestellt wurde – während die ersten Sitzungen die dringende Befürchtung erregten, man werde resultatlos und hadernd auseinandergehen – das Alles ist hauptsächlich Robert Blum’s Verdienst.

Die Gründe zu untersuchen, warum gleichwohl die deutsch-katholische Bewegung so rasch im Sande verlief, liegt außerhalb der Grenzen dieser Darstellung. Robert Blum hat sehr bald erkannt, daß er sich über die Kraft und Tiefe der Bewegung getäuscht. Aber über die Gründe dieser Täuschung ist er sich nie klar geworden. Noch im Jahre 1848, in seinem „Staatslexicon“, sprach er sich in dem von ihm selbst unterzeichneten Artikel „Deutsch-Katholiken“ dahin aus, daß der Fehler der Deutsch-Katholiken, den er „selbst anklagend bekenne“ mitverschuldet zu haben, darin bestanden habe, überhaupt ein Glaubensbekenntniß aufgestellt, überhaupt eine Kirche begründet zu haben. Klarer konnte Robert Blum, wenigstens für seine Person, die reine Weltlichkeit seiner Strebungen bei dieser Gründung, das Bekenntniß rein politischer Agitationszwecke, die Freiheit von jeder religiösen Begeisterung, die ihn geleitet hätte, ein Führer des Deutsch-Katholicismus zu werden, nicht aussprechen. Hatte doch er, der alle seine Kinder protestantisch taufen ließ, vor Beginn der Bewegung kaum je daran gedacht, daß er von Haus aus katholisch sei.

Aber es war charakteristisch für die trotz alledem völlig weltliche, völlig politische Zeitrichtung, daß Niemand ihm diesen inneren Widerspruch verargte, daß seine Betheiligung an der deutsch-katholischen Bewegung ihn bekannt und populär machte in ganz Deutschland und verhaßt in allen Zwingburgen Roms bis in die heiligen Säle des Vaticans. Selbst hinter seine arme alte Mutter und ihren kindlichen Glauben steckten sich die Schwarzen: daß sie den Sohn von dem breiten Pfad der großen Sünde ableite. Aber das alte treue Mutterherz fand nur folgende Worte an den Sohn: „Hier redet man viel über Dich, ich aber bethe für Dich, ist Deine sache gerecht so bitte ich gott um seinen beistand für Dich, ist es aber unrecht so möge gott Dir Deinen verstand erleuchten und Dich zurückführen ich kann nicht darüber urteilen ich kann nur wünschen und bethen.“

Das reactionäre Ministerium von Könneritz versagte den Deutsch-Katholiken jegliche duldende Anerkennung. Die neuen Gemeinden durften nicht öffentlich Gottesdienst halten. Keine Handlung ihrer Geistlichen hatte bürgerliche Wirksamkeit. Eine noch feindseligere Behandlung erfuhren die protestantischen Reformbewegungen der „Lichtfreunde“ etc. unter Uhlich, Wislicenus und Anderen. Sie durften nicht einmal Versammlungen abhalten. In auffallendem Gegensatze zu dieser Ungunst gegen jede fortschreitende Richtung im protestantischen und katholischen Lager stand die rührende Duldsamkeit des Ministeriums Könneritz-Falkenstein gegen die Propaganda der Jesuiten in Sachsen. Schon durch die Sächsische Verfassungsurkunde war die Aufnahme der Jesuiten und jedes anderen geistlichen Ordens in Sachsen verboten. Nun ertönte plötzlich in der durchaus protestantischen Bevölkerung der Schreckensruf: „Jesuiten in Sachsen!“ Auf dem Landtag von 1842 schon waren drastische Beispiele ultramontaner Proselytenmacherei zur Sprache gebracht worden. Nun erlebte man täglich neue hinzu.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_495.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2016)