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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

der Seite jener Waffen einen Platz finde, die einst seine Vorfahren geführt.

Der Beihülfe, welche die Maffia den Räubern zur Erzielung des Lösegeldes gewährt, ist es namentlich zuzuschreiben, daß die Entdeckung der Verbrecher, ja schon die Einleitung einer Untersuchung gegen dieselben zu den Ausnahmen gehört. Aber selbst wenn diese Einleitung erfolgt war, selbst wenn der Untersuchungsrichter der Maffia nicht angehörte, auch keine falschen Zeugen erschienen, vielmehr der Angeklagte durch die zwingendsten Beweise überführt und endlich vor die Geschworenen gestellt wurde, dann gaben diese trotzdem regelmäßig einen freisprechenden Wahrspruch ab, weil sie überzeugt waren, daß der Ausspruch des „Schuldig“ sie unfehlbar der Rache der Maffia überliefern werde; um ihr eigenes Leben zu sichern, sicherten sie durch ihr Verdict Leben und Freiheit des Verbrechers. Die Rache der Maffia hat sich in zahlreichen Fällen als unerbittlich und grausam im höchsten Grade erwiesen; ich brauche in dieser Beziehung nur des schrecklichen Endes zu gedenken, welches der Bund einem in der Nähe Palermos fungirenden Prätor (Richter erster Instanz) bereitet hat, weil derselbe einen besonderen Eifer in der Verfolgung des Räuberwesens gezeigt. Nachdem Bestechungs- und Einschüchterungsversuche gescheitert, ließ die Maffia eines Nachts das Wohnhaus des Prätors durch Pulverminen in die Luft sprengen.

Trotz der großartigen Beförderung, welche die Maffia dem Räuberwesen zu Theil werden ließ, würde das letztere dennoch kaum den Umfang erreicht haben, den dasselbe thatsächlich gewonnen hatte, wenn nicht die eigenthümlichen Verhältnisse der Insel selbst die Bildung und Entwickelung des Räuberwesens in hohem Grade befördert hätten. Ich übergehe die gedrückte wirthschaftliche Lage zahlreicher Bevölkerungsclassen, den Mangel an Bildung und gesetzlichem Sinn in denselben, die Tradition des Brigantenthums und jene gewisse Achtung, welche in weiten Kreisen des Volkes dem kühnen Räuber gezollt wird. Wie mächtig fördernd diese Verhältnisse gewirkt, liegt klar am Tage; die Hauptursache ist aber in dem Umstande zu suchen, daß in der Provinz Palermo und in einigen anderen Provinzen der Insel die Landbevölkerung nicht in Dörfer gesammelt, sondern in Einzelhöfe und Gutssitze verstreut lebt, daß zwischen den einzelnen Wohnsitzen der Landbewohner und denen ihrer nächsten Nachbarn oft eine stundenweite, fast regelmäßig eine mindestens halbstündige Entfernung liegt und daß in Folge dessen die Landbevölkerung einer gut bewaffneten Bande von nur wenigen energischen Personen fast schutzlos gegenübergestellt ist, während andererseits eben wegen dieser Dünnheit der Landbevölkerung den Banden einsame Schlupfwinkel zahlreich zur Verfügung stehen.

Sobald nun eine Bande in einer Gegend sich niedergelassen hatte, pflegte sie der benachbarten Landbevölkerung folgende Alternative zu stellen: Entweder Unterstützung der Bande durch Lieferung von Lebensmitteln, Munition und Nachricht über Bewegungen sowohl der Reisenden wie der Polizeimannschaften, und dafür Sicherheit von Eigenthum und Leben, oder im Weigerungsfalle Krieg bis auf’s Messer. Da der Staat die Leute nicht zu schützen vermochte, die Rache der Briganten, einmal angedroht, gewiß war, so willigte die Mehrzahl in den seitens der Räuber vorgeschlagenen Vertrag ein. Gutsbesitzer und Bauern waren die Helfershelfer der Räuber; in manchen Fällen, aber doch nur ausnahmsweise, auch Theilnehmer am Gewinn des Räubergewerbes.

So befanden sich die Banden in einer fast uneinnehmbaren Position; im Einverständnisse mit der Bevölkerung, vor jeder drohenden Gefahr rechtzeitig gewarnt, gegen Verrath gesichert, vermochten sie den Anstrengungen der Staatsgewalt zu spotten, so lange diese letztere auf dem bisher befolgten Wege verharrte und ihre Angriffe unmittelbar gegen die Räuber selbst richtete; von einem drohenden Angriffe vorher benachrichtigt zogen die Banden in geheime und entlegene Schlupfwinkel sich zurück, woselbst sie, mit Lebensmitteln versehen sich ruhig hielten bis die gegen sie ausgesandten Streifcorps abgezogen waren.

Aber diese günstige Lage machte die Verbrecher immer übermüthiger; hatten sie bisher die Städte als zu gefährlich für ihr Handwerk vermieden, so trugen sie schließlich das Verbrechen selbst in die Straßen der Hauptstadt, in welchen sie gegen die sich zur Wehr setzende Bevölkerung und die Polizeimannschaft förmliche Gefechte bestanden; die Unsicherheit wurde immer größer und immer lauter der Ruf nach wirksamem Einschreiten der Regierung. Die letztere konnte gegen diesen Ruf nicht dauernd taub bleiben; es wurde in der Person des Präfecten Malusardi ein energischer Mann mit umfassenden Vollmachten nach Palermo gesandt; der Insel fremde, frische Kräfte an Polizeimannschaften und Truppen trafen ein, und bald eröffnete man den Kampf – gegen die „manutengoli“, das heißt gegen die mit den Räubern (meist zwangsweise) verbündete Landbevölkerung. Richtig hatte man erkannt, daß die Räuber, sobald ihre Verbindung mit der Bevölkerung unterbrochen sein würde, in eine äußerst schwierige, verzweifelte Lage kommen müßten.

Der Erfolg hat den gehegten Erwartungen durchaus entsprochen; freilich nur durch Anwendung eines hochbedenklichen Gesetzes, welches durch die Schwierigkeit der Situation in Italien vielleicht entschuldigt werden mag, immer aber einen der schwersten Verstöße gegen den allgemein anerkannten Grundsatz der Gerechtigkeit enthält, nach welchem nur aus Beweise der Schuld die Verhängung der Strafe sich stützen kann. Das Gesetz über das sogenannte „domicilo coatto“ (Zwangsdomicil) ist geradezu gegen den Brigantaggio gemünzt und bestimmt im Wesentlichen das Folgende: Wenn zwei gut beleumundete Personen vor dem Prätor die Erklärung abgeben, sie seien des Glaubens, daß ein bestimmter Dritter seinen Erwerb aus der Betheiligung an verbrecherischen Unternehmungen beziehe, so kann der Prätor dem verdächtigen Individuum eine Verwarnung („ammonizione“) ertheilen, und wenn der Verwarnte in kurzer Zeit sich nicht „bessert“, das heißt eine rechtliche Erwerbsquelle nicht nachweist, so wird er vom Prätor verurteilt, seinen Wohnsitz an einem bestimmten anderen Orte, in der Regel auf einer der kleinen Mittelmeerinseln, zu nehmen; diese Verurtheilung kann für viele Jahre lauten und wird mindestens auf die Dauer von zwei Jahren ausgesprochen. Die grundsätzlichen Bedenken, welche diesen Bestimmungen entgegenstehen, liegen auf der Hand; was die Ausführung betrifft, so brauche ich nur darauf hinzuweisen, daß das Gesetz der Befriedigung persönlichen Grolles und des politischen Parteihasses Thor und Thür öffnet. Aber das muß zugegeben werden: die Anwendung des Gesetzes gegen das Räuberwesen zeigte sich sofort wirksam. Die Staatsgewalt schritt nach Maßgabe des Gesetzes in einzelnen Gemeinden ein; nach kurzer Frist konnte schon die Verurteilung einer nicht unbedeutenden Zahl sogenannter „manutengoli“ erfolgen. Die Bevölkerung mußte nun einsehen, daß die Fortsetzung der Unterstützung der Banden ihr ein schweres Uebel, die Abführung in das Exil, mit Sicherheit in Aussicht stelle; da auf der andern Seite die Staatsgewalt eine ansehnliche Macht an Soldaten und Gensd’armen entfaltete und wirksamen Schutz gegen die etwaigen Racheversuche der Räuber verhieß, so entschloß man sich, der Behörde über Stärke und Schlupfwinkel der Banden Auskunft zu geben; in Folge dessen gelang es zu wiederholten Malen, die Räuber zu überraschen; es fanden zwischen diesen und der bewaffneten Macht blutige Kämpfe statt, in welchen die Räuber jedes Mal eine mehr oder minder beträchtliche Anzahl von Kämpfern durch den Tod verloren; das heute unterbrochene Gefecht wurde mit dem gleichen Resultate am folgenden Tage wieder aufgenommen; die Stärke der Banden ward auf diese Weise wesentlich geschwächt; die Furcht der Bevölkerung vor ihrer Rache minderte und die Anzeigen gegen verdächtige Personen und Orte vermehrten sich. Gefangene wurden in diese Kämpfen fast niemals gemacht, weil die bewaffnete Macht die entschiedene Weisung erhalten hatte, nur sicher treffende Schüsse abzugeben und der Bande schließlich lieber den Rückzug zu gestatten, als den Rest derselben gefangen zu nehmen. Dieser Befehl war ertheilt worden, weil man, wie oben gezeigt nicht ohne Grund, eine Freisprechung der Gefangenen durch die Geschworenen befürchtete, während bezüglich der Entkommenen immer Aussicht und Hoffnung auf Tödtung in einem folgenden Gefechte vorhanden war.

Nun sollte sich aber die Richtigkeit des Vorgehens zuerst gegen die „manutengoli“ in schlagender Weise zeigen. Die Theilnehmer der verfolgten Banden fingen an, sich selbst der Behörde auszuliefern. Der Verfolgung und den Kugeln der bewaffneten Macht hätten sie getrotzt, aber sie unterlagen dem Hunger. Seitdem die Furcht vor ihnen durch die Furcht vor dem Zwangsdomicil überwunden war, hörte die Bevölkerung auf, ihnen Lebensmittel zu liefern; ob auch im Besitze von Geldmitteln, waren sie in ihren einsamen Schlupfwinkeln doch den äußersten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_498.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)