Seite:Die Gartenlaube (1878) 551.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Ebene eines Communismus begeben, der uns unter der Maske des Christenthums auf’s Widerlichste angrinzt. Dieser Ausblick in die Zukunft ist wahrhaftig nicht erfreulich. Aber der Schleier muß gelüftet werden; die Zeit ist zu ernst und gefahrvoll, als daß wir uns in optimistischen Illusionen wiegen dürften. Aus erhabenem Munde ist in Folge eines ruchlosen Verbrechens, das uns in einen Abgrund sittlicher Verwilderung blicken läßt, das Wort gesprochen worden: ‚Die Religion muß uns helfen.‘ Wer möchte nicht aus vollstem Herzen in dieses Wort einstimmen? Die Religion wird uns aber nur dann helfen, wenn sie sich nicht auf die Irrwege der Hierarchie und des Satzungswesens verirrt, wenn sie auf ihrem eigenen Gebiete verbleibt und mit den ihr eigenen geistigen Kräften, insbesondere im Glauben und mit der Liebe arbeitet, wenn sie weder den Staat beherrschen, noch die Gewissen bevormunden will. Leider scheinen die Diener der Religion in der Mehrzahl jetzt anderer Meinung zu sein. Und so muß es sich denn zeigen, was das deutsche Volk in seinen berufensten und urtheilsfähigsten Vertretern zu der gegenwärtigen so bedeutungsvollen kirchlichen und gesellschaftlichen Krisis sagt.“

Der angeführte Ausspruch gegen eine für unsere Zeit wahrhaft unbegreifliche Wüstheit und Verwilderung religiösen Denkens findet sich am Schlusse eines ausgezeichneten Aufsatzes, den Schenkel im diesjährigen Julihefte der von Richard Fleischer herausgegebenen „Deutschen Revue über das gesammte nationale Leben der Gegenwart“ veröffentlicht hat. Wir können dieser Zeitschrift um solcher und ähnlicher Gaben willen nur weiter das ersprießlichste Gedeihen wünschen. Auch in ihrem neuen Verlage (Otto Janke in Berlin) hat sich die „Deutsche Revue“ den bisherigen Charakter belehrender Gediegenheit und den glänzenden Kreis regelmäßig mitarbeitender Autoritäten für alle Fächer bewahrt, während die Anordnung des Ganzen im Interesse des Geschmackes und der Uebersichtlichkeit wesentliche Verbesserungen zeigt. Namentlich Aufsätze wie der Schenkel’sche – wir heben nur diesen aus einer ganzen Reihe von interessanten Gaben hervor – sollten eine weite Verbreitung in einem Momente finden, wo neben der Fanatisirung und Verthierung der Massen durch den frivolsten Materialismus auch der roheste hierarchische Hochmuth seine Fahne so keck entfaltet, daß vor einiger Zeit in der That ein mecklenburgischer Pastoralverein zur Heilung aller gesellschaftlichen Schäden als höchstes zu erstrebendes Ziel an die deutschen Regierungen die Mahnung zu richten wagte: „Der Ketzerbegriff muß wieder hergestellt werden.“


Das Bratwurstglöckle in Nürnberg. (Mit Abbildung Seite 549.) Zu den persönlichen Eigenthümlichkeiten des echten Nürnbergers gehört auch seine Vorliebe für kleine, engbegrenzte Wirthshausräume. Je niedriger und abgeschlossener dieselben sind, um so traulicher heimeln sie ihn an; eine große lustige Bierhalle nach Wiener, Berliner oder Hamburger Art würde in Nürnberg nur durch den Fremdenbesuch lebensfähig sein, obschon der einheimische Bierconsum den anderer gleich bevölkerter Städte wohl noch übersteigt. So sehen wir denn in allen Stadttheilen besonders beliebte kleine Stammkneipen, und immerhin bieten dieselben auch für den Fremden viel Anheimelndes, vorausgesetzt, daß er dem Tabakrauch nicht allzu abhold ist. Neben der ausgedehnteren, wenn auch niedrigen und winkligen „Wolfsschlucht“ erwähnen wir nur das „Hopfenstöckle“, ein Local, welches in seinen engen Räumen neben den Gelehrten des Germanischen Museums fast Alles versammelt, was mit den künstlerischen und kunstwissenschaftlichen Interessen Nürnbergs zusammenhängt. Doch besser als „Wolfsschlucht“, „Hopfenstöckle“, „Weichselbäumchen“, „Baumwolle“, „Bernleinhuber“, „Himmelsleiter“ etc. ist auswärts das „Bratwurstglöckle“ gekannt; es hat sich den Rang einer Nürnberger Sehenswürdigkeit und damit das Recht erworben, ein Plätzchen in der „Gartenlaube“ einzunehmen.

Auf der Sebalder Seite der Stadt findet der Wanderer in der Nähe der Sebaldus-Kirche die alte Moritz-Capelle und an die Hinterwand derselben als Anbau gelehnt ein langes, schmales Häuschen, und das ist das Wurstglöckle. Es gewährt schon von außen einen höchst romantischen alterthümlichen Anblick. Die nächste Umgebung des Platzes selbst, gebildet durch die Sebaldus-Kirche, die Moritz-Capelle, den prachtvollen Erker des Pfarrhofes und den Dürer-Platz mit dem Dürer-Denkmal, giebt einen überraschenden Rahmen ab für das kleine, trauliche Bild dieses Anbaues mit seinen „Butzenscheiben“ (runde in der Mitte mit Buckel versehene und in Blei gefaßte Scheiben), seinen grünen Fensterladen und seinem Wahrzeichen: dem blauen Glöckle mit der Jahreszahl 1440.

Gegen die Richtigkeit dieser Jahrzahl als Angabe der Gründungszeit des originellen Wirthshäuschens erheben die gelehrten Forscher Nürnbergischer Geschichte allerdings Einspruch. Urkunden sprechen nirgends für ein so ehrwürdiges Alter desselben, und wie gern man sich auch Albrecht Dürer und seine großen Zeitgenossen hier als Stammgäste denken möchte, so gehen die beglaubigten Nachrichten über das Bestehen des Wurstglöckchens doch nicht über die zweite Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts zurück. Erst Delsenbach stellt es uns gegen 1700 in seinem großen Kupferstichwerke über Nürnberg dar. Daß es aber zu dieser Zeit in der That schon als „Bratwurstglöckle“ existirt, beweist uns sein ausgehängtes Wirthszeichen, welches neben der Glocke einen Kochlöffel als Wahrzeichen culinarischer Genüsse führt. Zur nähern Bezeichnung dieser Genüsse (Metzelsuppe und Bratwürste) sehen wir auf dem Bilde den Wirth ein fettes Schwein seinem Hause zutreiben. –

Das Häuschen macht schon von außen durch seine Sauberkeit in Bauart und Anstrich einen höchst einladenden Eindruck auf den Besucher, und ebenso werden wir beim Eintritt in das einzige Gemach des Hauses durch die echt alterthümliche Einrichtung desselben unwillkürlich gefesselt. Rings von den Gesimsen blinken in peinlichster Sauberkeit zinnerne Schüsseln und Kannen. Alte Bilder – zumeist auf Nürnbergs Vorzeit sich beziehend – schmücken in seltenen Exemplaren die Wände. Den großen Kachelofen umgiebt die trauliche Bank, in Wintertagen ein gern gesuchter Platz. Die große Tafel über dem Fenster, hinter dessen weißen Gardinen das hübsche Gesicht der Wirthin den neu eingetretenen Gast mustert, erzählt uns des Ausführlichen von Adam Krafft, Albrecht Dürer, Veit Stoß, Hans Sachs und wie all die berühmten Nürnberger heißen mögen, welche seit Jahrhunderten das Bratwurstglöckle als Stammgäste besucht haben sollen. Draußen in der engen Küche prasseln delicate Würste auf dem Rost, brodelt das Kraut in mächtigen Töpfen, in dem kühlen Gelaß der entgegengesetzten Seite aber sprudelt die erfrischende Bierquelle. Alles ladet zum traulichen Niedersitzen auf den alterthümlichen Sesseln, an den sauber gescheuerten Tisch ein.

Gar oft ist, besonders in den Stunden des Frühschoppens, das kleine Gemach überfüllt. Der Stammgast und der wißbegierige Fremdling nehmen theils stehend, theils sitzend, wie die Gelegenheit es bietet, ihr Frühstück ein, das hier ausschließlich aus Bratwurst, Sauerkraut und Bier besteht. Zur Reisezeit wechselt in dem engen Raum eine Gesellschaft, die man sich nicht bunt genug vorstellen kann. Mehr als die Güte des von Küche und Keller Gebotenen hat der Ruf der kleinen Kneipe dieselbe zu einer Goldquelle gemacht; die ganze Baulichkeit ist nur wenige hundert Gulden werth, aber ihr Preis ist schon auf vierundzwanzigtausend Gulden geschätzt worden. Auch das gehört zur Curiosität dieser lustigen Sehenswürdigkeit der alten lieben Frankenstadt.

K. U.


In den „Drei Mohren“ zu Lermoos.

 „Ist’s Land der Schweizer? ist’s Tirol?
 Dies Land und Volk gefiel mir wohl!“

Die heil’gen drei König aus Mohrenlanden
Den Weg nach Bethlehem leichtlich fanden,
Folgten andächtig dem güldenen Stern,
Trafen in seiner Krippe den Herrn,
Beteten an, und opferten willig,
Gewannen die Seligkeit, wie billig,
Nahmen auch mit sich des Segens g’nug:
Also lehrt es der Bücher Buch.
Aber bisher hat Niemand vernommen,
Ob sie nach Hause sind wied’rum gekommen;
Darum, ihr Leute, merket wohl:
Da sie erreichet das Land Tirol
Nach tagelangem beschwerlichen Wandern,
Sagte der Eine zu den zwei Andern:
„Seht, wie lieblich dies Land zu schauen;
Hier laßt uns rasten und Hütten bauen!“
Drauf entgegnet – ich weiß nicht welcher —
Kaspar, Balthasar oder Melcher:
„Amen, College, Dein Rath ist klüglich.“
Und auch der Dritte schmunzelt vergnüglich,
Und sie siedelten an sich gleich
Im benedeieten Oesterreich;
Nahmen Weiber, gewannen Kinder,
Buben und dralle Mägdlein nicht minder,
Welches dann all’ sind Tiroler worden:
(Dürft euch drum wundern nicht so sehr,
Daß es dort giebt der „Schwarzen“ mehr
Als sonst in Deutschland in Süden und Norden:
’s stammt noch so von den Vätern her)
– Und daß sie das Thal just von Lermoos erkoren,
Weis’t klar das Wirthshaus zu den „Drei Mohren“.
Der Du dies Obdach gewählt Dir hast,
Spürst Gottes Segen, willkommner Gast;
Sicher und weich wie in Abraham’s Schooß
Bettest Dein Haupt Du hier zu Lermoos;
Wärmer dringt hier in’s Herz hinein,
Voller und freud’ger der Sonnenschein,
Und nebelt’s draußen: hierorts, Gesell,
Bleibt Dir’s in Busen und Kopf doch hell.
Also den Segen mit off’ner Hand
Spenden „Drei Kön’ge aus Mohrenland“. –

Wer aber hat uns dies Märlein erlesen?
’s sind die Terlaner Wein-Geister gewesen –
Und weil im Weine stets Wahrheit ist,
Könnt dreist Ihr’s glauben, Jud’, Heide und Christ.

Richard Schmidt-Cabanis.


Der Verein deutscher Lehrerinnen in England. Dieser Verein hat seit der kurzen Zeit seines Bestehens – er wurde vor zwei Jahren gegründet – einen solchen Aufschwung genommen, daß es wohl an der Zeit sein dürfte, auf seine Wirksamkeit und seine Ziele aufmerksam zu machen. Jeder weiß, daß alljährlich viele deutsche Lehrerinnen nach England wandern, um hier ihre Kenntnisse höher als im Vaterlande zu verwerthen. Die Meisten kommen ohne eine klare Vorstellung der Verhältnisse, in die sie sich begeben, und der Anforderungen, die an sie gestellt werden. Viele kommen ohne die nöthigen Kenntnisse; Alle glauben, es genüge, in London zu sein, um gleich eine passende Stelle mit entsprechend hohem Gehalte zu finden. Die Zeitungen sind ja voller Anzeigen voll Stellungen, welche zu besetzen sind – durch Agentinnen, und Wohnung findet man vorläufig in einem der vielen „Homes“ für Lehrerinnen. Daß die Agentin fünf oder gar sieben Procent des ersten Jahrgehaltes beansprucht, außer den bei der Anmeldung sofort zu entrichtenden Einschreibegebühren, daß sie für jede zu besetzende Stelle wenigstens

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_551.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)