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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Aufg’setzt.
Eine baierische Bauerngeschichte.
Von Herman von Schmid.
(Schluß.)
Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Inzwischen war Gertl von der Mutter und ihrem räthselhaften Retter nach Hause gebracht worden und lag noch immer besinnungslos auf dem Bette. Die Mutter hatte ihr ein in Wasser getauchtes Tuch über die Stirn gelegt und ging ab und zu. Die Frau gehörte noch zu jenem alten Geschlechte mit den durch Arbeit gestählten Nerven, welche wohl einer augenblicklichen Erschütterung nachgeben können, dann aber emporschnellen wie niedergedrückte Federn, um körperlich und geistig wie neugeboren zu erscheinen. Gertl war vollkommen unverletzt, nur der Schrecken und der Qualm hatten sie in einen Zustand schwerer Betäubung versetzt.

Eben hatte die Mutter die Stube verlassen, um den frischen Umschlag am Brunnen anzufeuchten. Der Retter saß neben Gertl am Bett; die Mutter ließ ihn gewähren; wenn auch der Mann wie sein Benehmen ihr wunderlich vorkamen, wollte sie doch nicht mit Fragen in ihn dringen – ihrem einfachen Gemüth wäre es wie eine Verletzung des Dankes erschienen, den sie dem Retter ihres einzigen Kindes schuldig war.

Es war stille in der Stube; man hörte nur den Gang der Schwarzwälder Uhr, als wollte sie die gleichmäßigen Schläge der Pulse andeuten, die im Herzen des Mädchens sich wieder zu regen begannen. Mit einem tiefen Seufzer richtete sie sich empor und blickte, auf den Arm gestützt, wie um sich zu besinnen, in der Stube umher. Es war Alles wie sonst, nur daß neben ihrem Bette eine fremde Männergestalt saß – daß mitten in der Stube auf dem Boden ein eigenthümlicher Gegenstand lag, der aussah fast wie ein vom Spinnrad gerissener Rocken, und daß der Mann neben ihr mit den braunen dichten Haaren und den funkelnden Augen sie so bekannt ansah.

„Was ist denn mit mir?“ sagte sie, die Haare aus der Stirn streichend. „Wo bin ich denn eigentlich?“

„Wo wirst sein?“ fragte der Mann. „Daheim bist; brauchst Dich nicht zu ängsten.“

Gertl kehrte allmählich zum Bewußtsein des Vorgefallenen zurück – in der Nachwirkung des Schreckens schrie sie auf und drückte die Hand vor die Augen, als wollte sie den Anblick des Feuers von sich abwehren.

„Ist’s denn möglich?“ rief sie. „Bin ich nicht verbrannt? Wie bin ich denn herausgekommen aus dem brennenden Stadel?“

„Nun,“ entgegnete der Nachbar, „es ist halt gerade glücklicher Weise Einer den Weg daher gekommen und hat Dich noch zur rechten Zeit herausgetragen.“

„Und wer ist das gewesen?“ fragte sie, allmählich immer klarer werdend. „Ich hab’ schon nichts mehr von mir gewußt und hab’ mich schon verloren gegeben.“

„Das wärst Du auch gewesen,“ sagte die Mutter, die mit dem Tuche zurückkam, und es ihr um die Stirne band, „wenn der Tiroler Stummerl Dich nicht gerade noch herausgetragen hätt’, eh’ das Dach eingestürzt ist. Da siehst Du einmal wieder, wie recht ich gehabt hab’ – Dein Eigensinn, im Stadel im Heu zu schlafen, hätt’ Dich bald das Leben gekostet.“

„Ja, ja,“ sagte Gertl, „jetzt fällt mir Alles wieder ein. Ich bin schon am Ersticken gewesen; die Thür war zu; Jemand muß sie von außen vermacht haben. Niemand anders als der Gori hat’s gethan.“

Wie vom Schauder geschüttelt sank sie auf das Kissen zurück, raffte sich aber ebenso rasch wieder empor.

„Aber wer hat mich denn herausgetragen?“ rief sie. „Hast Du nicht gesagt, der Tiroler Stummerl hätt’s gethan? Wo ist er denn, und wer ist das Mannsbild, das da neben mir sitzt, als wenn es hierher gehörte?“

„Das ist er ja,“ sagte lachend die Mutter. „Es ist kein Anderer, als der neben Dir sitzt. Du kennst ihn halt nicht mehr.“

Erstaunt richtete sie sich noch höher auf, indem sie den am Bett Sitzenden mit weit geöffneten Augen maß und abwechselnd das am Boden liegende Falschhaar betrachtete. „Der?“ stammelte sie, und während sie den Mann betrachtete, schlug eine Gluth in ihr empor, als wäre sie nicht aus dem Feuer gerettet, sondern läge noch mitten in demselben, ringsum von Flammen umzüngelt. Wenn der Stummerl sie aus dem Feuer gerettet, so schoß es ihr blitzartig durch den Sinn, wenn der Mann mit dem braunen Kraushaar und mit dem freundlichen offenen Gesicht der Tiroler Stummerl war, dem sie gestern in der Capelle begegnet, dann bekam ja das Orakel plötzlich eine ganz andere Bedeutung, dann war es doch nicht unmöglich, daß – „Aber wer bist Du denn eigentlich?“ fragte sie wie verloren. „Wenn Du der Tiroler Stummerl sein willst, bist Du dann nicht ein alter Mann, ein Krüppel und ein Täpp?“

„Glücklicher Weise bin ich das Alles nicht,“ antwortete der Mann. „Es ist Alles nur Verkleidung und Verstellung gewesen. – Mußt mich halt nicht verrathen, Madel; es braucht Niemand zu wissen, was hinter dem Stummerl steckt.“

„Wie kannst Du denken, daß ich Dich verrathen werd’?“ sagte Gertl, indem sie den Mann verwundert anblickte und vor

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_553.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)