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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


den obern Burghof hinauf und brenn’ den ersten Böller los! Sie müssen’s wissen, daß wir sie schon kommen hören, und das ganze Innthal mit; – solch eine Hochzeit hats in hundert Jahren nicht gegeben.“

„Das muß wahr sein,“ sagte der Grenzer, „und ich begreif’ immer noch nicht, wie sich Alles so leicht und so geschwind geschickt hat. Der Franzl ist doch processirt und auf ein paar Jahr verurtheilt worden und nach einem halben Jahr war er schon wieder frei.“

„Das ist leicht zu begreifen,“ erwiderte der Wirth. „Es ist halt leichter bei ihm genommen worden, weil er sich gutwillig gegeben und nicht widersetzt hat und weil er den Förster selbiges Mal, wie er ihn in der Hand gehabt hat und hätt’ erschießen können, wegen seinem Weib und seinen Kindern verschont hat. Der König, heißt’s, hat die ganze Geschicht’ erfahren und hat ihm die übrige Strafe geschenkt.“

Näher und näher tönte die Musik, und bald schwenkte die Spitze des Zugs beim Seitenthörlein über den die Brücke bildenden Bogenrest herein, ein paar Bauernbuben mit weißblauen und schwarzrothgoldenen Fähnlein voran, hinter ihnen die Musikanten von Flintsbach und der Umgegend, denn der Maler-Anderl hatte es durchgesetzt, daß seine Genoveva an ihrem Ehrentage von der ganzen Komödiantenbande, deren Zierde sie gewesen, nach Gebühr gefeiert werde. Am nächsten Sonntag sollte das Stück wieder gegeben werden und die junge Frau die Genoveva spielen. Dem Unermüdlichen war es auch gelungen, einen andern rothköpfigen Burschen für die Rolle des Golo zu gewinnen.

Nach der Musik kamen die Kranzlerinnen der Braut und die Mantelträger des Bräutigams, unter einander wetteifernd an Stattlichkeit der Erscheinung; hinter ihnen folgte Gertl, gesenkten Blickes, mit hochgerötheten Wangen und feuchten Augen; die Freudenthränen wollten ebenso wenig schwinden, wie die innere Gluth, die wieder und wieder ihr Antlitz überflog. Am Halse trug sie das Sammetbändchen mit den Henkelducaten.

Neben ihr schritt ihre Mutter, zur andern Seite, wenn es auch nicht genau dem Gebrauch entsprach, der alte Maler-Anderl. Ihnen folgte in der kleidsamen Landestracht Franzl, der Bräutigam; der Oberforstrath und der Förster waren seine Beistände. Linkow und Lina, die Glücklichen, schlossen sich den Glücklichen an, umgeben und umdrängt von einer zahllosen Menge von Landleuten, die das Brautpaar sehen wollten, das durch eine so seltsame Verkettung von Umständen zusammengeführt worden war.

Schon wollte der Zug an der seitwärts paradirenden Musik vorüber sich an den Tischen vertheilen, als eine überraschende Erscheinung ihn aufhielt. Unter dem alten schief gewachsenen Nußbaume, auf einem Mauerbrocken, saß ein Männlein in dunkler Mönchskutte, mit kahlem Haupte und silberweißem Barte, das den Paaren entgegentrat. Es war Karl, der Gymnasiast, der, dem Zuge unbemerkt voraus eilend, das Gewand, das er sich aus der Theatergarderobe von Flintsbach zu verschaffen gewußt, überwarf und so den Versammelten mit begeisterter Anrede einen mächtigen Humpen zu Gruß und Willkommen darbrachte. Er sei der Burggeist vom Falkenstein, sagte er; der Ton der Freude habe ihn aus seiner Gruft geweckt; wenn auch die Burg gefallen und die Kleidung eine andere geworden, er finde sich in die alten Zeiten versetzt, als noch die muthigen Harnischträger im weitblickenden Rittersaale ihre Gelage feierten: in den Ruinen des Einst, der eigenen Vergänglichkeit gedenk, sollten sie der Gegenwart sich freuen.

Jubelnd wurde die sinnige Ueberraschung angenommen; Böller krachten; Musik und Zuruf erschollen darein. Gertl bot dem Jüngling die Rechte, die er rasch ergriff und herzlich drückte; er hatte einsehen gelernt, daß es nicht immer auf gelehrtes Wissen ankomme und daß ein echtes Menschenherz unter’m Bauernkittel so viel werth sei, wie eines unter seidener Weste.

Bald begann das Mahl und fröhliches Geplauder, heiteres Lachen, munterer Scherz machten um dasselbe die Runde. Man hatte bereits das alte und das neue Paar, den Propst vom Petersberg und den Burggeist leben lassen, als der Oberforstrath sich erhob; an seinem Glase anklingend, sagte er:

„Ich habe Ihnen eine Mittheilung zu machen, Herr Förster. Sie haben um Versetzung in den Ruhestand nachgesucht, Seine Majestät der König wollen aber einen so braven Forstmann noch nicht entbehren und haben deshalb zu verfügen geruht, daß Sie im Dienste bleiben, daß Ihnen aber ein tüchtiger Gehülfe beigegeben werden soll, der Sie unterstütze und das Revier so genau kennt, wie Sie. Ihr neuer Gehülfe ist unser Bräutigam. Seine Majestät haben von seinem eigenthümlichen Lebenslauf vernommen und wollen ihm Gelegenheit geben, Vergangenes gut zu machen und auf redliche Weise seine Geschicklichkeit als Jäger zu erproben.“

Er vermochte kaum zu Ende zu sprechen, denn die ganze Versammlung brach in lauten Jubel aus.

„Da hat der König freilich Recht,“ sagte der Förster lachend. „Der kennt das Revier so gut, wie ich – der Schlankel. – Ja, Herr Oberforstrath, ich nehm’ die königliche Gnad’ an; ich will im Dienste bleiben, so lang’ mich meine alten Füß’ tragen – ich nehm’ den Gehülfen an. Ich hab’s ihm nicht vergessen, daß er mich selbiges Mal verschont hat – er ist ein guter Kerl, und ich denk’, wir werden uns schon vergehen mit einander.“ Er trat zu Franzl und bot ihm die Hand, die dieser wohl ergriff, zugleich aber ihm um den Hals fallend und einen schallenden Kuß auf den Schnauzbart drückend.

„Gute Freundschaft, Forstner,“ sagte er bewegt, „laß mich halt fortkommen – ich hab’ ja so keinen Vater mehr.“

Gertl, zu der Lina, der alten Freundschaft eingedenk, glückwünschend getreten war, schwamm wie mit geschlossenen Augen in einem Meere von Seligkeit: sie vermochte vor Rührung kaum zu antworten. Desto redseliger war die Mutter, die mit dem erst so gefürchteten Schwiegersohne sich längst ausgesöhnt und ihn fast so lieb gewonnen hatte, wie die Tochter. Die Erhebung zum Forstgehülfen setzte alle dem vollends erst die Krone auf. „Das ist ein Glück,“ rief sie ein über das andere Mal, „das hätt’ ich mir im Traum nit einfallen lassen. So hab’ ich’s doch noch erlebt, Gertl, daß ich auf Deiner Hochzeit tanzen kann – und muß sagen, zuletzt hast Du doch Recht behalten und hast den richtigen Hochzeiter erpaßt. Und wie ihm erst die Jägeruniform schön anstehen muß! – Der erste Tanz freilich, der gehört Dir – aber den zweiten laß’ ich mir nit nehmen.“

Ihr Wunsch sollte bald erfüllt werden: bald reihten sich die Paare und flogen auf dem kurz gemähten Rasen des Burghofes so leicht dahin, wie auf dem feinstgetäfelten Boden.

Freudiges Gespräch, laute Musik, schlichter Volksgesang wechselten damit ab; auch der alte Anderl hatte seine Cither kommen lassen, und als die Reihe der Trutzgesangeln und Schnaderhüpfeln an ihn kam, da schlug er frisch die Saiten an, stampfte mit den alten Beinen, als wären sie wieder jung geworden, und sang:

„Hab’s alleweil g’sagt,
Sag’s noch zu guter Letzt:
Schön freudi – schön schneidi,
So ist’s mir aufg’setzt!“



Ein Wort an die deutschen Arbeitgeber.
Von einem ihrer Genossen.

Gewiß ist es recht traurig, und sicher spricht es nicht für unsere auf ihre Erleuchtung so stolze Generation, daß wir trotz aller mahnenden und warnenden Stimmen so lange verständnißlos und gleichgültig einer revolutionären Unterwühlung gegenüberstanden, die unsere ganze Cultur mehr und mehr bedroht; daß wir die Gefahr erst gewahr wurden, als eine jener furchtbaren Thaten geschehen war, welche doch nur natürliche Consequenzen einer solchen Bewegung sind. Weit trauriger aber wäre es noch, wenn wir nun, nachdem wir endlich zum Bewußtsein der Sachlage gekommen sind, nicht Alles thun würden, um das früher Versäumte, so weit dies möglich ist, nachzuholen. Unsere bisherige Versäumniß war Schwäche; erfüllen wir jetzt unsere Aufgabe nicht voll und ganz, so würde das noch viel mehr sein als Schwäche; es würde ein Verbrechen sein.

Diese Aufgabe aber ist eine doppelte: einmal muß die socialistische Agitation erstickt werden, dann aber – und das ist bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_556.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)