Seite:Die Gartenlaube (1878) 558.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Daß man zunächst an die gewaltsame Abwehr denkt und vor Allem nach Mitteln sucht, die socialdemokratischen Agitationen zu beschränken, ist nicht zu verwundern und schadet auch einstweilen nichts, denn ein Gegendruck dürfte sich als nöthig herausstellen, um die Bahn frei zu machen für die auf dauernde Wirkung berechnete vorbeugende Thätigkeit. Stets muß man sich aber in diesem Kampfe bewußt bleiben, daß mit seiner siegreichen Durchführung die gestellte Aufgabe nicht gelöst ist, sondern daß damit nur die befriedigende Lösung vorbereitet wird. Die gewaltsame Erstickung kann nicht auf die Dauer wirken. Reiheten sich nicht andere Maßregeln daran, so würde die jetzt öffentlich betriebene Agitation im Geheimen um so energischer fortgesetzt und zwar unzweifelhaft mit Erfolg, da in den Massen nun erst recht das Gefühl erstarken würde, daß das Bürgerthum und der dasselbe schützende Staat nicht Gegner der Socialdemokratie allein, sondern, wie letztere es darstellt, Feinde der arbeitenden Classe überhaupt sind. Der Classenhaß würde also nicht beseitigt, sondern unter Umständen noch verschärft werden. Wollten wir dies geschehen lassen, es wäre, wie gesagt, ein Verbrechen, ein Verbrechen vom nationalen Standpunkte, der uns mehr noch als andere Völker darauf hinweist, Einigkeit im Innern zu suchen, damit wir stark bleiben gegen äußere Feinde, ein Verbrechen aber auch vom Standpunkte der wirthschaftlichen Interessen, welche nur gedeihen können bei friedlichem Handinhandgehen von Arbeitern und Arbeitgebern. Ausnahmegesetze, Bedrohung socialistischer Arbeiter mit Entlassung von Seiten der Arbeitgeber und ähnliche Maßregeln dürfen, sofern man sie für angemessen hält, nur den Zweck verfolgen, die Organisation der Hetzerei zu zersprengen, die willenlosen und verschüchterten Massen, auf welchen der Bann der Agitatoren lastet, deren Urtheil getrübt ist durch die Einwirkung der Vereine, ganz besonders aber der Presse der Socialisten, sich selbst wiederzugeben, sie zugänglich zu machen der Stimme der Vernunft. Nicht als Mittel zur Bekämpfung der großen Zahl der von den Socialdemokraten verführten Arbeiter sind jene Maßregeln aufzufassen, sondern umgekehrt als Mittel, sie davor zu schützen, daß sie in eine Bewegung gerissen werden, welche sie unglücklich macht und schließlich mit dem Ruin der Gesammtheit auch ihren eigenen herbeiführen müßte.

Von diesem Gesichtspunkte aus haben wir den unvermeidlichen Kampf zu führen und die weiteren Schritte zur dauernden Sicherung des erworbenen Friedens zu thun. Einen dauernden Frieden aber können wir nur dann erwarten, wenn wir diejenigen Classen der Gesellschaft, welche durch die Socialdemokratie dahin gebracht wurden, daß sie das Bürgerthum als ihnen naturgemäß feindlich betrachten, überzeugen, daß sie irre geführt wurden, daß ihre Interessen und diejenigen der ihnen als ausgemachte Gegner dargestellten Arbeitgeber meist zusammenfallen und daß wir dort, wo dies nicht der Fall ist, wenigstens ernstlich bemüht sind, einen beiden Theilen möglichst gerecht werdenden Mittelweg einzuschlagen. Mit anderen Worten, wir müssen sie davon überzeugen, daß wir Arbeitgeber bei der Verfolgung unserer Interessen nicht rücksichtslos gegen das Wohl unserer Arbeiter vorgehen, sondern diesem überall nach Möglichkeit Rechnung tragen.

Es wird sich bei Lösung dieser Aufgaben hauptsächlich um zweierlei handeln. Einmal wird es nöthig sein, die Arbeiter über die Natur der wirthschaftlichen Verhältnisse aufzuklären und sie zu überzeugen, daß die ihnen von den Socialisten gepredigten Grundsätze undurchführbar sind, ja daß schon der Versuch, sie zu realisiren, den größten Schaden für sie nicht weniger als für die Arbeitgeber haben würde. Ferner wird es nöthig sein, gleichzeitig mit dieser Erkenntniß das stark erschütterte Gefühl der Pflicht in den Arbeitern zu wecken. Sodann aber gilt es, nicht nur durch Worte, sondern durch Thaten für die Verbesserung ihrer wirthschaftlichen und socialen Lage nach Kräften zu wirken. Wir werden bei letzterer Thätigkeit, deren beide Richtungen naturgemäß mehr oder weniger zusammenhängen, der Mitwirkung der Gesetzgebung – um den mißverständlichen Ausdruck „Staatshülfe“ zu vermeiden – nicht ganz entrathen können, bei weitem der größere Theil der Aufgabe fällt aber der Selbstthätigkeit des Bürgerthums zu; es soll daher im Folgenden etwas näher darauf eingegangen werden, was diesem in der angedeuteten Richtung zu thun obliegt. –

Wenn ich übrigens die hierher gehörigen Pflichten des Staats in Bezug auf die Gesetzgebung und die Handhabung der Gesetze etc. nicht in Erörterung ziehe, so kann ich doch nicht umhin an dieser Stelle beiläufig wenigstens den einen Punkt hervorzuheben, daß die Regierenden die schwerste Verantwortung trifft, falls sie dem Treiben der neuentstandenen Secte der „Christlich-Socialen“ länger mit gekreuzten Armen zusehen. Es steht unzweifelhaft fest, daß die sogenannten „Christlich-Socialen“ nur Wasser auf die Mühle der Socialdemokratie führen. Würde ihrem gemeinschädlichen Wirken von oben her ein Freibrief ausgestellt, der unter den obwaltenden Umständen einer Begünstigung sehr ähnlich sähe, so würde das weit und breit nur ein verbitterndes Mißtrauen in Allen erzeugen, die das Recht und die Pflicht haben, an der Bekämpfung einer Krankheit sich zu betheiligen, welcher die Regierung allein und ohne diese Mitwirkung sicher nicht Herr zu werden vermag.

Die Weckung wirthschaftlicher Erkenntnisse, erhöhter Sittlichkeit, insbesondere eines lebhafteren Pflichtgefühls bei den arbeitenden Classen wird in erster Linie Sache der Volksschulen, der Elementar- und allgemeinen Fortbildungsschule sein. Sorgen wir also dafür, daß sie dieser Aufgabe gerecht werden, daß die hier bestehende Lücke unseres Erziehungswesens verschwinde! Die Arbeitgeber tragen wesentlich mit Schuld daran, wenn unsere Volksschule überhaupt so wenig den heute unbedingt an sie zu stellenden Anforderungen entspricht. Wären sie, die ja in den Gemeinden den Ausschlag geben, wie es sich gehört, eingetreten für die Bildungsanstalten, es wäre besser bestellt um unsere Elementarschulen, welche zum großen Theil wegen Mangels an Opferwilligkeit von Seiten der Bürger ihre Aufgabe nur ganz ungenügend zu lösen vermögen. Auch hätten wir alsdann längst überall die allgemeine Fortbildungsschule, welche unentbehrlich geworden zur zeitgemäßen Erweiterung der in der Elementarschule erworbenen Kenntnisse und zur Aufrechthaltung der Zucht und Sitte der heranwachsenden Jugend in den Jahren, in denen sie am meisten der Verführung zugänglich ist; wir hätten endlich Bildungsanstalten mehr fachlicher oder technischer Natur für Landwirthe, Handwerker etc. Daneben aber wäre es eine hohe Pflicht jedes Arbeitgebers, Alles zu thun, was in seinen Kräften steht, um den ihm anvertrauten jugendlichen Arbeiter zu einem in jeder Richtung tüchtigen Menschen heranzuziehen. Im Handwerk ganz besonders ist in dieser Beziehung viel gesündigt worden, was sich heute schwer rächt.

Auch aus die Sittlichkeit und Erkenntniß der erwachsenen Arbeiter wird der Arbeitgeber nicht selten einzuwirken vermögen durch mündliche Belehrung, sei es bei der Arbeit, sei es im persönlichen Verkehr außerhalb derselben, so besonders in Bildungs- und ähnlichen Vereinen, wo alle Mitglieder gleichberechtigt sind und sich dadurch einander wesentlich näher treten. Ich sage „nicht selten“; immer wird ein derartiges Vorgehen im Augenblicke nicht möglich sein, nicht etwa blos, weil manche Arbeitgeber selbst nicht die Aufklärung besitzen, die sie den Arbeitern gewähren sollen, sondern weil die Arbeiter nur dann einer derartigen Belehrung zugänglich sind, wenn sie Vertrauen zu den Belehrenden haben, was jetzt leider sehr häufig nicht der Fall ist. Es liegt dies gewiß zum Theile an den Verhetzungen der Arbeiterschaft durch die Socialdemokratie, da bekanntlich selbst die wohlmeinendsten, aufrichtigst für ihre Arbeiter besorgten Arbeitgeber mitunter nicht vermochten, das unter jenen herrschende Mißtrauen zu überwinden. Zum Theil aber liegt der Schaden auch darin, daß die Arbeitgeber bisher durchaus nicht immer ihre Pflichten gegenüber ihren Arbeitern erfüllten, ja die letzteren manchmal in rücksichtsloser Weise ausbeuteten. Daß solche Arbeitgeber auch bei Leuten, welche noch nicht als Anhänger der Socialdemokratie zu betrachten sind, mit Worten wenig ausrichten werden, liegt auf der Hand; die Hauptsache fehlt ihrer Botschaft – der Glaube. Selbst die Männer, welche von vornherein ihre Stellung gegenüber ihren Arbeitern richtig auffaßten und ihnen wohlwollend entgegenkamen, leiden ebenso wie ihre Bestrebungen unter den Folgen der den oben genannten Arbeitgebern zur Last fallenden Fehler. Es ist durchaus nicht unbedeutend, was bereits bei uns in Deutschland gebessert worden; daß es weit bedeutender ist, als die Socialisten Wort haben wollen, dafür haben wir unter Anderm einen Beweis in der vom preußischen Handelsministerium vor einiger Zeit veröffentlichten Zusammenstellung der von Privatunternehmern für ihre Arbeiter getroffenen Wohlfahrtseinrichtungen. Diese Zusammenstellung ist noch lange nicht vollständig; ich selber weiß, daß viele Fabrikanten, welche ganz Vorzügliches auf diesem

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_558.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)