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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Gebiete leisteten, die seiner Zeit vom Handelsministerium an sie gerichteten Fragen nicht beantworteten, und zwar meist aus einer Art von falscher Bescheidenheit.

Der Gesammterfolg dieser Bestrebungen (in Süddeutschland ist verhältnißmäßig noch mehr geschehen) blieb aber bisher unbefriedigend, weil sie vereinzelt auftraten, weil der allzu spärlich gesäete gute Samen von dem überwuchernden Unkraut zum Theil wieder erstickt wurde.

Den Glauben, das Vertrauen des Arbeiters zu erringen, das muß erste Aufgabe des Arbeitgebers sein, und diese Aufgabe ist keine leichte, weil wir leider bisher im Großen und Ganzen zu wenig dafür thaten; aber eben darum wird sie nur dann gelingen, wenn wir nicht mit wohlfeilen Phrasen, sondern durch opferfreudige That ihnen zeigen, daß wir uns mitverantwortlich fühlen für sein geistig-sittliches und materielles Wohl. Ersteres müssen wir zu fördern suchen nicht nur durch werkthätiges Eintreten für entsprechende Gestaltung der Bildungsanstalten, sondern auch durch das mahnende Wort und vor Allem durch das gute Beispiel. Ueberall seien uns die Gebote der Sittlichkeit und Ehre, des Anstandes und der guten Sitte Richtschnur für unser ganzes Thun und Lassen! Die Verwendung unserer reichlicheren materiellen Mittel sei eine zweckentsprechende; nicht zur Entfaltung eines Neid und niedrige Genußsucht erregenden Luxus dürfen wir den uns gewordenen Reichthum mißbrauchen; wir müssen ihn benutzen zu würdigerer, auch Geist und Gemüth hebender Gestaltung unseres Lebens, und vor Allem zu umfangreicherer Unterstützung der weniger günstig Gestellten und zu regerer Theilnahme an dem nur den Bemittelten möglichen Ehrendienst für das Gemeinwohl. Unsere Frauen und Töchter müssen uns in unseren auf Hebung der Arbeiter, besonders in sittlicher Beziehung, gerichteten Bestrebungen unterstützen. Abgesehen davon, daß ihnen die Aufsicht über die weiblichen Dienstboten und Arbeiterinnen in erster Linie zusteht, haben sie, wenn die Arbeiter den Tisch und vielleicht gar die Wohnung des Arbeitgebers theilen, wie dies ja im Kleingewerbe häufig der Fall ist, in hervorragender Weise Gelegenheit, den Arbeitenden persönlich näher zu treten und erziehlich auf sie einzuwirken. Selbst aber wo dies nicht der Fall ist, wo nur männliche, mit ihren Familien außerhalb wohnende Arbeiter da sind, kann die Hausfrau unendlich viel zur Anbahnung und Unterhaltung ersprießlicher persönlicher Beziehungen zwischen Arbeiter und Arbeitgeber thun. Wenn die Gattin oder Tochter des Brodherrn das Kind des Arbeiters oder dessen Frau in Fällen der Noth mit Rath und That unterstützt, wird dieser nicht leicht mehr in seinem Arbeitgeber den ihn rücksichtlos ausbeutenden, herzlosen Egoisten erblicken, den er ohne alle Gewissensbisse übervortheilen zu dürfen glaubt. Ueberhaupt wird das Verhältniß sofort ein anderes, die Arbeiterfrage verliert ihren revolutionären Charakter, sobald Verständniß und Sinn auch für die Interessen der Gegenpartei erwachen.

Bei den auf Beförderung des materiellen Wohls der Arbeiter gerichteten Maßregeln kommt die Bemessung von Arbeitszeit und Arbeitslohn in erster Linie in Betracht; hier das richtige Maß einzuhalten ist nicht nur durch die Pflicht der Humanität, sondern auch durch das eigenste Interesse des Arbeitgebers geboten.

Die Zeit, die der Mensch täglich seiner Berufsarbeit ohne Ueberanstrengung widmen kann, ist natürlich sehr verschieden (abgesehen von individuellen Verschiedenheiten), je nachdem die Arbeit leicht oder schwer ist, je nachdem sie Abwechslung bietet oder nicht; für jede Arbeit giebt es aber ein Maximum der Zeitdauer, bei dessen Ueberschreitung die Leistung nicht nur verhältnißmäßig zur aufgewandten Zeit, sondern absolut abnimmt. Dies tritt jedenfalls ein, sobald es nicht gelingt, die durch die Arbeit eines Tagewerks verzehrte Kraft bis zum Beginn des nächsten voll zu ersetzen. Und der Arbeiter ist mehr als eine Maschine, die unterhalten werden muß, um volles Arbeitsvermögen zu behalten. Er ist Mensch und muß im Stande sein, seine Pflichten als solcher, sich selbst, seinem Hauswesen, dem Staate und der Gesellschaft gegenüber, zu erfüllen. Ihm dies zu ermöglichen, liegt im wohlverstandenen Selbstinteresse des Arbeitgebers; denn es ist die ganze Entfaltung von Arbeitsliebe und Arbeitstüchtigkeit die nöthige Bedingung für wirklich werthvolle Leistungen, welche unsere nationale Arbeit zu Ehren bringen, wie für deren wachsende Vervollkommnung.

Bei den landwirthschaftlichen Arbeiten, welche in freier Luft ausgeführt werden und meist die Kräfte nach verschiedenen Richtungen anspannen, indem abwechselnd bald diese bald jene Muskeln und hier und da der Kopf in Thätigkeit kommen, tritt eine einseitige Ueberanstrengung nicht leicht ein, ebenso wenig bei den meisten Handwerkern; bei manchen der letzteren, so bei den Schneidern und Näherinnen, bei Webern und ähnlichen Gewerben, bei denen die Arbeitenden, gebückt sitzend, ohne kräftige Bewegung verharren, entsteht jedoch diese Gefahr. Hier wird man allzu lange Arbeitszeit vermeiden müssen, das Uebermaß hat dann nicht allein ein Nachlassen der Leistungsfähigkeit im Gefolge, sondern nicht selten die Untergrabung der Gesundheit des Arbeiters.

Der Lohn des Arbeiters muß so bemessen sein, daß er sammt Frau und Kind bei wirthschaftlicher Verwendung davon leben und sich für Zeiten der Erwerbslosigkeit in Folge von Unfällen, welche seine Arbeitskraft treffen, sichern kann. Der Lohn muß also nicht nur hinreichen zur Beschaffung genügender, gesunder Nahrung, Kleidung und Wohnung, sondern der Arbeiter muß damit auch die Beiträge zu den verschiedenen Hülfscassen decken, und auch zu guter, erziehender und wirklich aufweckender Erholung das Nöthige erübrigen können. Nur wenn dies der Fall ist, erhält sich der Arbeitgeber einen kräftigen, arbeitsfrischen, berufsfreudigen Arbeiterstand, wie er ihn braucht, um Tüchtiges zu leisten. Ein Arbeitgeber, der die Lohnfrage von diesem Standpunkte aus behandelt, der nicht jede ihm günstige Conjunctur zur Herabdrückung der Löhne mißbraucht, darf dafür erwarten, daß seine Arbeiter das Höchste leisten und daß sie auch ihrerseits, wenn ihnen die Umstände einmal günstig sind, keine mit dem Bestehen des Geschäfts unverträgliche Lohnforderungen stellen.

Da die richtige Verwendung des Erworbenen für das Wohlergehen des Arbeiters ebenso wichtig ist, wie die Höhe des Erwerbes, wird der Arbeitgeber auch hierbei hülfreiche Hand bieten müssen, indem er dazu beiträgt, den Arbeitern die Befriedigung ihrer nächsten leiblichen Bedürfnisse zu erleichtern und ihnen Schutz zu gewähren gegen die Gefahren, welche zeitweilige oder dauernde Erwerbsunfähigkeit und sonstige Unglücksfälle bringen. Die Art und Weise, wie dies zu erreichen ist, wird, je nachdem es sich um Dienstboten, Handwerksgesellen, landwirthschaftliche oder Fabrikarbeiter handelt und je nach den örtlichen Verhältnissen, sehr verschieden sein. Eine alle Fälle erschöpfende Zusammenstellung praktischer Vorschläge zu geben, wird kaum möglich sein; der einzelne Arbeitgeber wird, unter Festhaltung der eben gekennzeichneten Gesichtspunkte, selbst herausfinden, was gerade für ihn am zweckmäßigsten ist. Einzelne hierher gehörige, bereits erprobte Einrichtungen und Maßregeln will ich aber doch als Beispiele vorführen.

Bei den Dienstboten und denjenigen Arbeitern, welche Kost und Wohnung bei ihren Arbeitgebern erhalten, ist ganz besonders darauf zu achten, daß sie ihren Lohn nicht zu überflüssigen oder gar schädlichen Ausgaben anwenden, hingegen möglichst viel für die Zukunft erübrigen. Bei den Männern und jungen Burschen ist es hauptsächlich das Wirthshaus, bei den Mädchen der Putz, welche einen unverhältnißmäßigen Theil der Einnahmen verschlingen. Diesen Mißständen entgegen zu wirken, dazu wird sich mehr noch als die Mahnung das gute Beispiel des Arbeitgebers und seiner Familie eignen. Bei der Anlage des Ersparten sei man behülflich. Es ist eine bekannte Sache, daß eine Menge von Beutelschneidern, die sich Banquiers oder ähnlich nennen, auf die Unwissenheit der kleineren Leute, und zwar besonders der Dienstboten, speculirend, diese zum Ankauf von ganz ungeeigneten Werthen, z. B. von nicht zinstragenden Anlehensloosen zu viel zu hohen Preisen gegen ratenweise Abzahlung verlocken, indem sie durch Colporteure, welche meist noch andere Dinge vertreiben, das Papier den Leuten aufdrängen lassen. Mir ist ein Fall bekannt, in dem ein braves Dienstmädchen auf diese Weise über ein Drittel seiner Ersparnisse verlor, und ich bin überzeugt, daß es mitunter noch schlimmer zugeht. In Oesterreich ist dies sogenannte Ratengeschäft gesetzlich verboten, bei uns leider noch nicht. Die Anlage in Werthpapieren sollte überhaupt erst stattfinden, wenn ein größerer Betrag erreicht ist; die erste Ansammlung läßt sich am besten durch Einlagen in eine öffentliche Sparkasse bewerkstelligen. Schon jetzt besitzen wir eine große Anzahl dieser höchst segensreich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_559.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)