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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

wirkenden Anstalten; tritt aber einmal erst das Institut der Postsparcassen[1] in’s Leben, und dazu ist ja, wie es scheint, alle Aussicht vorhanden, so ist die Anlage für den kleinen Sparer an allen Orten sehr bequem gemacht.

Leuten, welche nicht Wohnung und Tisch ihres Arbeitgebers theilen, wird dieser die Befriedigung ihrer Nahrungsbedürfnisse in manchen Fällen dadurch erleichtern können, daß er gewisse Dinge, die bei Masseneinkauf billiger oder besser zu haben sind, im Großen beschafft und dann zum Selbstkostenpreis vertheilt (auch gewisse Kleidungs- und Feuerungsmittel sind mitunter zweckmäßig auf diese Weise einzukaufen). Ebenso ist die Anlage von Garküchen, in welchen den Arbeitern, besonders den unverheiratheten, für einen verhältnißmäßig niedrigen Betrag eine gute kräftige Nahrung geboten werden kann, für größere Arbeitgeber mitunter sehr empfehlenswerth, hauptsächlich da, wo die Leute nicht ganz nahe bei der Arbeitsstelle wohnen. Man vermeide es aber hier, wie bei Allem, was man thut, die oft schon allzu wenig innigen Beziehungen des Arbeiters zu seiner Familie noch mehr zu lockern!

Die Familie ist die erste und wichtigste aller Erziehungsanstalten. Von der Gestaltung des Familienlebens hängt mehr noch als von derjenigen des Schulwesens die geistige, vor Allem die sittliche Stellung des Arbeiterstandes ab; jede Einrichtung, welche die heiligen Bande der Familie lockert, ist daher zu vermeiden, selbst wenn das nächstliegende persönliche Interesse des Arbeiters durch solche Lockerungen gefördert zu werden scheint. Die Nothwendigkeit der Heilighaltung der Familie wird auch – das sei bei dieser Gelegenheit noch erwähnt – diejenigen Arbeitgeber, welche weibliche Kräfte beschäftigen, veranlassen müssen, den Frauen, als den wichtigsten Trägern der Familienerziehung, besondere Rücksicht zu widmen.

Ganz allgemeine, für jeden selbstständig wirthschaftenden Arbeiter empfehlenswerthe Einrichtungen sind Consumvereine, dieselben sind also nach Kräften zu fördern. Consumvereine erleichtern nicht nur dem Arbeiter die Beschaffung der erforderlichen Nahrungsmittel und sonstiger Gebrauchsgegenstände, sie sind gleichzeitig vortreffliche wirthschaftliche Erziehungsanstalten und Sparcassen. Den Arbeitern allein wird es meist schwer werden, einen Consumverein zu gründen und besonders zu leiten; betheiligen sich die Arbeitgeber mit ihrer größeren Geschäftskenntniß, so wird die Sache wesentlich erleichtert, und es wird zudem ein neues Mittel gewonnen, Arbeiter und Arbeitgeber zusammenzuführen zu gemeinsamem versöhnendem Wirken. Hier wie bei allen Veranstaltungen zum Wohle der Arbeiter, welche gleichzeitig einen erziehlichen Charakter haben, muß man jedoch der Selbstthätigkeit der letzteren möglichst weiten Spielraum lassen. Eine zu weit getriebene Bevormundung ist durchaus vom Uebel. Die Veranstaltung büßt damit ihre erziehliche Kraft ein und verliert meist das Vertrauen der Arbeiter.

Auch um die Beschaffung geeigneter Wohnungen für ihre Arbeiter werden die Arbeitgeber sich bekümmern müssen. Die besonders in den rasch angewachsenen Orten bestehende Wohnungsnoth ist zum nicht geringen Theil mit schuld an der Demoralisation der Arbeiterwelt. Wer kein behagliches Heim hat, sucht im Wirthshaus Ersatz und wird so nur allzu oft ein Opfer von Trunk, Spiel und sonstigen Lüderlichkeiten. Die Wohnung des verheiratheten Arbeiters muß nicht nur den Ansprüchen der Gesundheitspflege genügen, sie muß auch so beschaffen sein, daß sie die Entfaltung der zur Behaglichkeit nöthigen Reinlichkeit und Ordnung, ja womöglich eines gewissen Schönheitssinnes erlaubt. Nur dann wird der Familienvater sich hingezogen fühlen zum häuslichen Herd, wird er sich wohl fühlen im Schooße der Familie, nur dann wird die Mutter mit Lust und Eifer ihren Pflichten als Hausfrau entsprechen, werden die Kinder im elterlichen Hause sittliche Förderung finden können.

Durch Actiengesellschaften und Baugenossenschaften zur Errichtung von Arbeiterhäusern läßt sich, wie das Beispiel einer Reihe von Städten – Mühlhausen im Elsaß in erster Linie – beweist, viel in dieser Richtung thun. Auch die zweckmäßige Verbindung des Centrums der großen Städte mit der Peripherie ist von Wichtigkeit. Die Wohnungsnoth in Berlin wäre seiner Zeit gewiß nicht so groß geworden, wenn man rechtzeitig für Verkehrsmittel gesorgt hätte, welche es den Arbeitern gestatteten, außerhalb der eigentlichen Stadt zu wohnen, wie dies in England der Fall ist.

Die Erkenntniß der demoralisirenden Einwirkung, welche es auf den Arbeiter hat, wenn seine und seiner Familie Zukunft gegen unverschuldete Nothstände, wie sie so häufig eintreten, nicht gesichert ist, muß uns veranlassen, dem Versicherungswesen unsere Aufmerksamkeit und werkthätige Hülfe angedeihen zu lassen. Bisher wurde nur das Krankencassenwesen gesetzlich geregelt. Es wurde den Gemeinden überlassen, für Gesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter den Cassenzwang einzuführen, beziehungsweise Zwangscassen für diese Gattungen von Arbeitern zu errichten. Haben die Gemeinden und die hinter ihnen stehenden Arbeitgeber hier ihre Pflicht gethan? Nein, nicht einmal diese Institute, welche noch weit davon entfernt sind, dem bestehenden Bedürfnisse zu genügen, wurden in dem nöthigen Umfange in’s Leben gerufen.

Mögen wir uns dieser unserer Schuld bewußt werden und sie wieder gut machen! Gehen wir überall voran mit der Bildung nicht nur von Kranken-, sondern auch von Pensions-, Wittwen- und Waisencassen für Arbeiter und sorgen wir so dafür, daß eines derjenigen Verhältnisse, welche mit am meisten dazu beitragen, den Arbeiter zum Proletarier herabzudrücken, verschwinde! Zeigen wir den guten Willen, voran zu gehen, so wird die Volksvertretung nicht zaudern, die nöthige gesetzliche Basis zu schaffen. Auch auf die Nothwendigkeit, ihre Habe, und sei sie noch so gering, gegen Feuersgefahr zu versichern, müssen wir die Arbeiter hinweisen. So lange die Leute nicht davor gesichert sind, durch Unfälle dieser Art zu Bettlern gemacht zu werden, kann kein Ehr- und Rechtsgefühl und auch keine rechte Berufsfreudigkeit bei ihnen Platz finden.

Von der Nothwendigkeit, den Spartrieb anzuregen, sprach ich bereits; ich bin der Ansicht, daß der Arbeitgeber zur Erreichung dieses Zieles alle ihm zu Gebote stehenden Mittel anwenden sollte, so z. B. Prämien für die Sparer, hohe Zinsen u. dergl. m. Es ist klar, daß derjenige, der die moralische Kraft gewonnen hat, seine Einnahmen nicht ganz für den Genuß des Augenblicks aufzuwenden, etwas zurückzulegen für die Zukunft, daß derjenige, der sich als Besitzer zu fühlen beginnt, schon durch diese Thatsache allein unbewußt an Selbstständigkeit gewinnt und Interesse an dem Bestehen der Verhältnisse bekommt, sodaß er den Verführungen der den allgemeinen Umsturz predigenden Demagogen fortan weit weniger zugänglich sein wird, als der ganz Besitzlose. Jeden Arbeiter, der zum kleinen Capitalisten wird, haben wir zum Bundesgenossen gewonnen. Wo dies möglich ist, wird die Anlage des Ersparten um Ankauf von Grundstücken oder eines eigenen Hauses zu unterstützen sein. Es wird damit gleichzeitig der Erfolg erreicht, daß der Arbeiter an seinen Arbeitgeber gefesselt wird, was im Interesse beider Theile nur erwünscht ist; mit bekannten und eingeübten Arbeitern läßt sich eine höhere Leistung erzielen, während andererseits die Gewohnheit des Herumziehens die Arbeiter im höchsten Grade in ihrem Vorwärtskommen schädigt.

Es ist klar, daß alle Maßregeln, von denen ich hier einiges beispielsweise anführte, um so besser durchführbar sind und um so mehr Aussicht auf Erfolg haben, je allgemeiner und systematischer sie in’s Leben gerufen werden; es wäre daher dringend erwünscht, daß sich freie Vereine der Arbeitgeber zur Erfüllung der vorliegenden Aufgaben bildeten, Vereine, welche, wenn sie auch nur die Arbeitgeber eines Ortes oder selbst nur die engeren Fachgenossen eines Bezirks umfassen, doch in eine gewisse Verbindung zu einander treten, selbst wenn diese nur in gegenseitiger Anregung, in Austausch von Erfahrungen u. dergl. beständen. In solchen Vereinen wird der Einzelne seine Kenntnisse der Thatsachen ergänzen und sein Pflichtbewußtsein stärken; in der Helle, welche die öffentliche Besprechung verbreitet, wird den Kurzsichtigen erst klar werden, daß und wie sie sündigten, und die Uebelmeinenden werden sich hüten, bei einer Handlungsweise zu verharren, die ihnen nun, da ihre Verwerflichkeit an’s Tageslicht gezogen ist, nicht nur den Haß ihrer Arbeiter, sondern auch die Verachtung ihrer Standesgenossen zuziehen würde. Es

  1. Postsparcassen sind eine englische Erfindung und vor der Hand auch von Belgien, Holland und der Schweiz nachgeahmt. Sie erleichtern dem kleinen Manne das Sparen dadurch, daß die Postverwaltung des Staats es ist, welche Buchung, Aufbewahrung und Verzinsung der Einzahlungen besorgt. Von den 5337 Sparcassen Großbritanniens gehören nicht weniger als 4853 zu den Postsparcassen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_560.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)