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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

auf dem Boden der alten Buchhändlermetropole schon als Knabe in die Seele geleuchtet und seitdem jederzeit als das erstrebenswertheste aller Ziele vorgeschwebt hatte. Schon in Weimar und Erfurt, ja schon auf dem Gymnasium hatte sein Drang zu eigenem Schaffen sich mannigfach nicht unglücklich versucht, unter den Anregungen Leipzigs jedoch und der inneren Fortbildung, die es ermöglichte, wuchs erst der Muth, sich wirklich damit herauszuwagen. Seine geschäftsfreie Zeit widmete der Buchhandlungsgehülfe schriftstellerischer Thätigkeit, indem er für Journale kritische und reflectirende Aufsätze schrieb und ein besonderes Talent namentlich für die novellistische Behandlung frisch aus dem Leben gegriffener Scenen und Bilder offenbarte, die er mit warmen Gemüthstönen zu durchhauchen und mit allem Reiz munterer und anmuthiger Stilfärbung auszustatten wußte. (Ein vor uns liegendes Bändchen gesammelter „Liebes-Novelletten“ von Ernst Keil ist unter dem Titel „Melancholie“ 1845 bei Schlüssel in Bautzen erschienen.) Alle diese Leistungen erwarben ihm Freunde und lenkten die Aufmerksamkeit auf ihn, sodaß ihm schon 1838 die Redaction der Zeitschrift „Unser Planet“ (später „Wandelstern“ betitelt) anvertraut wurde, die er neben der pflichtgetreuen Ausfüllung seiner Comptoirstellung mit ernstester Hingebung geleitet hat. Das Blatt war unter der Redaction Keil’s eines der gelesensten jener Tage, bis ihm die Polizei, ihrer damaligen Befugniß gemäß, die weitere Führung derselben untersagte.

Acht Jahre hatte er so als simpler Buchhandlungscommis mit schriftstellerischer Nebenbeschäftigung (zuletzt als Geschäftsführer des Hauses Naumburg u. Comp.) in Leipzig gelebt. Obwohl beide Thätigkeiten damals nicht zu den einträglichen gehörten, blieb doch namentlich diese Periode einer fröhlichen, stolzen und eleganten Armuth stets mit den wärmsten und glänzendsten Farben in seinem Gedächtniß verzeichnet. Sie war in der That die wichtigste seines Lebens, da er sie in ernster und tüchtiger Arbeit, in heiterem und strebsamem Freundeskreise verbracht und ihr die förderlichsten Verbindungen, Eindrücke und Genüsse zu danken hatte, vor Allem das Heranreifen zum Mann, die Bildung seines Urtheils und Charakters. Aber die abhängige und kein hinreichendes Auskommen gewährende Lage führte doch auch viel drückendes Hemmniß mit sich und die Dreißig wollte er nicht herankommen lassen, ohne auf eigenen Füßen zu stehen, da er überdies bereits 1844 sich den häuslichen Herd gegründet, mit aller Hingebung einer treuen und reinen Seele den zarten Liebes- und Ehebund geschlossen hatte, den jetzt nach Jahrzehnten innigster Vereinigung der Tod so jäh zerrissen hat. Zagendes Grübeln ist niemals seine Sache gewesen; sobald der Drang der Umstände in ihm eine Entschließung nothwendig machte, war auch die Ausführung nicht fern. So erging denn im August 1845 jenes oben mitgetheilte epigrammatische Circular, und der Weg in eine noch ganz dunkle Zukunft war sorgenvoll, aber muthig betreten.

„Ohne alle Mittel, ohne zureichende Unterstützung von Capital“, so heißt es in einem seiner Briefe, „habe ich angefangen. Aber mein ehrlicher Name erwarb mir Vertrauen, und so hatte mir der Ertrag schon im ersten Jahre eine bescheidene Existenz gewährt.“ Das war ermuthigend. Aber ein rein geschäftlicher Fortgang hatte eben seiner Charakteranlage und der ganzen Art seiner Befähigung und Gesinnungsrichtung niemals genügt. Um zu leben, bedurfte er eines Wirkens in’s Große, wie es seinem Wesen nur der Besitz einer Zeitschrift bot. Schon ein Jahr nach der Etablirung (1846) erschien daher in seinem Verlage die erste Nummer eines von ihm redigirten Monatsblattes, dem er den bezeichnenden Titel „Der Leuchtthurm“ gegeben. Es lag etwas Neues und Kühnes in dieser Benennung, aber sie war kein bloßes Aushängeschild, es glühte dahinter ein aufrichtiger, ernsthaft gemeinter Vorsatz, und in der That ragt denn auch der Eintritt des neuen Organs aus der Geschichte des bis dahin immerhin dürftig gewesenen vormärzlichen Journalismus als ein Ereigniß ersten Ranges hervor und als eine eingreifend bedeutsame Wendung. Die deutsche Freiheitsbewegung hatte seit den Tagen des jungen Deutschland an Klarheit, Nachdruck und gewichtvollem positivem Inhalt gewonnen, sie hatte die gesammten politischen und socialen Volksinteressen in ihre Kreise gezogen und auf dem Wege kritischer Erkenntniß zu bestimmten Forderungen, zu der Schärfe entschiedener Programme sich durchgerungen. Diese wichtige, bereits mit allem Schwung und Feuer eines neuen Glaubens und Wissens sich geltend machende Entwickelung war jedoch nur in der wissenschaftlichen und literarischen Welt, und zwar nur in dem geweckteren Theile derselben vor sich gegangen, in das Volk, in die bürgerlichen Kreise, in die für das große Publicum bestimmte Literatur war sie noch nicht gedrungen. Auch hier gährte unklar ein junger Ideenmost, aber eine öffentliche Meinung, ein Parteileben, auf das eine Literatur und Publicistik sich stützen konnten, gab es bei uns noch nicht, auf dem Volksleben in Deutschland ruhte noch schwer die Hand des absolutistische Staates, der mit seiner Polizei und Censur namentlich jedem über den Kreis des Schul- und Andachtsbuches hinausgreifenden literarischen Regen Chicanen und Verfolgungen, Verschleppungen und Entmuthigungen bereitete, von deren kleinlichem Jammer die jüngere Schriftstellergeneration der Gegenwart sich kaum noch eine entsprechende Vorstellung zu bilden vermag.

Wie aber konnte gegen den Willen und die stark befestigte Herrschaft der bestehenden Gewalten eine Besserung dieser als unerträglich empfundenen Zustände erzielt werden, so lange sie nur von kleineren Gruppen der Hochgebildeten angestrebt wurde und die Masse der bürgerlichen Gesellschaft halb oder ganz bewußtlos und ohne Selbstgefühl in der Ferne blieb? Hier war im Leben des Vaterlandes eine bedenkliche Lücke, eine verhängnißvolle Kluft, die überbrückt werden mußte, und Keil trat in die kleine Reihe der Kämpfer verschiedener Orte, die furchtlos und auf eigene Gefahr an’s Werk gingen, dies zu versuchen. Dazu brachte er jedoch ein Anderes und Wichtigeres mit, das jenen Genossen nicht zu Gebote stand. Sein Weg hatte ihn zwar nicht durch die Schule gelehrter Studien, wissenschaftlicher Doctrinen, methodischer und logisch gegliederter Systeme geführt. Mit ungemein schnellem und lebhaftem Blicke dagegen erfaßte er Resultate wissenschaftlichen Strebens, deren Wahrheit ihm als verwerthbar für das wirkliche Leben erschien und eine Saite seines warmen Gemüthslebens, des sittlichen und poetischen Anschauens berührte, aus welchem ihm seine entschiedensten Ueberzeugungen erwachsen waren. Auch der politische Kampf erschien ihm im Glanze einer gewissen Romantik, gleichsam wie eine dramatische Aufgabe der Gesammtheit. Im Uebrigen hatte er frühzeitig die Wirkung poetischer Eindrücke auf das Gemüthsbedürfniß des bürgerlichen Hauses kennen gelernt, und so wurde er durch die ganze Art seiner Natur wie seiner Bildung dazu bestimmt, den modernen Oppositionsgeist in die schal und phantastisch gewordene Unterhaltungsliteratur zu führen.

In diesem Zuge bestand zunächst seine Eigenthümlichkeit, und dadurch fand auch sein journalistisches Unternehmen bald eine für die damaligen Verhältnisse ganz ungewöhnliche Verbreitung. Von der glücklichen Hand und dem gesunden Urtheile seines talentvollen Redacteurs wurde es so erfolgreich geleitet, daß die hervorragendsten Stimmführer der liberalen Bewegung, Männer wie Robert Blum, Johann Jacoby, Wislicenus, Uhlich etc. sich ihm als Mitarbeiter anschlossen und die neue Zeitschrift immer mehr und mehr zu einem Ausdrucke des erwachten Befreiungsdranges wurde auf politischem und religiösem, wie auf socialem und literarischem Gebiete. Dies Alles zwar in den zahmen Formen, der verhüllten und zurückhaltenden Weise, wie es die stete Rücksichtnahme auf die Censur gebot, aber unter diesem Schleier doch wiederum deutlich genug, daß den immer mißtrauisch umherlauschenden Regierungen binnen Kurzem schon die ihnen hier drohende Gefahr offenbar werden mußte. Und nun begann ein Kampf, wie er aufopfernder, hartnäckiger und heißer wohl kaum jemals von einem einzelnen Privatmann und Unternehmer gegen Mächte geführt worden ist, denen alle Gewalt und alles von ihnen selbst in eigenem Interesse geschriebene Gesetz zur Seite stand. Während Keil als Redacteur für den allgemeinen Inhalt seines Blattes sorgen mußte, hatte er als Verleger Tag für Tag die Schläge abzuwehren, welche das Fortbestehen desselben hindern wollten. Die speciellere Geschichte dieses „Leuchtthurms“, seines Wirkens sowohl wie seiner Geschicke, ist nicht blos in hohem Grade bezeichnend für den Charakter Keil’s, sondern auch für die allgemeine Geschichte jener Zeit, zu deren interessantesten Capiteln sie gehört.

Aus den vor wenigen Monaten von den Zeitungen veröffentlichen Nachrufen wissen viele Leser, daß das Blatt während

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_572.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)