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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Gartenlaube“, als daß nicht Unzählige in der Nähe und Ferne mit herzlichen Glückwünschen, mit sinnigen Ehrenspenden, mit Beweisen des Vertrauens und der dankbaren Anhänglichkeit sich pünktlich hätten einstellen sollen. So brachten ihm denn in der That diese Tage eine Fülle stärkender Erquickung und erschlossen ihm die Wirkungen seines Ringens in so unzweideutiger Weise, daß er mit Gefühlen der Beruhigung auf die durchlaufenen Bahnen zurückblickte. Am Abend des ersten Januar vereinigte er seine Verwandten, nächsten Mitarbeiter und Freunde um sich und die Seinen zu einem gemüthlichen Feste – einem der wenigen, die in diesen stillen Räumen gefeiert worden sind – und alle Anwesenden sprachen gegenseitig ihre Freude aus, wie er so stattlich und munter war und scherzhaft selbst an dem improvisirten Tanze der Jugend sich betheiligte.

Gewiß ist es, daß er rüstiger, gehobener und hoffnungsvoller in dieses Jahr 1878 trat, als in eines der vorhergegangenen Jahre, und nicht wenig hatten dazu auch die ausdrücklichen und herzlichen Zusicherungen aller ihm werthen Mitarbeiter beigetragen, auch ferner mit ihm vereinigt – denn um diesen einen Punkt drehten sich stets alle seine Sorgen – die „Gartenlaube“ auf der Höhe ihrer Bahn, ihres Inhaltes und ihrer Bedeutung erhalten zu wollen. Aber noch ein anderer, ein rein persönlicher und gänzlich neuer Umstand belebte ihm die ersten Wochen des neuen Jahres in der freudigsten und erheiterndsten Art. Zwei Mal des Tages verließ er damals zu ungewohnter Zeit das Haus, kam erst nach Ablauf von einigen Stunden zurück und war bei seiner steten Neigung zu schelmischen Neckereien schon ungemein durch den Gedanken belustigt, wie seine gesammten Umgebungen sich nothwendig die Köpfe zerbrechen müßten über die Veranlassung zu diesen Gängen. Darüber jedoch beobachtete er ein beharrliches Stillschweigen und spannte nur schalkhaft die Neugier, indem er ein dunkles Geheimniß andeutete, das später sich enthüllen werde. Daß es nichts Unangenehmes sein könne, ersah man freilich aus seiner täglich sich steigernden Fröhlichkeit, aber unter allen möglichen Gründen vermochten doch selbst die Nächsten den wahren nicht zu errathen. Keil hatte einen unbedeutenden Fehler in seinem Sprachorgane, der nur in Augenblicken der Erregung seinen angenehmen Redefluß ein wenig störte, den übrigens seine Angehörigen und Bekannten kaum noch bemerkten, von dem geistreiche Damen sogar sagten, daß er die Erscheinung des Mannes noch interessanter mache, als sie es ohnehin sei. Wie er jedoch später gestand, hatte ihn selber dieses Uebel von Jugend an und während seines ganzen bisherigen Lebens im Stillen sehr unglücklich gemacht, ihn vielfach verdüstert und durch das (ganz irrthümliche) Gefühl herabgedrückt, er sei dadurch entstellt und von Anderen bemitleidet oder verlacht.

Als nun in diesem Winter Herr Denhardt, ein rühmlich bekannter Lehrer für Stotternde, sich zeitweilig in Leipzig aufhielt und ihm von befreundeter Seite redactionell sehr warm und unter Vorlegung glänzender Zeugnisse empfohlen wurde, faßte er die Sache sofort im persönlichen Interesse auf. Er wendete sich an den Mann und nahm sodann Tag für Tag, trotz seiner einundsechszig Jahre, an dem anstrengenden Uebungsunterrichte desselben mit einem Eifer Theil, daß er schon zu Anfang März seine drei Redactionsgenossen nebst einem vertrauten Jugendfreunde an einem Abend feierlich zu sich laden und ihnen endlich die Ursache seiner heimlichen Wege in einer langen, ohne Stocken und Anstoß gesprochenen Rede enthüllen konnte, die zugleich eine Probe des überaus günstigen Erfolges war. Unbeschreiblich rührend war das Gefühl des Glückes und der freudenvollen Erregung, welche des Mannes in Folge dieser Heilung sich bemächtigt hatte. Wie umgewandelt war er. Als ob ein Alp ihm von der Brust gewälzt, ein beklemmendes Zagen von seinem Wesen genommen sei, als ob er erst jetzt das Recht zu voller Betheiligung an dem Leben gewonnen habe, so richtete freier als jemals, mit frohem Ausblicke in den Rest des Daseins sein Haupt sich auf. Es waren das selige Tage für ihn und mit seinem publicistischen Pflichtgefühl trug er sofort auch Sorge, daß eine Kunde von dem Vorhandensein dieser glücklichen Methode nunmehr in die weitesten Kreise dringe. Für die „Gartenlaube“ wurde auf seine Anregung ein Artikel über die Sache verfaßt, den er selber redigirte und mit einer von ihm unterzeichneten Anmerkung versah, deren Schlußzeile nachdrücklich betonte, welchen innigen Dank ein Streben verdiene, dem es gelinge, „aus scheuen, tief unglücklichen Stotternden frohe selbstbewußte Menschen zu machen, die sich jetzt mit Sicherheit in ihren Berufssphären und in der Gesellschaft bewegen.“

Nicht umsonst werden diese Worte hier buchstäblich angeführt, da sie unstreitig auf seine eigene Person sich beziehen und das ganze Wohlgefühl, den jung erwachten Lebensmuth der Stimmung zeigen, die ihn in jener ersten Märzwoche beseelte. Dunkles Verhängniß des Menschenlooses, traurige Ohnmacht menschlicher Berechnungen! Sehen wir uns die Nummer an, in welcher die erwähnte Anmerkung Keil’s enthalten ist; er selbst hat sie nicht mehr gesehen: auf beigelegtem schwarzumrändertem Blatte brachte sie zugleich die Trauerkunde, daß Ernst Keil fortan nicht mehr sprechen und schreiben werde, sondern schon seit einer Reihe von Tagen ein stiller Mann geworden sei. Es waren jene Schlußworte, aus denen so viel neue Hoffnungsfreude leuchtete, die letzten, welche er überhaupt für die Veröffentlichung geschrieben hat. Nicht eine Ahnung hatte er, daß mit dem Punkte, den er hinter jener Zeile gemacht, seine literarische Laufbahn für immer geschlossen sei.

Wie bei jeder Nummer der „Gartenlaube“, so lag auch natürlich bei der betreffenden Nummer (13) ein Zeitraum von drei Wochen zwischen der redactionellen Herstellung und dem Erscheinen. Möchten wir einen Schleier breiten können über die jähe Schicksalswendung, welche in diesen drei Wochen ein munteres und friedliches, idealem Streben geweihetes Haus in eine Stätte der Angst, des Schreckens und trostlosen Schmerzes verwandelt hatte. Da aber hier und da die Meinung verbreitet ist, Keil sei einer Erschöpfung und Aufgeriebenheit seiner Kräfte erlegen, so muß dieser irrigen Annahme widersprochen werden. Schon seit zwei Jahren hatten allerdings bei ihm wiederholte Anfälle eines Körperleidens sich eingestellt, dessen Ursache die Aerzte durchaus richtig als eine Gallensteinbildung erkannten. Die Anfälle waren heftig, schmerzhaft und schwächend, aber die Schnelligkeit, mit der er sich jedesmal nach wenigen Tagen wieder zu voller Rüstigkeit erholte, ließ mit Recht auf die Ungefährlichkeit des Leidens sowohl wie auf eine ungewöhnliche Lebenskraft und Dauerhaftigkeit seines Organismus schließen. So gab denn auch der am Abend des 8. März nach längerer Pause wieder einmal eingetretene Sturm keinen Grund zur Beunruhigung, bis nach einigen Tagen plötzlich schlimme Zufälle einen ernsteren Charakter des diesmaligen Verlaufes zeigten. Ein zu großer Stein konnte seinen Weg durch enge Canäle nicht vollenden, und nur dieses rein mechanische Hinderniß war es, das diese noch so daseinsfrohe, noch so sturm- und wetterfeste Natur rettungslos und mit hastiger Grausamkeit vernichtet hat. Entsetzlich waren die Schmerzen und Qualen, die er zwei Wochen hindurch mit stiller Geduld, in lichten Augenblicken sogar mit einem Schimmer des alten Humors und unter fortwährender Sorge um seine „Gartenlaube“ erdulden mußte. Aber alle Anstrengungen der Aerzte, alle Macht einer aufopfernden Liebe, die Tag und Nacht an seinem Schmerzenslager weilte, hat den raschen Gang des Verhängnisses nicht aufhalten können. In der Morgenfrühe des 23. März hat der Begründer und Herausgeber des „Leuchtthurm“ und der „Gartenlaube“ sanft und ruhig sein wirkungsreiches Leben ausgehaucht.

Je weniger man außerhalb des Hauses von seiner Erkrankung gehört hatte, um so größer war die Bestürzung, um so lebhafter waren die Gefühle der Trauer und Theilnahme, die allenthalben in der Nähe und Ferne bei der unerwarteten Nachricht von seinem Tode zu allerinnigstem Ausdrucke kamen. Wie würde er, der im Leben so gern um Liebe geworben, wie würde er beseligt und ergriffen gewesen sein, hätte er den wahrhaft gewaltigen Drang reicher und aufrichtiger Liebe gesehen, die zu seiner großartigen Bestattungsfeier herbeigeeilt, die heiß an seinem Sarge und Grabe geweint, seine Reste mit Lorbeer und Blumen überschüttet und seinem Andenken aus allen Theilen des Vaterlandes massenhafte Beweise verehrungsvollster Dankbarkeit gewidmet hat! (S. Nr. 14 der „Gartenlaube“.) Erst nach seinem Tode hat es ganz unverkennbar sich gezeigt, wie tief die Spuren sind, die er auf seinem Wege in den Herzen seines Volkes zurückgelassen hat.

Nun haben über seiner Gruft schon die Lerchen gesungen und die Rosen geblüht, aber viele Sommer und Winter werden noch über diese Ruhestätte hinweg ziehen, ohne daß in Deutschland das Gedächtniß des Mannes wird erblassen können, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_580.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2019)