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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

„Wir müssen in das Schloß zurückkehren,“ sagte er. „Die Nacht wird kühl, und Du bedarfst der Ruhe nach Deiner schnellen und anstrengenden Reise. Komm, Gabriele!“

Sie legte ohne Widerspruch ihren Arm in den seinigen und folgte ihm. Sie schritten an dem Nixenbrunnen vorüber und verließen den Garten. Die Thür schloß sich hinter diesem mondbeglänzten Frieden, hinter dieser Stunde des Glückes – der Frühlingstraum war zu Ende.

Oben im Schlosse, in dem Corridor, der zu den Zimmern der Baronin Harder führte, blieb der Freiherr stehen. Versagte auch ihm die eiserne Kraft? Sein ganzes Wesen bäumte sich auf im wilden Schmerze des Scheidens, aber er hatte nicht umsonst die ahnungsvollen Fragen Gabrielens gehört. Er wußte, daß die geringste Unvorsichtigkeit seiserseits ihr Alles verrathen und sie einer nutzlosen Todesangst preisgeben würde. Der Schlag mußte nun einmal fallen; besser er traf sie unerwartet.

„Gute Nacht!“ sagte Gabriele ahnungslos, ihm die Hand reichend. „Wir sehen uns ja morgen wieder.“

„Morgen!“ wiederholte Raven schwer. „Ja, gewiß.“

Er hob sanft das Haupt des jungen Mädchens empor, so daß es voll von dem Lichte der herabhängenden Lampe beleuchtet wurde, und sah lange in das holde Antlitz, das jetzt wieder von dem rosigen Hauche des Glückes unflossen war, in die klaren, sonnigen Augen – so lange und tief, als wolle er dieses Bild für ewig festhalten. Dann beugte er sich nieder und küßte sie.

„Lebe wohl, meine Gabriele – gute Nacht!“

Gabriele entzog sich leise seinen Armen und ging. Auf der Schwelle ihres Zimmers blieb sie noch einmal stehen und warf einen letzten Gruß zurück; dann schloß sich die Thür hinter ihr. Arno stand regungslos und blickte auf die Stelle, wo sein „Sonnenstrahl“ verschwunden war. Seine Stimme bebte, als er halblaut sagte:

„Armes Kind, wie wirst Du erwachen!“




Der nächste Tag begann mit einem trüben, dichtverschleierten Nebelmorgen, wie ihn der Spätherbst häufig bringt. Es war noch sehr früh, und draußen war es eben erst hell geworden, als Oberst Wilten das Schloß betrat. Er kam zu Fuße und wurde von einem Diener, der bereits Weisung erhalten hatte, sofort in das Zimmer des Freiherrn geführt. Gleich darauf erschien dieser selbst. Er war bereits fertig, aber in seinen Zügen deutete auch nicht die leiseste Spur auf eine unruhige oder durchwachte Nacht hin. Er hatte in der That tief und fest geschlafen, bis zu dem Augenblicke, wo sein Diener ihn weckte, und begrüßte jetzt mit ruhigem Ernst den Oberst. Man wechselte einige Bemerkungen über den Nebel, über die Fahrt, über Ort und Stunde der verabredeten Zusammenkunft. Dann zog Raven den Schlüssel zu seinem Schreibtische hervor und übergab ihn dem Oberst.

„Ich möchte Sie ersuchen, für den Fall meines Todes die ersten und nothwendigsten Anordnungen zu übernehmen,“ sagte er. „Meine Papiere sind geordnet. Dort in jenem Fache liegt mein Testament nebst einigen persönlichen Verfügungen, die ich gestern noch getroffen habe. Sie werden dort auch einen Brief finden, den ich bitte, unverzüglich an seine Adresse – Doctor Rudolph Brunnow – zu befördern.“

„An Ihren Gegner?“ fragte Wilten, auf’s Aeußerste befremdet.

„Ja. Es handelt sich um eine Erklärung, die ich ihm schuldig bin, die ich ihm aber unmöglich vor dem Duell geben konnte. Er findet sie in jenem Schreiben. Und nun noch Eins! –“ der Freiherr hielt einen Augenblick inne und zog dann langsam einen zweiten Brief aus seiner Brusttasche hervor. „Diese Zeilen sind für mein Mündel, Gabriele von Harder, bestimmt. Ich möchte aber nicht, daß sie den Brief unvorbereitet empfängt oder unvorbereitet von einem – Unglück hört; sie würde tödtlich erschrecken. Ich bitte Sie daher, den Brief selbst in ihre Hände zu geben, aber dabei mit Vorsicht zu Werke zu gehen – mit der äußersten Vorsicht. Ein so zartes junges Wesen, wie Gabriele, bedarf der Schonung. Wenn die Nachricht sie jäh und plötzlich träfe, könnte sie ihr erliegen.“

Wilten verbarg mit Mühe seine Ueberraschung bei diesen Worten, die ein halbes Geständniß enthielten. Es begann ihm jetzt klar zu werden, weshalb sein Sohn eine Abweisung erhalten hatte.

„Ich habe also Ihr Versprechen?“ fragte der Freiherr.

„Für den Fall Ihres Todes wird Baroneß Harder den Brief nur aus meinen Händen empfangen, und ich selbst werde ihr so schonend wie möglich die Nachricht überbringen. Mein Wort darauf!“

„Ich danke Ihnen,“ sagte Raven sichtlich erleichtert. „Und nun werden wir wohl aufbrechen müssen. Mein Wagen hält bereits unten. Darf ich Sie bitten, allein voraus zu fahren und an der Rückseite des Schloßberges halten zu lassen? Ich möchte bei diesem frühen Aufbruche jedes Aufsehen vermeiden und deshalb nicht am Hauptportal einsteigen. Ich komme durch den Schloßgarten.“

Oberst Wilten fand diese Anordnung ein wenig seltsam, fügte sich aber schweigend. Raven klingelte nach Hut und Mantel, und nachdem der Diener ihm beides gebracht hatte, verließen die beiden Herren das Zimmer, um sich erst unten an der Treppe zu trennen.

Als der Freiherr über den Schloßhof schritt, begegnete er dem Hofrath Moser, der soeben aus seiner Wohnung kam und sehr verwundert aussah, als er seinen Chef zu so ungewohnter Stunde erblickte. Raven blieb stehen.

„Sieh da, Herr Hofrath! Wollen Sie so früh schon ausgehen?“

„Ich sah nur nach dem Wetter,“ erklärte der Hofrath. „Ich pflege sonst täglich einen Morgenspaziergang zu unternehmen, aber bei diesem kalten, feuchten Nebel ziehe ich es doch vor, zu Hause zu bleiben“

„Da thun Sie recht,“ meinte der Freiherr. „Das Wetter ist nicht einladend.“

„Und Excellenz wollen doch ausgehen?“ fragte Moser.

„Ich habe einen nothwendigen Gang, der sich nicht aufschieben läßt. Adieu, lieber Hofrath!“

Damit reichte der Freiherr ihm die Hand, die der alte Herr bestürzt und ehrfurchtsvoll ergriff. Er hatte zwar von seinem Chef schon viele Beweise des Wohlwollens, aber noch kein einziges Zeichen der Vertraulichkeit erhalten. Diese ungewohnte Freundlichkeit ermuthigte den Hofrath zu einer Aeußerung, die er schon lange auf dem Herzen hatte.

„Wenn ich mir eine Frage erlauben dürfte,“ begann er schüchtern. „Man spricht davon – es war wenigstens gestern Abend in der Stadt das Gerücht verbreitet, Excellenz beabsichtigten Ihren Posten zu verlassen. Ist das wahr? Wollen Sie wirklich gehen?“

„Ja, ich gehe,“ sagte Raven mit ruhiger Bestimmtheit, „und zwar bald.“

Der Hofrath senkte traurig den Kopf. „Dann werde auch ich wohl nicht mehr lange bleiben,“ entgegnete er leise. „Ich habe längst daran gedacht, mein Abschiedsgesuch einzureichen.“

Der Freiherr blickte ihn schweigend an. Die Anhänglichkeit des alten Mannes rührte ihn; Moser allein hatte stets treu und fest zu ihm gehalten und war der Einzige gewesen, der sich durch keine gegen Raven ausgesprengte Verleumdungen beirren ließ.

„Gehen Sie in das Haus zurück, lieber Moser!“ sagte Raven freundlich. „Sie werden sich erkälten in der scharfen Morgenluft und in Ihrem leichten Hausanzuge. Nochmals – Adieu!“

Er reichte ihm noch einmal die Hand, diesmal mit einem kurzen herzlichen Drucke, und ging dann.

Der Hofrath blieb stehen und sah ihm nach. Er, der sonst so ängstlich jede Erkältung scheute, vergaß jetzt völlig, daß er ohne Ueberrock und Kopfbedeckung war. Der Händedruck hatte ihn ganz verwirrt gemacht und das „Adieu!“ hatte ihm so seltsam geklungen. Es war ihm, als müsse er seinem Chef nacheilen und noch irgend eine Frage an ihn richten, nur um noch einmal sein Gesicht zu sehen und seine Stimme zu hören, und nur der Gedanke an das Unpassende eines solchen Benehmens hielt ihn zurück. Erst als Jener verschwunden war, ging er wieder nach seiner Wohnung, aber ein schwerer Seufzer entwand sich seiner Brust, als er die Treppe hinaufstieg. Es war also doch geschehen. Der Gouverneur hatte seine Entlassung genommen.

Raven schritt inzwischen langsam durch den Schloßgarten. Er hatte dem Wunsche nicht widerstehen können, ihn noch einmal zu betreten, und eine Verzögerung war das kaum. Der Garten stand durch eine kleine Mauerpforte in directer Verbindung mit dem Schloßberge. Von dort führte ein Fußpfad in wenigen

Minuten nach der Stadt. Der Gouverneur hatte stets diesen Weg benutzt, wenn er irgendwo durch sein Kommen überraschen, und nicht erst das Hauptportal und die Militärposten passiren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_583.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)