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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Freier erschien nämlich Tag für Tag, mit der größten Regelmäßigkeit, um seinem lieben Schwiegervater mitzutheilen, wie sehr er sich darauf freue, sein Schwiegersohn zu werden, und daß ein besserer Schwiegersohn überhaupt gar nicht in der Welt sei. Wenn der alte Herr zornig auffahren wollte, so drohte der gewissenlose Doctor mit Schlaganfällen und verschrieb Beruhigungstropfen. Wenn Jener ihm das Haus verbot, so erklärte Max, er könne den Anblick seiner Braut nicht entbehren, und kam am nächsten Tage eine Stunde früher. Der Hofrath ergab sich endlich in sein Schicksal; er gehörte zu den Naturen, die, wenn man ihnen täglich dasselbe sagt, es zuletzt glauben, und da er alle Tage hören mußte, daß dieser Schwiegersohn ebenso unabwendbar wie vortrefflich sei, so glaubte er es schließlich und nahm beides als eine unumstößliche Thatsache hin.

Einen etwas schwereren Stand hatte man mit der „geistlichen Vormundschaft“, die natürlich die Verlobung nicht anerkennen wollte und Himmel und Hölle dagegen in Bewegung setzte. Man drohte dem jungen Bräutigam mit der Hölle; er drohte dagegen mit der Presse und erklärte, er werde die ganze Stadt zur Vertrauten seiner Herzensangelegenheit machen und in sämmtlichen Zeitungen Lärm darüber erheben, daß man ihm seine Braut entreißen wolle, um sie wider ihren Willen in das Kloster zu sperren. Das erregte denn doch Bedenken. Man hatte bei dem Sturze des Gouverneurs gesehen, was Zeitungsartikel anrichten konnten.

Man gab nach. Die feindliche Partei zog sich zurück, und Max behauptete triumphirend das Feld. Er war klug genug, die Hochzeit so rasch wie möglich zu betreiben, und entführte seine junge Frau schon nach wenigen Monaten nach der Schweiz. Brunnow, der durch die Erbschaft seines Vetters völlig unabhängig geworden war, bestand darauf, daß Sohn und Schwiegertochter vorläufig in seinem Hause wohnten, da Max bei seiner schnellen Heirath nicht Zeit gefunden hatte, sich zuvor eine Praxis zu gründen. Dies geschah nun zwar in kürzester Frist; trotzdem wurde aber das Zusammenleben beibehalten. Das Verhältniß zwischen Vater und Sohn war ein durchaus anderes geworden, seit jener Scene am Krankenbette des Letzteren, und wenn einmal eine Differenz vorkam, so trat Agnes mit ihrer sanften Vermittelung dazwischen. Die junge Frau hatte in Kurzem das ganze Herz des Schwiegervaters gewonnen. Der Hofrath dagegen lebte nach wie vor in R. unter dem Scepter der Frau Christine, aber er befand sich wohl dabei und kam jeden Sommer, um seine Kinder zu besuchen. – –

Es war wieder Sommer geworden. Der See und die Stadt an seinen Ufern lagen im hellsten Sonnenschein, und das Gebirge erhob sich duftumhüllt und nur zur Hälfte sichtbar in der Ferne. Die einst so kleine und bescheidene Besitzung Rudolph Brunnow’s zeigte jetzt ein weit stattlicheres Aussehen. Der Garten hatte durch Ankauf der benachbarten Grundstücke fast das Doppelte an Raum gewonnen, und auch das Wohnhaus war umgebaut und bedeutend vergrößert worden, da es jetzt Platz für zwei Familien gewähren mußte. Der junge Doctor Brunnow pflegte sonst die Vormittagsstunden zu Besuchen bei seinen Patienten zu benutzen, heute aber war die gewohnte Ausfahrt unterblieben, und Max befand sich im Garten, mit einem Gaste, der erst vor einer halben Stunde eingetroffen war.

„Jetzt kommst Du aber mit mir, Georg, damit ich Dich auch einmal für mich allein habe!“ sagte er nachdrücklich. „Papa läßt Dich sonst gar nicht aus den Händen, und Dein Besuch gilt doch vor allen Dingen mir. Das war eine Ueberraschung! Ich ahnte gar nicht, daß Du in der Schweiz seiest.“

„Es war eine Dienstreise,“ versetzte Georg. „Ich mußte zu unserer Gesandtschaft nach B. Meine Aufträge waren schneller erledigt, als ich glaubte, und da konnte ich es mir nicht versagen, auf der Rückreise Dich zu überraschen.“

Winterfeld hatte sich in den letzten vier Jahren kaum verändert. Er war nur reifer, männlicher geworden, und seine Haltung hatte an ruhiger Sicherheit noch gewonnen. Die frühere durchsichtige Blässe aus seinen Zügen war längst der Farbe der Gesundheit gewichen, aber aus der einst so klaren Stirn lag ein Schatten, und die schönen blauen Augen, die sonst nur ernst blickten, hatten jetzt etwas entschieden Düsteres. Der kaum zweiunddreißigjährige Mann mit seiner so viel verheißenden Lebensstellung schien irgend etwas mit sich herumzutragen, was ihm die Freude am Leben nahm. Max Brunnow’s Aussehen dagegen entsprach vollständig seiner Behauptung, daß er sich in dieser nichtsnutzigen Welt ganz vortrefflich befinde, und war überdies ein glänzendes Zeugniß dafür, daß Frau Agnes die Hausfrauentugenden sich zu eigen gemacht hatte.

„Sage einmal, Georg,“ fragte Max im Laufe des Gesprächs, „wie lange dauert es denn noch eigentlich, bis Du Minister wirst?“

Georg lachte. Wahrscheinlich noch eine ganze Reihe von Jahren. „Vorläufig bin ich Ministerialrath.“

„Und die rechte Hand des Ministers, die Seele der ganzen Verwaltung. O, wir wissen ganz genau, wie es in Eurer Residenz zugeht. Ich höre oft genug davon durch meinen Schwiegervater. Die gute Stadt R. muß nun einmal opponiren, das bringt die lange Gewohnheit so mit sich. Der neue Gouverneur ist die Liberalität und Menschenfreundlichkeit selbst; sie finden eigentlich nichts an ihm auszusetzen und das gerade ärgert sie.“

„Was man vermißt,“ sagte Georg, „ist die mächtige Persönlichkeit Raven’s, die selbst den Feinden Bewunderung abzwang. Der jetzige Gouverneur ist redlich und wohlwollend, aber er ist durchaus keine hervorragende Natur und vielleicht nicht ganz einem so wichtigen und verantwortungsreichen Posten gewachsen. – Der Hofrath lebt also noch immer in R.? Ich glaubte, er würde sich endlich zu einer Uebersiedelung zu seiner Tochter entschließen.“

„Welche beleidigende Idee!“ spottete Max. „Mein Schwiegervater, der Inbegriff aller Loyalität, sollte einer schnöden Republik den Besitz seiner Person gönnen? Er lebt und stirbt unter den Fittigen seines allergnädigsten Souverains. Hier würde sich übrigens das Zusammenleben des alten Herrn mit meinem Vater auf die Dauer doch sehr unerquicklich gestalten. Sie sind zu schroffe Gegensätze, um je mit einander auszukommen.“

Winterfeld warf einen Blick nach dem Hause zurück. „Max, ich habe Deinen Vater doch recht gebeugt und gealtert gefunden.“

Max zuckte die Achseln. „Er kann den Tod Raven’s nicht verwinden. Ich glaubte, die Zeit würde den Schmerz mildern – leere Hoffnung! Als Arzt muß ich mir sagen, daß wir ihn nicht mehr lange besitzen werden. Ich kenne die Symptome.“

Er war ernst geworden bei den letzten Worten, und der gleiche Ausdruck legte sich auf Georg’s Gesicht.

„Er kann sich nicht losreißen von dem Gedanken an das, was er einst geliebt hat,“ sagte er, „er geht zu Grunde an der Erinnerung – ich verstehe das.“

„Ja, Du scheinst mir auch nicht übel Lust zu haben, an solch einem ‚Gedanken‘ zu Grunde zu gehen,“ fiel der junge Arzt mit aufflammendem Aerger ein. „Als wir uns das letzte Mal sahen, wolltest Du mir durchaus nicht Rede stehen, jetzt aber siehst Du noch elegischer aus als damals. Beichte einmal!“

Georg machte eine abwehrende Bewegung. „Erlaß mir das! Du weißt es ja, ich bin unverbesserlich, und in dem Punkte verstehst auch Du mich nicht.“

„Natürlich, ich werde als unverbesserlicher Realist gar nicht in dem Heiligthum Deiner Gefühle zugelassen.“

Winterfeld runzelte die Stirn und wandte sich ab, aber Max fuhr unbekümmert fort:

„Dieses ängstliche Zögern und Fliehen vor einem Glücke, das Du mit einem kecken Griffe vielleicht noch erreichen könntest, dieses zartsinnige Schwanken und Bedenken wird so lange dauern, bis irgend ein Anderer, der nicht so zartfühlend ist, Dir zuvorkommt, und dann hast Du zum zweiten Male das Nachsehen. – Ja, das verletzt Dich nun wieder, ich sage Dir aber: Alldieweil und sintemal Du über diese unvernünftige Liebe nicht herauskommen kannst, so mußt Du heirathen, – Punctum!“

„Du sprichst allerdings aus Erfahrung,“ sagte Georg mit einem erzwungenen Lächeln. „Du hast dieses Mittel bei Dir selbst versucht und mit dem glücklichsten Erfolge. Deine Frau ist eine allerliebste Erscheinung.“

„Nicht wahr, sie macht meiner Behandlung Ehre?“

Sie hatten inzwischen ihren Rundgang durch den Garten vollendet und näherten sich wieder dem Hause. In der Veranda saß Doctor Brunnow mit seiner Schwiegertochter, die ihm aus der Zeitung vorlas. Der Doctor war allerdings sehr gealtert, und sein Aussehen zeigte, daß er auch körperlich leidend sei. Seine frühere Reizbarkeit war verschwunden und hatte einer matten Theilnahmlosigkeit Platz gemacht, aus der nur selten noch ein Funke der einstigen Leidenschaft emporflammte. Aus Agnes dagegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_599.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)