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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Gratiana.
Eine Harzgeschichte von E. Vely.
(Fortsetzung)


„Bei dem Wetter, Herr Professor?“ rief die alte Großmutter, „das wäre doch geradezu leichtsinnig – und der Herr hat nicht einmal einen Schirm! Da, tretet so lange ein, bis es nachläßt. Janchen soll Euch unterdessen den Schirm herunterholen!“

Er folgte der Alten gehorsam wie ein Kind.

„Großmutter, Ihr könntet für Euern Sohn nicht besser sorgen, als für mich,“ sagte er scherzend.

„Ist das nicht Christenpflicht?“ fragte sie ernsthaft. „Ihr habt mich überdies schon gedauert: so allein meistens! Nun ja, mag sein, daß gelehrte Leute nicht unter der Einsamkeit leiden; ich bin nicht gern allein, denke mir, daß ich noch lange genug allein sein werde, wenn sie mich hinausgetragen haben auf den Gottesacker.“

Sie hatte dabei die Thür zum kleinen Wohngemach aufgestoßen und war mit dem Gaste über die Schwelle getreten. Sofort suchten die Blicke des Letzteren das junge Mädchen. Gratiana stand am Fenster neben einem schlanken Mann in Bergmannstracht, der lebhaft sprach. Beim Eintritt des Professors verstummte er.

„Das ist ein Gevatterssohn, der Conrad, der dann und wann bei uns vorspricht,“ sagte die Großmutter. „Mein Sohn ist hinunter nach Buntenbock, will seinem Vetter dort die Augen zudrücken. Gott gebe dem ein leichtes Ende! Er hat es verdient.“

Es war etwas wie Verlegenheit über das Gesicht Janchens gehuscht; sie ging nach der andern Ecke des Zimmers, als habe sie dort zu ordnen, eilte hinaus auf den Wink der alten Frau und erschien mit des Professors Schirm wieder, den sie gegen den alten geschnitzten Schrank, welcher fast die eine Wand gänzlich einnahm, lehnte. Dann griff sie nach dem schwarzen Tuch, das sie im Freien über dem Haupte trug, band es fest und schlug ein anderes, größeres über die Schulter.

„Ich gehe, Großmutter.“

„Schon wieder?“ fragte die, ein wenig unwillig, wie es schien. Auch der Bergmann faßte nach seiner Kopfbedeckung.

„Es wäre besser, Du bliebst, Conrad,“ wehrte das Mädchen, „die Großmutter könnte Jemand brauchen, und –“

„O nein, geht nur mitsammen!“ versetzte die Alte, „am lichten Tag hab’ ich schon keine Furcht; und sag’ dem Herrn Anton, an solch schlechten Abenden, wie heute einer wird, soll er nicht auf Dich zählen.“

„Großmutter,“ warf das Mädchen ein, „seine Augen sind schlimmer als jemals.“

Die greise Frau bewegte den Kopf, als überlege sie, dann sagte sie freundlicher: „Nun, so bestell’s nicht!“

„Glück auf!“ grüßte verlegen der junge Mann und drängte sich, als könne er nicht schnell genug aus der Nähe des Professors kommen, durch die nur ein wenig geöffnete Thür.

Das Mädchen trat rasch noch einmal an Ehrenfried’s Seite:

„Ich bringe einem armen Kranken Unterhaltung in seiner Einsamkeit durch Ihre Güte – ich danke Ihnen von Herzen dafür.“ Sie hatte die Worte warm gesprochen und mit einem aufleuchtenden Blick aus ihren tiefblauen Augen begleitet, der den Professor wunderlich berührte, aber ehe er noch eine Erwiderung geben konnte, war sie schnell davon geeilt, und jetzt huschte sie schon außen an den Fenstern vorbei in solcher Eile, daß Conrad ihr kaum zu folgen vermochte. Die Großmutter blickte dem Paare mit einem eigenthümlich lächelnden Gesichte nach; dann setzte sie sich in ihren krachenden Lehnstuhl, schob die Brille zurecht, griff nach dem Strickzeug und sagte, als sei es selbstverständlich, daß der Professor den gleichen Gedanken gehabt:

„Ein ansehnliches Paar, ja, ja!“

Ehrenfried sah forschend zu ihr hinüber. „Geschwisterkinder, nicht wahr?“

„Ja,“ sie hustete dabei etwas verlegen, „ich meine, das giebt einmal ein hübsches Brautpaar.“

Ob der Regentropfen, welcher durch die bleigefaßte Fensterscheibe gedrungen und plötzlich seine Hand berührte, ihm solch unangenehme Empfindung verursachte, daß er sich hastig umwandte?

„Ein Brautpaar – ich wußte das nicht, Großmutter.“

„Will’s Gott, daß ich’s erlebe, Herr! Der Conrad wäre ein rechter Mann und das Janchen eine gute Frau für ihn; sie ist fleißig und einfach; brav hab’ ich sie erzogen. Ich hatte keinen Tadel, als – das Bücherlesen. Und schon darum wäre es mir recht, wenn der Conrad einmal den Mund gegen sie aufthun und vom Herzen weg reden wollte. Es drückt ihn lange schon, das sehe ich so gut mit meinen trüben Augen, wie der Gottlieb mit seinen gesündern, aber wie das bei verliebten Männern geht – sie sind schüchtern. Ihr werdet’s auch durchgemacht haben.“

„Und sie?“ fragte der Professor. „Ich meine Janchen.“

„O!“ – sie sah dabei über die Hornbrille hinweg – „die – wird sich nicht lange besinnen; sie ist ein armes Ding, und wenn wir Beide, der Gottlieb und ich, einmal nicht mehr da sind, stände sie ganz allein. Sie hat ihn auch gern; sie haben als Kinder mit einander gespielt und sich immer gut vertragen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_601.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2018)