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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

vieles äußerlich das Leben Bestimmende, von Frankreich zu uns herübergetragen worden, wie sie denn auch in jenem Buche als ein „Gast aus Wälschland“ sich einführt. Aber auch im germanischen Leben war die Gewalt der Sitte schon eine große, und die fremden Reiser paarten sich mit den heimischen zu einem innig verschlungenen Strauchwerke, das seine Wurzeln zumeist zwar auf Schlössern und Burgen trieb, aber auch hinabsenkte in die Straßen der wallumschirmten Städte und stillen Dörfer.

Zucht und Sitte breiteten schon früh eine tiefe keusche Scheu um die reine Frau, treulich schirmend die jungfräuliche und frauliche Ehre, deren Verlust auch den weiteren ihres Wahrzeichens, des langsträhnigen Haares, gnadlos nach sich zog. So wollte schon ein alter deutscher Brauch, daß eine Frau nie das berühren sollte, was eben erst die Hand eines fremden Mannes betastet hatte. Die Sitte bestand noch zu den Zeiten Wolfram’s von Eschenbach, in dessen Gedicht „Parcival“ Orgilleuse, die Königin von Byreis, es dem Ritter herb verweist, daß er ihr zumuthet, den Zaum seines Rosses zu fassen, auf dem noch eben seine Hände ruhten. Ebenso verbot es den Frauen die Sitte, Männerkleider anzulegen. „An dem Leibe mein soll niemals Jemandes Auge sehen Manneskleider,“ erwidert Gudrun, als Herwig der vor Frost Zitternden seinen Mantel zum Schutze bietet. (Gudrun, 1232.) So hätte es auch in altdeutscher Zeit kein Mann wagen dürfen, eine Jungfrau zuerst zu grüßen. Sie hätte es empfunden als eine Kränkung ihrer jungfräulichen Ehre. Dem Manne wurde dagegen Frauengruß zu hoher Ehre:

„Wenn eines guten Weibes Grüßen
Du kannst gewinnen, geh drauf ein;
Das wird dir manches Leid versüßen.“

Mit solchem Spruche übergiebt Frau Herzeleide ihren jungen ritterlichen Sohn den Fahrnissen der Welt. (Parcival.) Uebrigens erhob sich die Frau, wenn der fremde Mann in den Saal oder das Frauengemach trat, sofort von ihrem Sitze und ging ihm grüßend entgegen, und wäre sie auch die mächtigste Königin gewesen. Der Frauen Augen nahm die Zucht in strenge Hut. „Züchtig soll die Frau vor sich hin sehen und ihre wilden Blicke nicht hin und her lassen gehen, denn das verräth unstäten Sinn.“ „Eine Frau soll nicht fest ansehen den fremden Mann, das steht ihr wohl,“ lehrt der Wälsche Gast. Die bloßen Füße den Blicken der Männer preiszugeben, hielt eine züchtige deutsche Frau für die herbste Schande. Beim Gehen soll sie leise auftreten und kleine Schritte machen, wie die Pfauen und Kraniche, sagen die Dichter. „Eine Frau soll zu keiner Zeit treten weder fest noch weit.“ Auch dem zu freien Spiele der Hände tritt die Zucht wehrend entgegen. Züchtiglich soll beim Stehen die Frau die Hände über der Taille zusammenhalten (Wigalois, 15521), aber auch dem kommenden und scheidenden Gaste den Handschlag nie verweigern. Beim Gehen soll sie ein wenig das Haupt zur Seite neigen, wie der Gang Maria’s, der Himmelskönigin, gewesen. Wenn sie aber sich niedersetzt, soll sie nicht Bein über Bein schlagen.

So hielt vom Morgen bis zum Abende Frau Zucht Wache in Haus und Flur, und am strengsten war ihr Dienst, wenn sich Schloß und Halle mit fröhlichen Gästen füllte. Sobald dieselben, ob geladen, ob ungeladen, in Sicht traten, ging ihnen der Herr des Hauses entgegen.

„Da sah er sie zum Schlosse traben,“

heißt es in Hartmann von Aue’s „Erek“,

„Und schnell zum Weg der Burgherr ging;
Mit schönem Gruß er sie empfing.
Als er herzu sie reiten sah,
Sprach er und trat zu ihnen nah:
‚Willkommen Frau und Herr!‘
Und bat sie Beide sehr,
Daß sie ihn doch beehrten,
In seinem Haus einkehrten,
Um lang bei ihm zu leben.“

Auch des Hauses Wirthin ging, wie bereits in einem der früheren Aufsätze bemerkt, mit bis an das Thor, oder empfing aufstehend im Gastsaale die Kommenden mit leutseligem Gruße. An jeden Einzelnen richtete sie in wechselnder Rede ein: „Gott grüße Euch – Gott erhalte Euch – Gott minne Euch – Willkommen! – Gott und mir willkommen!“ Mit tiefer Verneigung erwiderte der Angeredete: „Euer Genade!“ das heißt „Ich danke Euch!“ Nun kommen Frau und Töchter des Hauses heran und helfen mit eigener Hand dem ritterlichen Gaste die schwer bestaubte Rüstung abnehmen. Die Mägde bringen ihm frische Kleider, und aus der Hand der Herrin empfängt er den Willkommentrunk. Dann geleiten Dienerinnen ihn zum wohlbereiteten Bade. Nach solcher Erfrischung führt ihn der Wirth zum Ehrensitz an die Tafel, und die Ehewirthin legt ihm die Speisen vor und credenzt ihm den Wein. Bricht die Nacht herein, so begleitet sie ihn zur Lagerstatt, um mit eigenen Augen sich zu überzeugen, daß das Lager gut und wohl bereitet. Oft war die Zahl der Gäste so groß, daß Burg und Burgflecken nicht Raum genug boten zu wohnlicher Herberge. Dann wurden rasch draußen auf freiem Felde, auf Anger und Aue hölzerne Wohnungen und mit schweren kostbaren Stoffen behangene Zelte aufgerichtet.

Die erste Sorge des Morgens galt wieder dem Gaste. In heimlicher Frühe hat ihm Frauenhand wieder frische Kleider und Wäsche vor das Bett gebreitet, und von Frauenmund ergeht an ihn die Frage, wie er in der Nacht geruht. War der Tag ein festlicher, so wurde er eingeleitet durch einen feierlichen Zug zur Kirche, den auch ein strenges Ceremoniell beherrschte. Zur Seite jeder edelgeborenen Frau gingen oder ritten zwei Ritter als Ehrenwache. Das Vorrecht im Zuge hatten die unverheiratheten Frauen; ihnen folgten die verheiratheten, an der Spitze die Frau vom Hause; dann erst schlossen die Männer sich an, sowie hinter ihnen drein die Jünglinge.

Auch für die Frau zu Pferde gab es mancherlei Regeln. „Eine Frau,“ schreibt der Wälsche Gast vor, „soll sich, wenn sie reitet, kehren gegen des Pferdes Haupt – sie soll ihre Hand nicht aus dem Gewande recken und ihre Augen und Haupt fein still halten. Einem Ritter würde es übel anstehn, wenn er wollt’ reiten und eine Frau gehn. Auch soll er nicht freventlich auf das Roß der Frau hinein reiten und sie dadurch erschrecken.“

Nach der Rückkehr von der Messe setzte man sich zum Morgenimbiß. Die Zeit zwischen diesem und der eigentlichen Hauptmahlzeit – nur zwei Mahlzeiten hatte der Tag – wurde ausgefüllt durch Besuche, Gespräch und allerlei Kurzweil. Auch da wich die unsichtbare Zuchtmeisterin nicht von der Seite der Frau. „Eine Jungfrau,“ lehrt sie, „soll sein sänftiglich und nicht laut sprechen, aber auch das Raunen (Flüsterreden) soll sie lassen; denn darin liegt ein Argwohn gegen die anderen Gäste. Sie soll lachen nicht zu viel; denn Lachen ist der Thoren Spiel. Zu dritt soll sie viel vernehmen und wenig sagen, denn das Hören das schadet nicht, von Reden aber uns oft viel Leids geschicht.“

Ein dröhnender Drommetenstoß rief Wirth und Gäste dann zur Hauptmahlzeit. Nach alter deutscher Sitte speisten Männer und Frauen in getrennten Räumen oder doch an besonderen Tischen. Nur die Herrin des Hauses erschien ab und zu in den Kreisen der tafelnden Männer, um ihre Pflichten als Hausfrau und Wirthin – wir ergänzen hier den früheren dieser gewidmeten Artikel noch ein wenig – zu erfüllen. Die Frauen

„Bedienten Mägdlein in blühender Frische;
Die Ritter, die gegenüber aßen,
Dagegen Junker, damit nicht
Leichtfertigkeit die Schranken bricht.“

Erst französische Sitte führte das paarweis Sitzen beider Geschlechter bei Tische ein. Dann bestimmte der Kämmerer die Plätze und die Damen wurden von den Herren an die angewiesenen Plätze geführt.

Vor Beginn der Mahlzeit wurde in Becken und Kannen Wasser herumgereicht zum Waschen der Hände. Auch hier schrieb das Ceremoniell vor, daß Wasser und Handtuch von den Knappen zuerst den Frauen gereicht wurden und dann erst den Männern nach der Ordnung ihres Ranges. Bei großen Mahlen brachten in jedoch nur seltenen Fällen berittene Truchsesse die Speisen in den Saal. Auch das Tafelgeräth wurde bei großen Gastmählern auf Wagen hereingefahren, und hinter jeglichem Wagen ging ein Schreiber, der, was man aufgetragen hatte, verzeichnete, „daß nach dem Essen nichts werde zurückzuliefern vergessen“, wie Wolfram von Eschenbach das bei einer feierlichen Tafel am Hofe des Königs Artus naiv erzählt. Die Bedienung der vornehmen Gäste solcher Festmahle übernahmen Junker – je einer für vier oder mehr Gäste, „der im Arm ein weißes Handtuch trug“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_611.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)