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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

(Parcival III. 31.) Solch hohe Ahnen haben unsere Servietten tragenden Kellner aufzuweisen!

Wenn nun die Tischgäste mit einem „Gesegn’ es uns Herr Jesu Christ!“ Platz genommen hatten, trat wieder die gestrenge Frau Zucht hervor mit Lehren wie sie etwa „des Tannhäuser’s Hofzucht“ giebt. „Man soll das Brod essen nicht, eh’ man bringt das erste Gericht,“ heischt sie von einem Ritter, der seines Magens Gelüste nicht kann zähmen. Dem Wirthe aber ruft sie zu: „Sorgt fein dafür, daß ein Jeder genug hat, wie das ein jeder biderbe Wirth thut. Das steht Euch nicht wohl an,“ mahnt sie einen Andern, „daß Ihr Euch auf den Tisch legt, wenn Ihr esset, und Euch,“ wendet sie sich zu einem Dritten, „daß Ihr mit den Messern in den Zähnen herumstochert und in die Salzfäßleins mit bloßer Hand greift.“

Jenen aber, der ihr wohl widerreden zu können meint, bringt sie mit den Worten zum Schweigen: „Indeß man etwas im Munde hat, soll man sich hüten zu sprechen und zu trinken. Auch soll, wer trinkt, nicht mit dem Munde schmatzen noch über den Becher hinwegsehen. Man soll auch nicht zugleich mit seinen Tischgesellen in die Schüssel fahren,“ belehrt sie einen Andern. Oder sie predigt: „Man soll essen aller Frist mit der Hand, die entgegen ist.“ Sitzt der Tischgenosse also zur rechten Hand, so soll man essen mit der linken Hand. Sich dann speciell zu den Frauen wendend, empfiehlt sie ihnen Maß in Speis und Trank und beim Essen selbst nicht zu lachen und zu sprechen. Sie sollten sich auch hüten, beim Trinken mit Aug’ oder Nase das Gefäß zu berühren. Auch des Tadels über das Essen soll sich eine Frau enthalten; behage es ihr nicht, so solle sie es lieber unberührt stehen lassen (Wälscher Gast). War die Tischgesellschaft eine gemischte, so heischte es zunächst die Pflicht des Mannes, seine Tischnachbarin mit Speise und Trank zu versorgen. Aber die wälsche Courtoisie gebot dieser auch, dem Tischgesellen die besten Bissen vorzulegen.

Nach dem letzten Gerichte wurde wieder Waschwasser herumgereicht. Dies war um so nöthiger, als die Zahl der Messer gewöhnlich nicht für alle Gäste ausreichte, vielmehr ein solches mehreren Personen zu gemeinschaftlichem Gebrauch diente, Löffel und Gabel aber lange Zeit noch zu den Raritäten zählten. So mußte Frau Zucht wohl ein Auge zudrücken, wenn hier und da einmal die fünfzinkige Gabel der Natur aushülfsweise zum Gebrauche kam. Auch Teller in unserem Sinne gab es noch nicht. Man bediente sich flacher Brode oder Kuchen, die, getränkt von den verschiedenen Speisesäften, beim Nachtische noch dem Verhängnisse der Vertilgung verfielen. Die Speisen wurden auf hölzernen Platten oder Schüsseln aufgetragen. Nach der Tafel entfernten sich die Frauen, wenigstens nach deutscher Sitte, aus dem Speisesaale und überließen die Männer den Freuden des Nachtrunks. Dann ging man auch zu verschiedenen gemeinschaftlichen geselligen Spielen und Unterhaltungen über, zu Gesang und Tanz, wovon wir später noch reden werden; auch wohl zu einem Buhurtreiten, dem Turnieren, bei dem Frauen nur die Rolle der Zuschauerinnen und Dankspenderinnen übernahmen. Die Frauen versäumten auch nie den Besuch der Mette. Zuletzt aber vereinigten sich Alle wieder in der gesellschaftlichen Halle, bis der Nachttrunk – warmer Wein mit Obst – herumging. Dieser war für Alle das Signal zum Aufbruch. Mit ihm schlossen die festlichen Stunden des Tages.

Die gleiche Herzenswärme, welche den Gast empfing, begleitete ihn auch wieder beim Scheiden. Bevor er aufbrach, erhielt er noch Imbiß und Trunk, auch wohl gastliche Gabe, die er zumeist mit einer gleichen erwiderte. Wirth und Wirthin gaben ihm das Geleite „bis vor die Thore der Stadt“ (Parcival).

Unter dem schützenden Zeltdache der Sitte konnte die Frau auch ungefährdet allein durch’s Land reisen. Erst im dreizehnten Jahrhundert wurde durch die Unsicherheit der Straßen und die nacheilende Verleumdung den ehrbaren Frauen dieses Unterfangen verwehrt. Das Reisen geschah gewöhnlich zu Pferde. Auch Nonnen ritten. Frau Zucht schwang sich, wie wir bereits sahen, auch mit auf des Rosses Bug. Die Frau saß seitwärts auf dem Rosse; ihre Füße ruhten auf am Gurte mit Riemen befestigten Breterschemeln oder Stegreifen von Metall oder Leder, von oft sehr kunstreicher Form, wie eine Stelle in Hartmann von Aue’s Erek lehrt:

„Goldreifen schwer und breit,
Gebildet wie zwei Drachen.
Die Schweife sie zum Rachen bogen,
Die Federn standen als ob sie flogen.
Die Augen waren Edelsteine,
Vier Hyanzinthe grün und kleine.“

Beim Aufsteigen ließ man die Frauen auf Hebeeisen oder besondere Schemel treten.

Auch der Wagen bedienten sich besonders im deutschen Norden die Frauen, viereckiger offener Kasten auf einem niedrigen Radgestelle; wenn auch mit Gold, Farbe und Schnitzwerk reich verziert, boten sie doch weit mehr Beschwerde als Bequemlichkeit. Bei üblem Wetter wurde eine Decke über sie gebreitet.

Wenn ein Mann in den Schutz eines Weibes floh, so mußte, wie es im Parcival heißt, der kampfbegierige Muth abstehen von der Verfolgungswuth, wohnte anders in ihm mannliche Zucht; kein ritterlicher Mann aber ließ eine hülfesuchende Frau sich ihm zu Füßen werfen.

Die Schlafstätten waren in den höfischen Kreisen getrennte. Die Frauen schliefen unter ihren Mägden und Dirnen, der Mann mit den Söhnen und Dienern.

Vielgestaltet nach Ort und Zeit erscheint die Sitte und der Brauch bei den drei Stationen, welche, wie ein alter Spruch andeutet, Anfang, Mitte und Ende des menschlichen Lebens bezeichnen: Kindtaufe, Hochzeit und Begräbniß. Vieles davon hat sich noch in die Gegenwart herüber gerettet, von dem „Kirchgang nach den sechs Wochen, die den Frauen sind zugesprochen“ („Tristan und Isolde“, 1953) bis zu dem Geschenk der Pathe beim ersten Zahnen (tanufê). Ein allgemeiner Brauch bei Hochzeiten war die auf dem Lande noch vielfach festgehaltene öffentliche Uebergabe der Geschenke an das Brautpaar in Gegenwart sämmtlicher Hochzeitsgäste. Ihr folgte in reichen Kreisen wohl noch eine Gegengabe des Bräutigams, wovon das vielfach noch gang und gäbe Auswerfen von Geldstücken beim Kirchgange wohl seinen Ursprung datirt. Das Brautpaar erhielt am Hochzeitsabende einen Nachttrunk und am Morgen zum Frühstücke ein – Brauthuhn. Der Polterabend, spöttisch die Kunkelhochzeit genannt, entstammt einer erst später eingeführten Sitte.

In dem Verhältnisse zwischen Weib und Mann lehrte die Zucht: der Mann ist des Weibes Trost und Herr. Aber der Mann, heischt die Sitte weiter, soll die ihm verliehene Gewalt über die Frau auch nicht mißbrauchen. Der Grundgedanke aller Zuchtregeln ist das Einhalten des rechten Maßes. Drastisch bringt dies ein Prediger des dreizehnten Jahrhunderts zum Ausdrucke, indem er sagt: „Eva ward nicht gemacht aus einem Fuße. Das bedeutet, daß Du Deiner Ehefrau nicht schmählich begegnen noch sie unter Deine Füße treten oder werfen sollst. Eva ward auch nicht gemacht aus dem Haupte, das bedeutet, daß die Frau nicht über ihrem Manne sein soll. Woraus ward sie denn gemacht? Sie ward gemacht aus seiner Seite. Daran sollen wir merken, daß der Mann seine Wirthin recht habe als sich selbst und als seinen Leib. Es soll recht sein ein Leib und zwei Seelen.“

Ganz fern aber lag dem Mittelalter die moderne Ehescheu.

Ein alter Lehrmeister (der „Windsbecke“) faßt die Summe aller dieser Lehren zusammen zu folgender an seinen Sohn gerichteten Lebensregel:

„Sohn, Du sollst keuscher Worte sein
Und stäten Muthes. Thust Du das,
So glaub’ es auf die Treue mein,
Du lebst in Ehren desto baß.
Trag’ Niemand Neid noch langen Haß,
Sei gegen Feinde hochgemuth!
Sei Freunden nie mit Diensten laß,
Dabei in Züchten wohl gezogen,
Und grüße, die Du grüßen sollst,
So hat das Glück Dich nicht betrogen.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_612.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)